Elektronische Wahlen: Die Ratlosigkeit der Experten

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die elektronische Stimmabgabe nicht zur Aufgabe des Öffentlichkeitsprinzips von Wahlen führen darf, versuchten sich Fachleute erstmals mit einer Bestandsaufnahme der Auswirkungen.

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Von
  • Richard Sietmann

Wie geht es weiter mit Onlinewahlen? Auf einem Workshop des CAST-Forums zum Thema "Elektronische Wahlen" tauschten sich rund 50 Fachleute über die Auswirkungen der Karlsruher Wahlcomputer-Entscheidung von Anfang März aus. "Jeder Bürger", hatte das Bundesverfassungsgericht in einem der Kernsätze ausgeführt, "muss die zentralen Schritte der Wahl ohne besondere technische Vorkenntnisse zuverlässig nachvollziehen und verstehen können".

CCC-Sprecherin Constanze Kurz referierte über die "Wahlbeobachtung unter neuen Bedingungen".

(Bild: heise online/Richard Sietmann)

Die Entscheidung "hat uns in mancher Hinsicht die Augen geöffnet", bekannte Rüdiger Grimm, Professor für IT-Risk-Management an der Universität Koblenz-Landau und einer der Initiatoren für Online-Wahlen bei der Gesellschaft für Informatik, freimütig. Die Verfassungsrichter hätten eine bestimmte Form der öffentlichen Kontrolle ausgeschlossen, "die viele von uns bis dahin für möglich gehalten hatten, nämlich das TÜV-Modell", bei dem Experten für das technisch korrekte Zustandekommen des Wahlergebnisses bürgen. Nun bedürfe es zusätzlicher Instrumente, um die höchstrichterlich konkretisierten Anforderungen an das Öffentlichkeitsprinzip erfüllen zu können, "darin sehe ich die eigentliche Herausforderung".

"Meiner Meinung nach ist es möglich, die Korrektheit nachvollziehbar zu realisieren", erklärte Christian Henrich vom Institut für Kryptographie und Sicherheit an der Universität Karlsruhe, wo das System Bingo-Voting propagiert wird. Er wies aber auch auf eine bislang weniger diskutierte Konsequenz des Urteils hin, indem er die Frage stellte, ob damit nicht auch eine vergleichbare Nachvollziehbarkeit der Geheimhaltung der Stimmabgabe beim E-Voting gefordert werde. "Da muss ich sagen, ich kenne keine Antwort", erklärte Henrich; "der Schutz des Wahlgeheimnisses ist so etwas wie der neue Gral der Forschung im Bereich von elektronischen Wahlen".

Nach Ansicht von Robert Krimmer vom Kompetenzzentrum für Elektronische Partizipation und Elektronische Wahlen e-voting.cc, der im Auftrag des österreichischen Wissenschaftsministeriums die Öffentlichkeitsarbeit für das umstrittene E-Voting bei den am Montag beginnenden ÖH-Wahlen betreibt, bezieht sich das Verfassungsgerichtsurteil nur auf Wahlcomputer und lasse sich nicht auf Internetwahlsysteme übertragen. "Es ist nicht so, dass man juristische Texte eins-zu-eins in Technik umsetzen kann", erklärte er; "deshalb muss die Diskussion weitergehen". Dabei dürfe es aber nicht bleiben, fügte er hinzu, denn Prozesse kämen erst in Gang, "wenn tatsächlich mal etwas gemacht wird".

Auf die weitere Entwicklung in Österreich werde der Karlsruher Spruch keine Auswirkungen haben, "weil die Rechtslage bei uns eine andere ist", betonte der stellvertretende Bundeswahlleiter Gregor Wenda aus der Abteilung Wahlangelegenheiten des Innenministeriums in Wien. Denn anders als in Deutschland gibt es im Nachbarland kein Öffentlichkeitsprinzip im Sinne eines Jedermannsrechts, der Stimmabgabe und -auszählung beiwohnen zu können; lediglich die Parteien als Wahlbewerber können jeweils zwei Beobachter pro Wahllokal nominieren. Gleichwohl gelte, "offene Fragestellungen müssen behandelt werden". Jetzt müsse man vor allem Erfahrungen mit elektronischen Wahlen im Ausland "und im Inland" sammeln.

Doch "die Euphorie der Jahre 2004, 2005 ist in der derzeitigen Konstellation sicher nicht mehr so vorhanden", räumte Wenda in der Diskussion ein. Außer bei den ÖH-Wahlen wären Online-Wahlen im öffentlich-rechtlichen Bereich derzeit noch bei den Wahlen zur Wirtschaftskammer möglich. Die stehen nächstes Jahr wieder an, doch bislang gäbe es keinerlei Anzeichen, dass da E-Voting zum Einsatz käme. Im Regierungsprogramm der Großen Koalition, die sich in der vergangenen Gesetzgebungsperiode noch die "Prüfung der elektronischen Stimmabgabe" auf die Fahnen geschrieben hatte, ist das Thema schon nicht mehr explizit erwähnt. Die SPÖ/ÖVP-Koalition verfügt ohnehin nicht über die erforderliche 2-Drittel-Mehrheit, um eine entsprechende Verfassungsänderung für parlamentarische Wahlen durchzusetzen, und "E-Voting auf der Ebene der Gebietskörperschaften geht nur mit einer verfassungsrechtlichen Grundlage", erklärte Wenda.

Lilian Mitrou, Professorin am Institut für IT-Sicherheit der Aegaeischen Universität sieht die Karlsruher Entscheidung "tief von der traditionellen Wahl im Wahllokal geprägt". Nach dem Urteil könne man Internetwahlen wohl vergessen, meinte die griechische E-Government-Expertin, es sei denn, die Experten für Wahlsysteme würden "sehr erfinderisch" oder man richte sich mit Parallelsystemen von papiergestützter und elektronischer Stimmerfassung ein – "in jedem Fall wird es kurz- oder mittelfristig sehr teuer werden".

Ob das Urteil womöglich das endgültige Aus für elektronische Wahlen bedeute, fragte Workshop-Organisatorin Melanie Volkamer vom Center for Advanced Security Research Darmstadt (CASED) der TU Darmstadt zum Ende der Veranstaltung in die Runde. Es käme jetzt vor allem darauf an, "die Lösung parat zu haben, wenn sie gebraucht wird", meinte Robert Krimmer. Gerald Krummeck, Leiter der Prüfstelle der atsec information security, die an dem "Top-to-Bottom Review" von Wahlmaschinen in Kalifornien beteiligt war, das 2007 zum Lizenzentzug fast aller eingesetzten Touchscreen-Systeme führte, wünscht sich, dass solche Systeme, wenn sie eingesetzt werden, öffentlich sind. "Closed Source schützt nicht nur Intellectual Property, sondern auch schlechte Programmierung". Selbst für Constanze Kurz vom Institut für Informatik der Berliner Humboldt-Universität und nebenberuflich Sprecherin des Chaos Computer Clubs, der mit dem Hack der Nedap-Wahlmaschinen vermutlich viel zur Karlsruher Meinungsbildung beigetragen hat, ist das letzte Wort in Sachen E-Voting noch lange nicht gesprochen – "es wäre ja auch zu schade, wenn die Wissenschaftler und die Hacker-Community nichts mehr zu tun hätten".

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(Richard Sietmann) / (jk)