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Was war. Was wird.

Ist das Internet kaputt? Das kann nicht sein, denn sonst wäre Hal Fabers Wochenschau hier nicht zu finden. Aber das erscheint für manche zu einfach.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ach, ist das traurig! Dieser Text ist am Internet Freedom Day geschrieben. Tage gibt's noch, unsere Freiheit wird familienfreundlich am Hindukusch verteidigt, aber das Internet, schluchz. All mein Hoffen, all mein Sehnen, meines Lebens schönster Traum, dahin, dahin und nichtmal ein letztes Ei gelegt. Das Internet ist kaputt. Echt jetzt. Obwohl jeder diese kleine Wochenschau im Internet finden und lesen kann, womit eigentlich bewiesen wäre, dass das Internet funktioniert. Aber das wäre zu einfach. Das Internet ist kaputt, sagt Sascha, der sonst nicht die großen Worte liebt. Denn Sascha, oh Sascha, hat am eigenen irokesischen Körper den allgemeinen Narzissmus durchlitten, den jede Gesellschaft erfährt, die den Widerspruch zwischen Selbstbild und Realität nicht aushalten kann. Was bei Sascha übrigens ein schwer religiöses Selbstbild war, Paradies inklusive: "Mit dem Netz hatte sich der bisher vielfältigste, zugänglichste Möglichkeitsraum aufgetan, stets schwang die Utopie einer besseren Welt mit." Als hätte Ernst Bloch und nicht, ähem, Googles Vint Cerf das Internet konstruiert.

*** Wie war das eigentlich mit der besseren Welt, bevor Sascha Lobo sich aufmachte, die verschiedenen Stämme der "Netzgemeinde" in dieses Paradies zu führen? Wer das dicke Arpanet Sourcebook durchblättert oder die vielen, vielen Bücher zur Entstehung des Internet durchforstet, wird nicht wirklich fündig werden. Die Passage, die am ehesten an eine bessere Welt erinnert, stammt von Joseph C. Licklider und Robert Taylor, die in The Computer as a Communication Device schrieben:

"Unemployment would dissappear from the face of the earth forever, for consider the magnitude of the task of adapting the network’s software to all the new generations of computer, coming closer and closer upon the heels of their predecessors until the entire population of the world is caught up in an infinite crescendo of on-line interactive debugging."

*** Vergesst Sisyphos, den glücklichen Menschen. Die bessere Welt ist eine Erde, auf der ein glücklicher, lauter Haufen eifrig debuggender Fefes lebt – was für eine anheimelnde Utopie. Die Probe des Puddings sieht anders aus, allein schon deswegen, weil die Überwachung der NSA alles andere als effektiv ist. Wie sagte Obama? "Wir werden uns nicht entschuldigen, nur weil unsere Dienste vielleicht effektiver sind." Diese unsere, ach so schlechte Welt müsste beben vor Lachen über ihn, angesichts der effektiven Dienste.

*** Und was ist das Internet, wenn es nicht kaputt ist? Der Puddingprüfer bringt es auf den Punkt:

"Ein sehr sehr mächtiges, sehr sehr vielfältiges, schnelles, wundervolles Kommunikationsmittel, das zum Beispiel mir viel Freude, so ziemlich alle meine wenigen Freunde, viele Informationen und Einsichten und einen Großteil dessen, was mir Spaß macht, beschert. Damit will ich es nicht abwerten, im Gegenteil. Kommunikation ist, womit wir die Welt verändern müssen, wenn wir es wollen, denn anders geht es nicht."

*** Aber wie geht sie noch, die gute alte Kommunikation? Nach der Kritik an GSMK und dem mangelnden Willen, mit etwas Crowdfunding ein Cryptophone für diejenigen zu bauen, die über das Hamstern der NSA hinausdenken, ist es interessant, wie rockig und applemäßig sich Blackphone auf seinen Webseiten präsentiert. Man sieht Werbung für ein Abenteuer, für eine Reise in unbekannte Gebiete. Nur logisch, dass da deutsche Hacker aus dem CCC-Umfeld unruhig werden und den Vergleich zur Homöopathie bemühen, lange bevor das sichere Smartphone überhaupt erschienen ist. Vielleicht ist die aufdringliche Machart der Tatsache geschuldet, dass Blackphone auf dem schreiend bunten Mobile World Congress in Barcelona debütiert. Vielleicht ist es Pose, wie das "All-Star-Team" der Kryptographen, die am Projekt mitarbeiten. Immerhin soll das Produkt dank Open Source überprüfbar sicher sein. Es ist nicht schlecht, wenn der Maker-Impuls zu widerständiger Hardware führt, wie Pond-E-Mail in der Software. Baut neue Netze, dann zittert das Establishment. Oder so ähnlich. Es ist alles eine Frage von Macht und Gegenmacht.

*** Saschas viele Worte toppte in dieser Woche der Internet-Skeptiker Evgenij Morozov mit der Erkenntnis, dass das Internet keine Geiseln nimmt. Wer keine Geiseln nimmt, tötet und zerstört. Das Internet ist nicht kaputt, sondern macht kaputt, und wie! Morozov merkt natürlich, dass das Internet von allein nicht einmal der kleinsten Wanze etwas tut und so müssen sie her, die "Internetexperten" und ihre Spur der Vernichtung. Die Staaten und ihre Dienste tun nichts gegen sie, selbst die Wirtschaftspolitik haben sie aufgegeben. Wer so auf diese Experten drischt, braucht nicht einmal die NSA oder andere böse Dienste zu erwähnen. Der Fairness halber sei gesagt, dass es in der Debatte auch gute Beiträge gab, etwa Obama, Merkel, and the Bridge to an Information Civilization, den ein durchgeknallter Algorithmus mit "Wir stehen vor dem Abgrund, Mr. President" übersetzte. Sind wir heute schon einen Schritt weiter?

*** Die Frage ist, was das Internet und all die übrige neue Technik den Vielen gebracht hat. Ein besseres Leben, erfüllte Arbeit, gar Vollbeschäftigung und glückliches Debugging für Jedermann? Gerade weil dies nicht stimmt, geht niemand auf die Straße und empört sich über Spion und Spion. Insofern hat Shoshana Zuboff recht:

"Ein ganzes Füllhorn 'revolutionärer' Technologien hat nur wenig Revolutionäres bei all den Dingen bewirkt, die wirklich bedeutsam für eine erfolgreiche neue Zivilisation wären: gemeinsamer Wohlstand, demokratische Werte, Rechtsstaatlichkeit, breite gesellschaftliche Partizipation, Lösung von Umweltproblemen und Ressourcen für individuelle Verwirklichung auf allen Ebenen der Gesellschaft. Zusammen ergibt das eine schwierige Lektion: Nicht Technologien erschaffen erfolgreiche Zivilisationen. Das können nur Menschen."

*** Wie naiv klingt dagegen das Gerede der homini davosiensi atque occulti: Die Technologie versteht uns immer besser. Beim anlaufenden Davos-Auftrieb in München darf man gespannt sein, was für eine Rede Perry Barlow von der Freedom of the Press Foundation halten wird. Mit seiner seltsamen, vor 18 Jahren in Davos vorgetragenen Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace begann die Verguckung in eine bessere Welt:

"Regierungen der industriellen Welt, Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft bitte ich Euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Laßt uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht willkommen. Wo wir uns versammeln, besitzt Ihr keine Macht mehr."

Heute dürften Giganten wie Google und Amazon bei diesen Worten höflich schmunzeln, mit Beifall aus der Geheimdienstecke. Denn dort, wo sie sich versammelten, in virtuellen Welten, da war man beizeiten munter dabei.

Was wird.

Der nächste Feiertag ist christlich geprägt und erinnert an die Bedeutung der sozialen Kommunikationsmittel. Zuletzt wurden da soziale Netzwerke im kaputten Internet als "Portale der Wahrheit und des Glaubens" geehrt. Wie wäre es diesmal, die Wahrheit und Ehrlichkeit von TK-Providern zu feiern, so wahr ihnen Gott helfe. Denn das, was unsere neue Regierung mit der Vorratsdatenspeicherung jetzt vorhat, gehört in die Kategorie des "Glaubens an übernatürliche Wesen". Das vollständige aktuelle Interview mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière macht auch den Klügsten ratlos. Da fragt der Interviewer ganz harmlos, wie denn die Sicherheit der bei den Providern gespeicherten Vorratsdaten gewährleistet ist und bekommt die Antwort: "Das ist ein sehr wichtiger Punkt, auf den es noch keine befriedigende Antwort gibt." Nach all den Enthüllungen über NSA und GCHQ ist diese Antwort erschreckend, auch wenn der Minister neu (im alten Amt) ist. Eine revisionssichere, allen Forensik-Standards genügende, mit zukunftssicherer Verschlüsselung arbeitende Zugriffsmethode müsste längst vom BSI für Ermittler entwickelt worden sein. Wenn dies nicht der Fall ist, ist die beabsichtigte Vorratsdatenspeicherung genau das, was die Kritiker befürchten: Der Einstieg in die Totalüberwachung. Auch wenn alles Folklore sein soll. (anw)