Immer tiefer, immer riskanter

Peak Oil? Von wegen. Kilometertief unter den Meeresböden schlummern gigantische Ölvorkommen. Mit gewaltigem technischen Aufwand wollen Förderfirmen das Schwarze Gold aus der Tiefe bergen – trotz Katastrophen wie bei „Deepwater Horizon“.

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Von
  • Jan Oliver Löfken

Peak Oil? Von wegen. Kilometertief unter den Meeresböden schlummern gigantische Ölvorkommen. Mit gewaltigem technischen Aufwand wollen Förderfirmen das Schwarze Gold aus der Tiefe bergen – trotz Katastrophen wie bei „Deepwater Horizon“.

Vor vier Jahren havarierte die Plattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko und verursachte die größte Ölpest der Geschichte. Schlamperei und fragwürdige Entscheidungen im Vorfeld der Katastrophe kosteten elf Menschen, unzählige Seevögel und Fische das Leben. Fischerei und Tourismus kamen in der betroffenen Region weitestgehend zum Erliegen. Strafen und Folgekosten von zusammen über 28 Milliarden Euro stürzten den verantwortlichen Energiekonzern BP in seine bislang schwerste Krise. Auch wenn Mikroorganismen überraschend schnell große Mengen der geschätzten 800 Millionen Liter ausgetretenen Öls wieder abbauten, lassen sich bis heute alle Umweltbelastungen nicht komplett absehen.

Wer nun erwartet, dass die Ausbeutung der Ölvorkommen unter den Ozeanen in der Tiefsee pausieren würde, irrt gewaltig. Das Memorandum, mit dem die US-Regierung entsprechende Bohrungen stoppte, währte gerade mal sechs Monate – und gibt ein Bild davon, was wirklich ansteht: ein Boom bei der Ölförderung, Tausende Meter unter dem Meeresspiegel. Über die Hälfte aller seit 2006 neu entdeckten Ölvorkommen befinden sich in Tiefseeregionen. „Die Schwerpunkte der weltweiten Offshore-Aktivitäten liegen im sogenannten ,Goldenen Dreieck‘ zwischen dem Golf von Mexiko, vor den Küsten Brasiliens und von Westafrika“, sagt Peter Reichetseder, Professor für Erdöl- und Erdgastechnik und Lehrbeauftragter für Offshoretechnik an der TU Clausthal. Schätzungen gehen von über 30 Milliarden Tonnen Rohöl allein in dieser Region aus. Jedes Jahr werden neue Vorkommen entdeckt.

Insgesamt beziffert die Internationale Energieagentur (IEA) die heute zugänglichen, konventionell genannten Offshore-Ölvorkommen auf etwa 122 Milliarden Tonnen. Unkonventionelle, also mit bisher verfügbarer Technik nicht wirtschaftlich förderbare Vorkommen könnten – noch nicht entdeckte Lagerstätten eingeschlossen – diese Zahl noch deutlich übersteigen. Allein unter dem Meeresboden der Arktis etwa sollen dem United States Geological Survey zufolge 90 Milliarden Tonnen Öl schlummern. Zudem verschiebt sich die Grenze zwischen konventionellen und unkonventionellen Quellen stetig: Die Kosten für die Ölförderung aus der Tiefsee rangieren je nach Fundort und Tiefe derzeit zwischen 40 und 90 Dollar pro Barrel. So werden bei einem dauerhaften Marktpreis um die 100 Dollar langfristige Investitionen zunehmend interessant. Hinzu kommt, dass die Kosten Gestaltungsspielräume lassen. „Der größte Block sind meistens die Steuern und Abgaben in den einzelnen Ländern“, sagt Reichetseder. „Das wird in der öffentlichen Diskussion häufig vergessen.“

Immer mehr Vorkommen rücken damit in den Fokus. Nach dem jüngsten „World Energy Outlook“ der IEA wird sich der Anteil der Offshore-Förderung an der gesamten Erdölgewinnung weltweit von derzeit sieben Prozent spätestens bis 2035 verdoppeln. Optimistischere Studien sehen diese Verdoppelung sogar bis zum Ende dieses Jahrzehnts. Werften – meist in Südkorea – werden bis zum Jahr 2020 Dutzende Bohrschiffe vom Stapel gelassen haben.

Die derzeit wohl größte Hoffnung setzen Energieanalysten auf die Erschließung der brasilianischen Lagerstätten. Das Vorhaben würde selbst in der Erdölbranche, die an gigantische Projekte gewöhnt ist, neue Maßstäbe setzen: Die Vorräte liegen in 2000 bis 4000 Meter Wassertiefe. Ab dort müssen die Bohrer noch bis zu sieben Kilometer dicke Gesteins- und Salzschichten durchdringen. Allein die Erschließung des Libra-Ölfelds 180 Kilometer vor der Küste Rio de Janeiros könnte bis 2020 Investitionen von 130 Milliarden Euro verschlingen. Dafür warten dort bis zu 1,6 Milliarden Tonnen Rohöl. Ein Konsortium aus dem staatlich kontrollierten Konzern Petroleo Brasileiro, kurz Petrobras, Shell, Total und den beiden chinesischen Energiefirmen CNPC und CNOOC wagt sich nun daran. Sie hatten als einziger Bieter in einer medienwirksamen Auktion im vergangenen Oktober den Zuschlag erhalten – für umgerechnet etwa fünf Milliarden Euro. Zusätzlich steht laut Vertrag dem brasilianischen Staat 41,65 Prozent des geförderten Öls zu. In Rio de Janeiro gab es dennoch teils gewalttätige Proteste gegen diesen Ausverkauf heimischer Ressourcen.

Aber das Vorhaben birgt nicht nur politischen Sprengstoff. Die Konzerne wagen sich auch in einen Bereich vor, der kaum noch Fehler verzeiht. Ein Vorreiter ist das US-Unternehmen Transocean. Es war der Betreiber der havarierten Deepwater Horizon – seiner Stellung als Weltmarktführer für Tiefsee-Bohrschiffe aber konnte das Unglück nichts anhaben. Schon heute stellt Transocean 27 Schiffe für Probe- und Förderbohrungen in bis zu 3700 Meter Wassertiefe für Tagesraten von mindestens einer Million Dollar zur Verfügung. Wegen der großen Nachfrage seitens der Ölkonzerne werden bis 2017 weitere sieben Schiffe folgen.

(jlu)