Behörden und Experten streiten über heimliche Online-Durchsuchungen (Update)

Die Behörden müssten mit den technischen Entwicklungen Schritt halten können; das Internet habe sich zu einem zentralen Kommunikationssystem für Terroristen entwickelt, meinem Strafverfolger. Informatiker halten die Maßnahme nicht für sinnvoll.

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Von
  • Jürgen Kuri

Die obersten Sicherheitsbehörden in Bayern halten heimliche Online-Durchsuchungen von Computern zur Terrorabwehr für unerlässlich, berichtet dpa von einer Expertenanhörung im Innenausschuss des bayerischen Landtags. Die Behörden müssten mit den technischen Entwicklungen Schritt halten können, betonten Verfassungsschutz-Präsident Wolfgang Weber und der Chef des Landeskriminalamtes, Peter Dathe. Der Dresdner Informatik-Professor Andreas Pfitzmann argumentierte dagegen, Online-Durchsuchungen seien "nicht reif genug" für den Einsatz in der Praxis. Zudem werde man technisch versierte Terroristen damit ohnehin nicht fassen. Er riet der Staatsregierung, auf ihren Gesetzentwurf zu Online-Durchsuchungen zu verzichten.

Weber betonte, das Internet habe sich zu einem zentralen Kommunikationssystem für Terroristen entwickelt. Im "extremen Einzelfall" müsse den Behörden deshalb das Mittel von Online-Durchsuchungen zur Verfügung stehen. Dathe warnte davor, die Behörden bewusst "blind" zu halten. Beide betonten, der Gesetzentwurf der Staatsregierung sei richtig und notwendig. Sie verwiesen auf eine nach wie vor bestehende Gefahr eines islamistischen Anschlags auch in Bayern.

Heimliche Online-Durchsuchungen von privaten PCs sollen in Polizei- und Verfassungsschutzgesetze auf Länder- wie auf Bundesebene eingebaut werden. Allerdings sind heimliche Online-Durchsuchungen laut einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Zugleich begründeten die Verfassungsrichter in ihrer Entscheidung vom Februar dieses Jahres ein umfassendes Grundrecht auf die Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen, in das nur unter Beachtung hoher Hürden eingegriffen werden darf.

Bayern will mit einer Überarbeitung seines Verfassungsschutzgesetzes eigene Regeln für heimliche Online-Durchsuchungen aufstellen, die in dem Bundesland selbst höchst umstritten sind. Nach Ansicht der Landesregierung entsprach das schon vor dem Urteil aus Karlsruhe vorgelegte Gesetz den dann in der Entscheidung der Verfassungsrichter gemachten Vorgaben. SPD, FDP und Linke lehnten das Vorhaben entschieden als übertrieben ab.

Auf Bundesebene soll mit dem geplanten "Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt" das BKA mehr Ermittlungsinstrumente und -befugnisse an die Hand bekommen, dazu zählt auch die heimliche Online-Durchsuchung. Der Entwurf zum BKA-Gesetz war im vergangenen Jahr unter anderem vor dem Hintergrund des so genannten Bundestrojaners ausgiebig debattiert und kritisiert worden. Im April dieses Jahres konnten sich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble über letzte zwischen ihnen strittige Punkte einigen. Ermittler sollen nun nicht mehr in Wohnungen eindringen und den Bundestrojaner direkt vor Ort auf einem Zielrechner installieren dürfen. Die verdeckte Online-Durchsuchung soll "nur per Kabel" erfolgen. Bislang ist allerdings umstritten, ob der Entwurf zum BKA-Gesetz den Vorgaben des Bundesverfassungsgericht wirklich entspricht.

(Update):
Während der Anhörung im Innenausschuss des bayerischen Landtags meinte Pfitzmann laut dpa, kein Terrorist werde "so dumm" sein, dass er seinen Rechner dauerhaft ins Netz hänge. Wem der Schutz seiner persönlichen Daten wichtig sei, der habe seinen Computer immer bei sich. Deshalb werde man mit Online-Durchsuchungen nur den "Dummen und Naiven" auf die Schliche kommen.Beim Aufspielen von Spähprogrammen auf einen Rechner über das Internet könnten zudem auf diesem Rechner durchaus Schäden entstehen – obwohl die Chefs der Sicherheitsbehörden "in gutem Glauben" das Gegenteil versprächen. Dieses "Unwissen" mache ihn "fassungslos", meinte Pfitzmann. Deshalb müsse – wenn überhaupt – vor Computer-Überwachungen auch das Eindringen in Wohnungen erlaubt werden, um Spähprogramme direkt und nicht über das Internet aufspielen zu können. Der bayerische Gesetzentwurf sieht dies im Gegensatz zu den Plänen der großen Koalition in Berlin vor.

Genau diesen Aspekt hält die Berliner Jura-Professorin Rosemarie Will allerdings für verfassungswidrig. Sie argumentierte, um das Eindringen in Wohnungen zu erlauben, müsste Artikel 13 Grundgesetz geändert werden – ähnlich wie bei der Einführung des Großen Lauschangriffs. Solange dies nicht geschehe, sei der bayerische Gesetzentwurf verfassungswidrig, sagte Will. Entsprechend argumentierte auch der Berliner Rechtsanwalt Fredrik Roggan. Er sah auch an anderen Stellen "erheblichen Nachbesserungsbedarf".

Die Jura-Professoren Markus Möstl (Bayreuth) und Dirk Heckmann (Passau) sagten dagegen, die bayerischen Gesetzespläne seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Heckmann lobte, dass es sich bei dem Vorhaben um ein transparentes und umfassendes Konzept handle. Er sprach als Fazit von einem "rechtsstaatlich begrüßenswerten Gesetz".

Derweil fordert die bayerische Landesregierng den Einsatz von heimlichen Online-Durchsuchungen gegen Kinderpornografie. In einer Bundesrats-Initiative verlangt die CSU-Staatsregierung eine Änderung des Strafrechts, um Polizei und Staatsanwaltschaften bei der Strafverfolgung die Installation von Spionage-Software in Computern zu erlauben. Neben Kinderpornografie soll die Online-Ausforschung auch bei Sexual- und schweren Gewaltverbrechen sowie Terrorverdacht möglich sein. Der Staat habe die Verpflichtung, seine Bürger zu schützen, sagte Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU). Die Opposition lehnte die Forderungen ab.

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(jk)