IANA ohne US-Kontrolle: Ausverkauf oder Schritt Richtung Freiheit?

Geteilter könnten die Meinungen zur Aufgabe der Kontrolle der obersten Internet-Organisation durch die USA kaum sein. Die EU-Kommission freut sich - und konservative US-Kommentatoren fürchten die Machtübernahme des "bösen Wolfs" UNO.

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Von
  • Monika Ermert

Beifall einerseits, Bestürzung über die “Aufgabe des Internet durch Obama” anderseits waren die Reaktionen auf die Ankündigung der USA, ihre Kontrolle über die Internet Assigned Numbers Authority (IANA) und damit die Rootzone des Domain Name System abzugeben. Rasch begrußt wurde der Schritt unter anderem von EU-Kommissarin Neelie Kroes. Kroes sprach von einem großen Schritt in Richtung globale Selbstverwaltung für eine Kernaufgabe im Netz.

Neelie Kroes, Vize-Präsidentin der EU-Kommission: "Dieser Schritt kommt zur rechten Zeit. Die EU-Kommission wird mit den USA und allen anderen Beteiligten gemeinsam daran arbeiten, die verschiedenen IANA-Funktion wahrhaft transparent zu organisieren, um die Freiheit des Internet und die Menschenrechte zu untermauern.

(Bild: EU-Kommission)

Konservative Stimmen in den USA und Kanada beschrieen dagegen die Entscheidung praktisch als Ausverkauf von Internet und Informationsfreiheit durch Obama. Das Magazin Politico berichtete nur einen Tag nach der Freitag Abend von der National Telecommunications and Information Administration verbreiteten Meldung von harscher Kritik aus Kreisen der republikanischen Partei. Der “Ausverkauf des Internet” durch Obama könne zum Schlachtruf der Republikaner bei den bevorstehenden Midterm Elections werden, kommentierte die ehemalige republikanische Abgeordnete Mary Bono. Konservative Kommentatoren warnten wechselweise davor, die Aufgabe der US-Rolle bedrohe die Meinungs- und Informationsfreiheit, oder davor, dass letztlich eine hinter dem Multi-Stakeholder-Modell verborgene “beutegierige Wolf Vereinte Nationen” lauere.

Eine Übergabe der Kontrolle an ein Regierungsgremium oder eine internationale Regierungsorganisation wie die UN hatte die NTIA in ihrer Ankündigung allerdings explizit ausgeschlossen. Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), die die IANA-Aufgaben unter Vertrag mit den USA wahrnimmt, soll vielmehr ein von der internationalen Gemeinschaft getragenes Selbstverwaltungsmodell vorschlagen. ICANN-Chef Fadi Chehadé hatte Freitagnacht bereits einen strammen Zeitplan dafür angekündigt, aber auch betont, dass Regierungen als Partner in der Selbstverwaltung durchaus Partner in einem Multi-Stakeholder-Modell sein könnten.

Positiv geäußert hatten sich auch eine große Gruppe technischer Organisationen, teils selbst “Kunden” der IANA-Funktionen, wie die regionalen IP-Adressverwalter und die Internet Engineering Task Force (IETF). Rückendeckung für das NTIA-Vorgehen gab es daher auch aus dem Wirtschaftsausschuss des Senats, und zwar bemerkenswerterweise von demokratischer wie von republikanischer Seite. Die private Netzverwaltung brauche keine staatliche Nanny und keinen staatlichen Nanny-Club, sagte der Republikaner John Thune. Der Wirtschaftsausschuss werde die Vorbereitungen für die Übergabe genau beobachten, kündigte Thune gleichzeitig an.

Die US-Verwaltung könne am Ende durchaus noch entscheiden, den am 30. September 2015 auslaufenden IANA-Vertrag mit der ICANN nochmals zu verlängern, wenn ihr das vorgeschlagene Modell nicht gefalle, sagte Wolfgang Kleinwächter, Mitglied des ICANN-Direktoriums gegenüber heise online. Der Vertrag sieht zwei Zweijahres-Verlängerungen im Prinzip vor. Kleinwächter nannte den Rückzug der US-Verwaltung zu allererst eine Anerkennung, dass die Selbstverwaltung im Netz im Zusammenspiel von ICANN, IETF, RIRs und anderen technischen Gremien den Kinderschuhen entwachsen seien und die für das Funktionieren des Netzes notwendigen Funktionen erfüllen könnte. Snowdens Beitrag nannte er lediglich den eines “Brandbeschleunigers” und widersprach gleichzeitig der Charakterisierung der Rootzonenaufsicht als einer umfassenden “Kontrolle über das Internet”.

Erste Stimmen mahnen angesichts der künftigen möglichen Machtfülle der Selbstverwaltung ICANN jedoch auch dazu, über eine Trennung von Regelsetzung und operativem Betrieb der Rootzone nachzudenken. Schließlich bekannte sich ICANN-Chef Chehadé am Freitag auch zu einer weiteren „Globalisierung“ des Affirmation of Committments. Das AoC ist eine zusätzliche Vereinbarung zwischen ICANN und der NTIA, die quasi Multi-Stakeholder-Audits für ICANN vorsieht und den USA noch gewisse Privilegien einräumt. Einerseits sind US-Regierungsvertreter bei einzelnen Audits grundsätzlich vertreten, andererseits ist die USA als Sitzland festgelegt. (it)