EuGH-Urteil: Weiter Streit über Vorratsdatenspeicherung

Die Bundesregierung will das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen die Vorratsdatenspeicherung genau prüfen. Während sich der Innenminister eine schnelle Wiedervorlage wünscht, wollen Gegner die Pläne endgültig einmotten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 35 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis
Vorratsdatenspeicherung

Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) die EU-Richtline zur Vorratsdatenspeicherung gekippt hat, erklärten Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag in Berlin, dass die entsprechende Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag hinfällig sei und sie das Urteil zunächst sorgfältig auswerten wollen.

Dabei betonte de Maizière, dass laut EuGH nur "die konkrete Ausgestaltung" der Richtlinie mit Grundrechten unvereinbar sei. "Mindestspeicherfristen" bleiben für den Innenminister "ein wichtiges Mittel für die Aufklärung schwerer Straftaten". Er drängt "auf eine kluge, verfassungsgemäße und mehrheitsfähige Neuregelung", da "wir dieses Instrument dringend benötigen". Maas hingegen will das weitere Verfahren und die Konsequenzen "ergebnisoffen" besprechen.

Insgesamt zeigt sich die große Koalition in der Überwachungsfrage nach wie vor gespalten. Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, hatte sich bereits vor dem Urteil für einen zweiten Anlauf ausgesprochen: "Die Vorratsdatenspeicherung ist und bleibt notwendig, weil es für die Abwehr und Aufklärung vieler Straftaten oft nur elektronische Spuren und keine anderen Beweismittel gibt", sagte der CDU-Politiker der Welt.

Der Medienexperte der CDU-CSU-Bundestagsfraktion, Marco Wanderwitz, erregte auf Twitter mit seiner Einschätzung der Entscheidung als "Feiertag für das organisiertes Verbrechen" viel Beachtung. Dorothee Bär, Vorsitzende von CSUnet und Staatssekretärin im Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, freute sich derweil, dass "eine verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung vom Tisch" sei.

Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, betonte, dass die Sozialdemokraten keinem neuen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zustimmen wollten. "Man ist gut beraten, einen Gang zurück zu schalten", sagte er der Mitteldeutschen Zeitung. Es gelte zu überlegen, "wie es mit der Richtlinie überhaupt weiter geht". Der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil sprach von einem "guten Tag für Grundrechte".

Der Innenexperte der SPD-Fraktion, Michael Hartmann, hatte vorab hingegen eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung für nötig gehalten. Sie dürfe aber "nur bei schweren und schwersten Straftaten in die Persönlichkeitsrechte der Bürger eindringen". Er sieht die Regierung gefordert, mit "einem eigenen Gesetz einen guten Vorschlag für eine verbesserte neue Richtlinie zu liefern".

Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger betonte, dass "Ausspähen und Ausschnüffeln mit der Vorratsdatenspeicherung in die Geschichtsbücher gehören". Es sei nun "Zeit zur Umkehr". Die FDP-Politikerin hatte sich während ihrer Amtszeit gegen eine Umsetzung der EU-Vorgaben massiv gesperrt. Der Grüne Malte Spitz, der die Vorratsdatenspeicherung anhand seiner eigenen Mobilfunkdaten 2011 anschaulich gemacht hatte, sprach von der "wichtigsten Entscheidung für Datenschutz im 21. Jahrhundert". Das Urteil mache deutlich, dass sich "Kampf für Freiheit und gegen Überwachung lohnt".

EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, die lange die Vorratsdatenspeicherung befürwortet hatte, sieht sich nun in den "kritischen Schlussfolgerungen" aus dem Evaluierungsbericht Brüssels bestätigt. Sie werde weitere Schritte im Licht der Überprüfung der "E-Privacy"-Richtlinie" und der geplanten Datenschutzreform vorbereiten. Der Innenexperte der Grünen im EU-Parlament, Jan Philipp Albrecht, bejubelte einen "Befreiungsschlag für die Bürgerrechte". Der tiefe Eingriff in den Datenschutz müsse nun endgültig beendet werden.

Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff begrüßte die Klarstellung. Auch wenn der EuGH das Mittel nicht grundsätzlich als ungeeignet verworfen habe, habe er doch deutlich gemacht, "dass die Richtlinie Grenzen überschreitet". Der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx wertet den Beschluss als "historisch", da die pauschale Kommunikationsüberwachung als unvereinbar mit der Grundrechte-Charta bezeichnet werde. Die EU müsse nun eine Richtlinie erlassen, die den Mitgliedsstaaten solcherlei untersage.

Oliver Süme vom Verband der deutschen Internetwirtschaft eco rief genauso wie zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen die Bundesregierung auf, sich von Plänen zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung zu verabschieden. Sonst setze Berlin "viel aufs Spiel für eine Maßnahme, deren tatsächlicher Nutzen zur Verbrechensbekämpfung bis heute nicht nachgewiesen wurde". Dieter Kempf plädierte im Namen des Bitkom dafür, "zunächst eine neue, mehr Rechtssicherheit schaffende EU-Richtlinie abzuwarten". (vbr)