Verkehrsunfälle: Zunehmende Smartphone-Nutzung am Steuer

Zehn Prozent aller Verkehrsunfälle passieren, weil der Fahrer abgelenkt ist, so eine Studie. Neben Navi, Radio oder lauten Kindern auf dem Rücksitz zieht besonders das Smartphone die Aufmerksamkeit magisch an.

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  • dpa
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Lange unterwegs, Berufsverkehr in der Stadt? Die Versuchung, schnell mal mit dem Smartphone Kontakt aufzunehmen, können viele Autofahrer nicht widerstehen.

(Bild: dpa, Michael Reynolds)

Noch eine Stunde bis nach Hause, die Strecke zieht sich und die Landstraße ist fast leer. Die Neugierde siegt: Zwei, drei Klicks, das Smartphone leuchtet auf und zeigt die neuesten SMS, Whatsapp-Nachrichten, Facebook- oder Twitter-Einträge. Auch in der Stadt droht an der roten Ampel Langeweile. Und das Stop-and-Go im Berufsverkehr lässt es ebenfalls in der Telefonhand kribbeln. Immer mehr Autofahrer können da nicht widerstehen und greifen zu. Und immer öfter passieren Unfälle, bei denen die Polizei den Verdacht hat, dass die Fahrer Nachrichten gelesen oder getippt haben.

Angesichts der weiten Verbreitung von Smartphones nimmt nach Einschätzung der Polizei auch die verbotene Nutzung am Steuer immer mehr zu. Gleichzeitig sind die gefährlichen Delikte kaum zu kontrollieren. "Die Dunkelziffer ist bei der Benutzung enorm hoch, das geht sicher in die Zehntausende", sagte der Leiter des Verkehrsbereichs bei der Berliner Polizei, Andreas Tschisch, der dpa. Diese Art der Ablenkung werde auch in Autos immer häufiger genutzt. "Die Freizeitentwicklung ist wesentlich schneller als unsere Kontrollmöglichkeiten."

Ein Sprecher des Innenministeriums von Nordrhein-Westfalen (NRW) sagte, es gebe kaum konkrete Zahlen, aber ein "großes Dunkelfeld". Mobiltelefone seien so in den Alltag vorgedrungen, dass es den Menschen schwer falle, länger auf sie zu verzichten, obwohl die Nutzung am Steuer lebensgefährlich sei. Rund 131.000 Verstöße gegen das Handyverbot am Steuer registrierte die Polizei in NRW im vergangenen Jahr. Zwischen Telefonieren und Lesen oder Tippen wird aber nicht unterschieden. Die Polizeibehörden räumen ein, dass es ausgesprochen schwierig sei, das Lesen von SMS zu beweisen. Smartphones, die unauffällig in der Hand gehalten würden, seien kaum zu sehen.

Das Thema ist heikel. Zwar appelliert die Polizei an die Vernunft der Autofahrer und droht mit strengen Strafen. Erwischt wird aber nur ein winziger Bruchteil der Handy-Nutzer. "Diese Ablenkung nebenbei hat absolut zugenommen und wird noch mehr zunehmen. Die Freizeitentwicklung ist wesentlich schneller als unsere Kontrollmöglichkeiten", meint Tschisch Für die Polizei sei es ausgesprochen schwierig, das Lesen von SMS zu beweisen. "Wenn jemand telefoniert, ist das von außen noch gut zu erkennen", sagt Tschisch. "Aber Smartphones, die Fahrer auf dem Bein liegen haben oder in der Hand halten, sind kaum zu sehen. Erst recht nicht bei den Geländewagen, in denen die Fahrer sehr hoch sitzen."

Zwar habe die Polizei in Berlin zuletzt nur 35 Unfälle im Jahr festgestellt, bei denen ein konkreter Verdacht bestand, dass der Fahrer las oder tippte. Das sei aber nicht überraschend. Nach einem Unfall lasse der Fahrer das Handy oft schnell verschwinden, weil die Versicherung sonst von Fahrlässigkeit ausgehe. "Die Dunkelziffer ist bei der Benutzung enorm hoch, das geht sicher in die Zehntausende", sagt Tschich.

Dabei ist die Gesetzeslage klar. Zwischen Tippen und Telefonieren wird nicht unterschieden. Das Benutzen eines Telefons ist verboten und kostet 40 Euro und einen Punkt. Beim Lesen oder Schreiben ist die Ablenkung noch viel größer als beim Telefonieren. Wer beim Tempo von 50 Kilometern pro Stunde zwei Sekunden auf ein Display sieht, fährt in der Zeit knapp 30 Meter weit. Auf der Landstraße bei 100 Stundenkilometern sind es knapp 60 Meter ohne direkte Sicht auf die Straße. Springt dann plötzlich ein Kind oder Tier auf die Straße oder bremst das vorfahrende Auto, kann das böse enden. Ein Verkehrspolizist berichtet von schlimmen Funden der Kollegen: "Bei tödlichen Unfällen gab es schon grauenvolle Umstände, wo jemand noch ein Handy in der Hand hatte mit halb eingegebener Pin."

In einer Studie der Allianz-Versicherung von 2011 gaben 30 Prozent der Befragten zu, sie würden ab und zu beim Fahren Nachrichten lesen. 20 Prozent sagten, sie würden auch schreiben. Bei den 18- bis 24-Jährigen lagen die Zahlen noch höher. Der deutsche Regisseur Werner Herzog drehte in den USA den Dokumentarfilm "Von einer Sekunde auf die andere", der von vier Verkehrsunfällen nach Ablenkung durch Telefone erzählt. Herzog schildert die Tragödien anhand von Gesprächen mit Unfallopfern und -verursachern.

In Deutschland sorgte kürzlich die Kölner Polizei für Aufsehen, weil sie nach Unfällen verstärkt Smartphones beschlagnahmen wollte. Die Daten sollten zeigen, ob Fahrer zur Unfallzeit ihr Handy nutzten. Die Zahl der Unfälle mit ungeklärter Unfallursache habe zwischen 2008 und 2013 um 56 Prozent zugenommen, vermutlich gebe es einen Zusammenhang zur steigenden Zahl von Smartphone-Nutzern, zitierten Zeitungen die Kölner Verkehrspolizei.

Inzwischen schweigt die Kölner Polizei zu dem Thema. Zuständig ist nun das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen. Einen Maulkorb für die Polizei gebe es nicht, sagt dessen Sprecher Jörg Rademacher. Allerdings sei das Thema etwas hochgespielt worden, sagt er. Leider seien die Telefone so in den Alltag vorgedrungen, dass es den Menschen schwer falle, länger auf sie zu verzichten.

Die Problematik dürfte in den kommenden Jahren noch zunehmen. Wenn die meisten Autos über Internet und Fernsehen verfügten, wachse die Gefahr der Ablenkung weiter, sagt ein Verkehrsexperte der Allianz. Nur gut, meint er, dass gleichzeitig auch automatische Sicherheitssysteme entwickelt würden. Die Zukunftsvision könnte also so aussehen: Während der Fahrer seinen Blick auf ein Display richtet, verhindert das automatische Abstandssystem mit einer Vollbremsung den Crash am Ende der Stauschlange.

Seit dem 01. April 2004 wird die Benutzung eines Handys für Telefonate ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt mit einem Bußgeld von 40 Euro und einem Punkt bestraft. Radfahrer zahlen 25 Euro. Laut Straßenverkehrsordnung (StVO) ist mit verbotener Benutzung sowohl das Telefonieren als auch die Eingabe von Text gemeint.

Im Paragraf 23, Absatz 1a, heißt es, die Benutzung sei dem Fahrer untersagt, "wenn er hierfür das Mobiltelefon oder den Hörer des Autotelefons aufnimmt oder hält. Dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht und (...) der Motor ausgeschaltet ist."

Nach Einschätzung von Experten der Polizei ist zum Beispiel das reine Ablesen einer Uhrzeit von einem Handy nicht zwingend verboten. Sobald aber eine Taste gedrückt werde, gehe der Gesetzgeber von einer nicht erlaubten Benutzung aus. (jk)