Kriminalität: Der Untergrund ist digital

Wie lässt sich gemeinsam gegen die Kriminalität 2.0 vorgehen? Die Antwort auf dem Kongress des Verbandes für Sicherheitstechnik: Verzahnung, engere Kooperationen, Zusammenarbeit – und Hoffen auf aktive Bürger und die Vorratsdatenspeicherung.

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Von
  • Detlef Borchers

Der Kongress des Verbandes für Sicherheitstechnik tagte unter dem Motto Gemeinsam gegen Kriminalität 2.0 und Underground Economy in Leipzig. Dort wurde diskutiert, wie die Internet-kundige Polizei gegen das Tun und Treiben im Darknet vorgehen kann, das zunehmend klassische Kriminalitätsformen ablöst.

Im Verband für Sicherheitstechnik haben sich Unternehmen versammelt, die Schließanlagen oder Schutzzäune für Haftanstalten entwickeln, Panzerglas oder unzerstörbaren Beton. Während die Hersteller von Schloss und Riegel auf kleinen Messeständen ihre Angebote präsentierten, ging es auf dem jährlich stattfindenden Kongress darum, wer dahinter gebracht werden kann.

Dort gab BKA-Chef Jörg Ziercke keinen Blick auf eine Ermittlungswelt nach dem EuGH-Urteil gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, aber bei der Formulierung der künftigen Fahndungsmethoden verwies er auf die Polizeiarbeit nach dem Attentat in Boston: "In Zukunft müssen wir die Öffentlichkeit auffordern, uns alle Formate aller möglichen Aufzeichnungen zu schicken." Das Smartphone des Bürgers als Hilfspolizist gewinnt an Bedeutung. Wer nach einem Verbrechen nach einer Funkzellenabfrage in der Nähe war, könnte dann Digitalzeuge werden.

Einen eindrücklicheren Blick in die Kriminalistik 2.0 lieferten Frank Dickel und Thomas Buortmes, beide Rauschgiftfahnder beim Hessischen LKA. Der reine Internethandel über Online-Shops auf anonymen Servern, die über das Tor-Netzwerk angesteuert werden, die PGP-verschlüsselte Kommunikation mit dem Lieferanten, die Bezahlung mit Bitcoins und die Auslieferung per Post oder Paketdienst mit Ablieferung an Packstationen ist stark im Kommen. Die Nutzung von PGP und Tor, beides "an sich nichts Schlechtes", führt die Kriminalisten an ihre Grenzen, bei denen Kommissar Zufall die wichtigste Rolle spielt.

Im Netz agierende Dealer werden nur gefasst, wenn sie einen Fehler machen. Als Beispiel nannte Dickel einen 23 Jahre alten Studenten aus Westhessen, der via Silk Road mit Amphetaminen und Extasy handelte. Während er sonst mit seiner Kundschaft verschlüsselt kommunizierte, versendete er einen "Kundenrundbrief" im Klartext, was die Ermittler auf seine Spur brachte. Sein monatlicher Umsatz: 50.000 Euro.

Der BKA-Beamte Micael Dewald, Leiter der Financial Intelligence Unit und damit führender Geldwäschebekämpfer der Republik, hoffte auf eine Neuauflage des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung, bei der Geldwäsche zu den "schwersten Straftaten" gezählt wird. So könnten die Ermittler in den Datenbeständen suchen.

Die Radikalisierung von Jugendlichen hin zum Islamismus oder einem sehr deutschen Salafismus ist das Forschungsgebiet von Matenia Sirseloudi, die am Hamburger Institut für Friedensforschung die Szene befragt. Sie bezeichnete das von der Politik gern vorgebrachte Beispiel des "Homegrown Terrorism" mit einem Selbstradikalisierungsprozess durch das Betrachten von Internet-Videos "als nur bedingt zu haltende" Vermutung. Allein durch Blick auf Propaganda-Videos motiviert ziehe es niemanden nach Syrien.

Gegenüber heise online äußerte Sirseloudi Zweifel an der vom Verfassungsschutz vorgetragenen These, dass heimkehrende deutsche Syrien-Kämpfer eine Bedrohung darstellen. Die Forscherin sprach von den beiden Typen des desillusioniert aufgebenden Kämpfers und von dem, der mit dem Nimbus des Kriegers auf Vortragsreisen durch die islamistische Szene geschickt wird. Hier gebe es die Chance, mit den Desillusionierten an den Schulen eine Aufklärungskampagne über den Bürgerkrieg zu starten. (anw)