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Die Einschaltquoten des Konsumforschungsinstituts GfK galten lange Zeit als die härteste Währung im Fernsehgeschäft. Doch Digitalisierung und Vernetzung machen viel bessere Zuschaueranalysen möglich.

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Von
  • Ulf Schönert

Die Einschaltquoten des Konsumforschungsinstituts GfK galten lange Zeit als die härteste Währung im Fernsehgeschäft. Doch Digitalisierung und Vernetzung machen viel bessere Zuschaueranalysen möglich.

Wenn die Kunden des Telekom-Dienstes Entertain im Fernsehprogramm herumzappen, tun sie mehr, als bloß den Sender zu wechseln. Gleichzeitig mit dem Druck auf die Entertain-Fernbedienung informieren sie auch die Telekom darüber, dass sie nun etwas Neues schauen: Automatisch meldet das System den Kanalwechsel übers Internet an die Server des Konzerns. Denn die ans Internet angeschlossene Settop-Box kann Daten nicht nur empfangen, sondern auch senden.

Das macht sie eifrig, und nicht nur über das laufende TV-Programm. Auch Daten über die Nutzung von Mediatheken und Internet-Videotheken sammelt die Telekom. Ihr liegen die Informationen dann als "pseudonymisierte Profile" vor, also in Form von Datensätzen, die keinen Klarnamen zugeordnet werden können, bestätigt Konzernsprecher Malte Reinhardt. Es gehe dabei darum, "den eigenen Service zu verbessern". Der Kunde sei über das Verfahren informiert und könne die Datenübermittlung über eine einfache Menüfunktion jederzeit beenden.

Was die Telekom dadurch an Statistiken bekommt, ist ein Traum für Medienmacher und Werbetreibende. Noch nie in der Geschichte des Fernsehens war es möglich, so präzise zu erfassen, was das Publikum schaut, wie in Zeiten von Smart-TVs. Zwar gab es auch bisher schon TV-Quoten. Jeden Morgen gegen neun Uhr veröffentlicht die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) die Zahlen für das Fernsehprogramm des Vortages. Doch verglichen mit den detaillierten Informationen, die beispielsweise Online-Werbenetzwerken nahezu in Echtzeit zur Verfügung stehen, kommen diese relativ spät und sind recht allgemein.

Was die präzise Messung des Fernsehkonsums stets schwierig machte, ist der fehlende Rückkanal. TV-Sendungen werden nur in eine Richtung ausgestrahlt – in Richtung des Zuschauers. Ob der sein Gerät aber einschaltet oder nicht, wie er die Sendung findet, die er schaut, das erfuhr bis vor Kurzem niemand. Seitdem immer mehr Zuschauer im Internet sind, ist der Rückkanal auf einmal da.

Mittlerweile ist zwischen Sendern, Vermarktern und Start-ups ein wahrer Wettlauf entstanden, wer diese neue Möglichkeit am besten nutzt. Eine wichtige Rolle spielen dabei die sozialen Netzwerke. Sie können zwar selbst keine TV-Quoten ermitteln. Doch an ihnen kann man ablesen, welches Aufsehen ("Buzz") eine Sendung erzeugt. Zu diesem Zweck erwarb Twitter im Februar dieses Jahres den Marktforscher Bluefin, dessen Geschäft die Analyse von TV-Tweets ist. Auch Facebook wertet systematisch aus, was und wie viel über einzelne Sendungen geschwatzt wird. In den USA bekommen die großen Fernsehanbieter ABC, NBC, CBS und Fox bereits entsprechende Daten zur Verfügung gestellt. Bald soll dieser Facebook-Service auch nach Deutschland kommen. Mit dem ZDF gab es darüber bereits Gespräche.

Auch das Berliner Start-up-Unternehmen Couchfunk nimmt einen Umweg, um das Fernsehpublikum besser kennenzulernen. Bei Couchfunk können die Nutzer über das Fernsehprogramm chatten, bevorzugt während des Guckens nebenher auf einem "Second Screen". "Dabei erheben wir zwei Dinge: Erstens, wer unsere App besucht. Und zweitens, wer interagiert", sagt Frank Barth von Couchfunk. Daraus ließen sich bei einer Nutzerbasis von 250000 pro Tag sehr viele Rückschlüsse auf das Sehverhalten ziehen nach dem Schema: Wer "Gute Zeiten, Schlechte Zeiten" schaut, interessiert sich wahrscheinlich auch für "Unter uns".

Anders als in den USA, wo der Streamingdienst Netflix das Zuschauerverhalten bereits umfassend bis hin zu Aufenthaltsort und verwendetem Gerät auswertet, sind die Anbieter in Deutschland noch zurückhaltender – behauptet zumindest Helge Buchheister vom Kabelnetzbetreiber Unitymedia: "Bei unseren neuen Settop-Boxen wäre die Protokollierung entsprechender Daten technisch möglich, wird von uns jedoch aufgrund von Datenschutzbestimmungen nicht durchgeführt." Zwar enthalte das neue Internetangebot Horizon eine Funktion, die Empfehlungen auf Basis des Nutzerverhaltens gibt: Wer gern Sport sieht, erhält Hinweise auf laufende oder kommende Sendungen. "Zur Aktivierung der Funktion ist aber explizit die vorherige Zustimmung des Kunden erforderlich", erläutert Buchheister.

Dass das Einverständnis nicht immer abgewartet wird, zeigt das Beispiel HbbTV. Diese Technologie ist eigentlich eine multimediale Variante des herkömmlichen Videotextes, die sich wie eine durchsichtige Internetseite über das TV-Bild legt. Die Sender stellen die HbbTV-Inhalte bereit. Um sie auf dem Fernseher anzeigen zu können, wird mit dem TV-Signal eine unsichtbare Internetadresse ausgestrahlt. Sie sorgt dafür, dass auf Knopfdruck des Zuschauers zum Programm passende Internetinhalte einblendet werden können. Voraussetzung ist ein mit dem Internet verbundener Fernseher. Bei neueren Modellen ist HbbTV serienmäßig fest installiert.

Doch HbbTV informiert nicht nur die Zuschauer. Es ermöglicht Werbetreibenden erstmals, Genaueres über die TV-Gewohnheiten herauszufinden. Denn HbbTV arbeitet wie herkömmliche Web-Technologie auch mit Cookie-Dateien, die Informationen über die Nutzer abspeichern. Eine der ersten Firmen, die diese Möglichkeit ausnutzen, ist Teveo aus Hamburg, ein Start-up, das schon L'Oréal, Edeka und Disney zu seiner Kundschaft zählt.

"TV-ID" heißt das von Teveo entwickelte Verfahren. Bei ihm muss sich der Zuschauer zwar erst einmal registrieren, indem er einen auf dem Bildschirm per HbbTV-Technologie eingeblendeten Code in ein Webformular eingibt. Sobald er das jedoch getan hat – beispielsweise angelockt durch ein Gewinnspiel – , wird er in der Teveo-Datenbank gespeichert und auf seinem Gerät ein entsprechender Cookie gesetzt. Von nun an ist es möglich, sein Fernsehverhalten nachzuvollziehen. "TV-ID entanonymisiert das Fernsehen", sagt Teveo-Gründer Andreas Karanas. "In Zukunft wird alles, was bei der Internetwerbung geht, auch beim Fernsehen möglich sein."

Das glaubt auch ein Forscherteam der Technischen Universität Darmstadt, das kürzlich Daten untersucht hat, die HbbTV-Fernseher aussenden. Was genau da übertragen wurde, konnten die drei Wissenschaftler zwar nicht klären. Doch zeigten sie sich "überrascht, wie viele Daten dort wie häufig ausgesendet wurden", so Teammitglied Marco Ghiglieri. Adressaten der Daten waren unter anderem die Server großer Werbetreibender wie Google Analytics, Chartbeat und Webtrekk. Besonders pikant: Die Daten wurden auch bei Fernsehern übertragen, bei denen der Zuschauer gar keine HbbTV-Inhalte abgerufen hatte. Fernsehen mit Internetanschluss reichte aus, um den Datenverkehr loszutreten.

Noch genauere Rückschlüsse auf das Fernsehverhalten erlaubt das Konzept, das Microsoft-Marketingchef Yusuf Mehdi anlässlich der Vorstellung der neuen Spielkonsole Xbox One entworfen hat. Seinen Plänen zufolge soll die Settop-Box permanent eine Kamera auf das Publikum vor dem Bildschirm richten. Dadurch kann sie nicht nur erfassen, was geschaut wird, sondern auch, wie viele Zuschauer sich im Raum befinden. Sogar die Emotionen kann das Gerät registrieren, denn die hochauflösende Xbox-Technologie ist in der Lage, Gesichtsausdrücke voneinander zu unterscheiden und die Herzfrequenz der Zuschauer zu messen. "Es werden aber keine persönlichen Daten gesammelt und mit Dritten geteilt oder gar verkauft", versichert Philipp Schneider vom Xbox-PR-Team.

Dennoch: Das Misstrauen ist erst einmal da. Kritiker warnen bereits vor der Xbox als "Spion im Wohnzimmer". Zwar hat Microsoft inzwischen kleinere Änderungen am Xbox-Konzept bekannt gegeben. Demnach wird man das Gerät in Zukunft auch ohne eingeschaltete Kamera und Onlinezwang nutzen können. Doch die Technologie des totalen Trackings ist in der Welt – und wird früher oder später zum Einsatz kommen. (bsc)