Energie aus der Luft

Nach über hundert Jahren wird eine alte Vision endlich verwirklicht: drahtlose Übertragung von Strom. Die Technologie kann weitaus mehr, als den geplagten Smartphone-Nutzer von der Suche nach der nächsten Steckdose zu befreien.

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Nach über hundert Jahren wird eine alte Vision endlich verwirklicht: drahtlose Übertragung von Strom. Die Technologie kann weitaus mehr, als den geplagten Smartphone-Nutzer von der Suche nach der nächsten Steckdose zu befreien.

Nichts in den Ärmeln, nichts in den Taschen – und vor allem keine Kabel. Was das Bostoner Unternehmen WiTricity Anfang des Jahres auf der Elektronikmesse CES vorführte, mutet an wie ein schlechter Zaubertrick: Eine freundliche junge Dame greift sich ein iPhone, nimmt eine Plastikhülle, die das Smartphone mit einem scharfen Klicken umhüllt, und legt es auf einen leeren Tisch. Und siehe: Das Telefon fängt an, sich aufzuladen. Dann zeigt sie dem staunenden Publikum ein kleines Kästchen, das versteckt unter dem Tisch montiert ist – wie der Spiegelkasten, aus dem die Illusionisten des 19. Jahrhunderts ihre Tauben und Kaninchen gezogen haben.

Der Transmitter, etwa so groß wie ein WLAN-Modem, versorgt einen Empfänger in der Hülle mit Strom. Später soll der Empfänger direkt in Smartphones integriert werden. Das drahtlose Laden funktioniert auch, während man telefoniert oder Videos anschaut. Außerdem kann der Sender gleich mehrere Smartphones parallel mit Energie versorgen. Das ist eine Revolution im Vergleich zu kabellosen Ladesystemen, die bisher auf dem Markt sind. Sie funktionieren bestenfalls über Abstände von einigen Millimetern. Nutzer müssen das zu ladende Gerät zudem exakt ausrichten. Und jede Station kann nicht mehr als ein Gerät auf einmal laden.

Der Kabelsalat an der Steckdose wäre Vergangenheit. Mit der neuen Technik könnten Nutzer ihr Handy einfach in der Nähe ablegen – die Energie kommt über die Luft. Aber nicht nur das: Entwickler denken bereits darüber nach, Kunstherzen auf diesem Weg mit Strom zu versorgen und die Technologie in der Garage oder in Straßen einzubauen, um Elektrofahrzeuge aufzuladen.

Was für einen Durchbruch die Technologie darstellt, macht ein Blick in die Geschichte klar: „Die technische Grundlage ist seit 1831 bekannt“, sagt David Schatz, Leiter der Abteilung Marketing und Geschäftsentwicklung bei WiTricity. „Damals entdeckte Michael Faraday das Induktionsgesetz.“ Man nimmt zwei Spulen, erzeugt mit einer der Spulen ein fluktuierendes Magnetfeld und sorgt dafür, dass dieses Feld die zweite Spule möglichst vollständig durchströmt. Techniker nennen das eine „magnetische Kopplung“. Je größer der Anteil des Feldes, der durch beide Spulen läuft, desto besser ist diese Kopplung – desto mehr Energie kann man also drahtlos übertragen. Am besten funktioniert das System, wenn beide Spulen parallel und möglichst dicht beieinanderliegen. Ist das nicht der Fall, treten Verluste auf. „Das ist einer der Gründe dafür, dass sich diese Technologie nie richtig durchgesetzt hat“, sagt Schatz. „Es ist unkomplizierter, ein Kabel einzustecken, als das Telefon jedes Mal so exakt auszurichten, dass es auch wirklich lädt.“

Bis heute konnte niemand das Problem lösen. Dabei ist seit 1864, also gut 30 Jahre nach Faradays Entdeckung, bekannt: Elektrische Energie lässt sich prinzipiell über größere Entfernungen durch den leeren Raum übertragen, ganz ohne Kabel. Damals beschrieb der schottische Physiker James Clerk Maxwell erstmals, wie die beiden Naturphänomene Elektrizität und Magnetismus miteinander zusammenhängen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: Ein sich im Laufe der Zeit veränderndes Magnetfeld erzeugt ein elektrisches Feld – sogar im leeren Raum. Also auch, wenn sich kein elektrischer Leiter in diesem Raum befindet.

Ein sich veränderndes elektrisches Feld wiederum erzeugt ein zeitlich veränderliches Magnetfeld – ebenfalls im leeren Raum. Das wiederum erzeugt ein elektrisches Feld, und so weiter. Unter bestimmten Voraussetzungen, schloss Maxwell, könnte man also ein elektromagnetisches Feld erzeugen, das sich als Funkwelle mit Lichtgeschwindigkeit immer weiter frei durch den Raum bewegt. Dass Maxwell mit seinen Berechnungen recht gehabt hat, konnte der deutsche Physiker Heinrich Hertz 1886 erstmals zeigen.

Leider entdeckte Hertz auch den entscheidenden Haken: Das elektromagnetische Feld breitet sich in alle Raumrichtungen gleichzeitig aus. Die Energie, die in eine bestimmte Richtung ausgestrahlt werden kann, beträgt also nur einen Bruchteil derjenigen, mit der das gesamte Feld erzeugt wird. Überträgt jemand auf diese Weise wirklich Strom, sind die Verluste riesig.

Forscher haben immer wieder verrückte Ideen, wie das Problem zu beheben wäre. Stephen Blank vom New York Institute of Technology beispielsweise will die Energie in Form von Laserlicht übertragen – im Prinzip auch nichts anderes als eine elektromagnetische Welle. Dazu schlägt er zwei Luftschiffe vor, eines als Sender, das andere als Empfänger. Die Lichtenergie gelangt zunächst über ein Glasfaserkabel von einer Bodenstation zum ersten Zeppelin. Von dort zielt ein Laser durch die Luft auf den zweiten. Dieser wandelt das Laserlicht mithilfe von Solarzellen in Strom um und leitet ihn zur Erde. So ließen sich Katastrophengebiete aus der Luft mit Energie versorgen, hofft Blank. Die Forschung dazu befindet sich aber noch in einem „sehr frühen Stadium“, räumt der Entwickler ein. Das System existiert bisher nur auf dem Papier.

Dass die Idee im Prinzip aber funktioniert, haben Entwickler des US-Konzerns Lockheed Martin 2012 gezeigt – wenn auch in kleinerem Maßstab: Sie versorgten eine unbemannte, ferngesteuerte Spionagedrohne per Infrarotlaser und Photovoltaik-Modulen in der Luft mit Strom. Die Distanz betrug immerhin 600 Meter. Zum Wirkungsgrad der Übertragung fehlen allerdings Angaben.

Rein technisch ließe sich auch ein elektromagnetisches Feld derart fokussieren. Ist die Wellenlänge gering, die Frequenz also hoch, ließen sich die Wellen zum Beispiel mit einer Parabolantenne bündeln und am anderen Ende wieder mit einer Parabolantenne einfangen.

Beide Methoden haben jedoch einen gewaltigen Nachteil: Sender und Empfänger müssen durch eine direkte Sichtlinie verbunden sein. Jedes Hindernis, das sich der Welle in den Weg stellt, würde zum einen die Energieübertragung behindern, zum anderen würde das Objekt bei entsprechend hoher Sendeleistung stark erhitzt – und ziemlich gründlich gebraten.

(wst)