Lenovo-CTO: Für manche ist es die Post-PC-, für andere die PC-Plus-Ära

Dr. Peter Hortensius leitet bei Lenovo als CTO die gesamte Produktentwicklung von Smartphones über Tablets bis zu PCs und Servern. heise online erzählt er, wie sich der Markt entwickeln wird und wie sich Lenovo dazu stellt.

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Lenovo trifft sich im Rahmen des Customer Advisory Forums regelmäßig mit großen Kunden, um deren Bedürfnisse zu erkunden. Welche Produkte die Kunden aktuell kaufen, weiß der Vertrieb. Aber welche Produkteigenschaften in naher Zukunft relevant sind, ist nur herauszufinden, wenn die Decke über neuen Produkten etwas gelüftet wird, bevor diese auf dem Markt auch angeboten werden.

Auch diese Woche findet wieder so ein Forum in München statt; heise online sprach zu diesem Anlass mit Dr. Peter Hortensius, der als CTO die gesamte Produktentwicklung von Smartphones über Tablets bis zu PCs und Servern leitet. Hortensius ist seit knapp 10 Jahren bei Lenovo und leitete zuletzt das Think Business, also das Enterprise-Geschäft. Zuvor war er 17 Jahre bei IBM, davon 10 Jahre im IBM Watson Research Center und zuletzt als Leiter des PC-Geschäfts tätig, das 2005 von Lenovo übernommen wurde.

heise online: Was passiert in der PC-Industrie? Manche sprechen von einer Post-PC-Ära?

Dr. Peter Hortensius

(Bild: Volker Weber/heise online)

Peter Hortensius: Da gibt es viele Begriffe. Wer kein PC-Marktführer ist, wird es Post-PC nennen, wer PC-Marktführer ist, der spricht von PC-Plus. Dahinter steckt immer das gleiche Phänomen: Alle Geräte werden intelligenter, manche mehr, wie das Telefon, was Sie haben. In der Zukunft werden Sie mehrere Geräte haben, nicht nur eins: Telefone, Tablets und PCs. Manche mehr, manche weniger. Vielleicht wird es Wearables geben, da ist der Markt noch unentschieden. Werden das nur Fitnessgeräte sein? Wir werden sehen. Mit dem Internet of Things werden das noch viel mehr. Für Lenovo heißt das, wir müssen darauf achten, dass unsere Produkte gut mit diesen ganzen Geräten zusammenarbeiten und wir müssen uns entscheiden, in welchen Märkten wir präsent sein wollen. Kein Unternehmen wird in der Lage sein, alle Märkte zu bedienen. Schließlich haben wir noch ein Datacenter-Business, das davon berührt wird.

Ich war in vielen dieser Wellen. Und diese fühlt sich an wie die erste PC-Welle. Wir wissen noch nicht, ob sie die nächsten fünf Milliarden Menschen erreicht, oder nur die eine Milliarde, die wir bisher ansprechen. Meine Einschätzung ist, sie wird die nächsten fünf Milliarden erreichen.

Wir nennen das Human Plus. Diese Dinge werden zum Lifestyle, nicht nur als modische Erscheinung, sondern wie ich in meinem Leben lebe. Wenn Sie in ein armes Dorf in Afrika gehen, dann finden Sie einen Generator, um Smartphones zu laden, aber noch keine Toilette. Das ist eine neue Perspektive: Dieses Ding ist wichtiger als jenes. Und warum? Das ist Ihr Zugang zu medizinischer Versorgung, es erlaubt Ihnen, sich wirtschaftlich schneller zu entwickeln. Sie haben jede Menge Zugriffsmöglichkeiten, die Sie vorher nicht hatten. Die Trends dahinter: Bandbreite wird verfügbar und billige Geräte sind zunehmend verfügbar.

Business-Anwender emanzipieren sich immer öfter von der IT, in dem sie selbst Geräte anschaffen, die mit einem Cloud Service verbinden, ohne IT überhaupt zu involvieren.

Ja, das wird eine große Herausforderung für die IT. Consumerization ist schon durch, das ist bereits passiert. Deshalb nennen wir das Human Plus. Es ist eine Erweiterung meiner Person, nicht nur meiner professionellen. Die Menschen werden Dinge erzwingen, wie sie sie haben wollen. Eine IT, die sich daran anpassen kann, der wird es gut gehen, und eine IT, die das nicht kann, wird wahrscheinlich Mitarbeiter austauschen. Das ist wie eine Kraft der Natur, die das erzwingen wird. In Branchen, die von Knowledge Workern beherrscht werden, ist das schon passiert.

Erst hatten die Anwender einen PC, dann einen Laptop, dazu ein Smartphone, dann ein Tablet. Mittlerweile managed IT drei Geräte pro Mitarbeiter. Geht das so weiter oder konsolidiert sich das?

Meiner Ansicht nach geht das so weiter. Jeder will das Wundergerät, das alles kann. Das Problem ist, dass der Alleskönner nichts wirklich gut kann. Ich kann immer ein besseres Telefon machen oder einen besseren PC. Den Benutzer stört das nicht so sehr, er will einfach alles auf jedem Gerät machen können. Aber das heißt nicht, dass ich das auch tun werde. Ich könnte einen langen Brief auf meinem Telefon schreiben, aber das ist doch nicht erste Wahl. Ich suche mir einen PC, so schnell ich kann. Ich könnte einen Film auf einem PC gucken, aber mit einem Tablet macht das mehr Spaß. In einer Cloud-getriebenen Welt ist das schon der Fall, ob Sie nun in das Ökosystem von Google oder von Microsoft schauen. Sie melden sich an, und die Daten sind schon da.

Nicht jeder mag seine Daten in der Cloud speichern, speziell in Deutschland. Sehen Sie das auch in anderen Ländern?

Ja, es gibt Menschen mit Privacy-Bedenken und was Sie sehen werden, ist dass diese sich ihre private Cloud schaffen. Das ist nicht nur unterschiedlich von Land zu Land sondern auch abhängig von der Demographie. Ich habe keine Daten da oben. Aber meine Kinder? Pfft, alles in der Cloud. Die wissen auch, wie man ein eigenes Storage betreibt, aber für sie ist die Bequemlichkeit das Risiko wert. Ich bin vielleicht einfach zu alt dafür. Und meine Eltern sind da noch extremer.

Auf jedem Schreibtisch ein PC, wird sich das ändern?

Für mich ist der PC ein Teil der vielen Geräte, die ein Anwender hat. Das ist meine persönliche Einschätzung. Es gibt in der Industrie auch andere Ansichten. Das Problem, wo meine Daten sind, lösen wir bereits. Schwierig ist es, wenn Sie in mehreren Ökosystemen leben wollen, also Apple, Google und Microsoft – aus der Consumer-Perspektive. Das wird eine interessante Herausforderung, bei der Lenovo einen Beitrag leisten kann.

Versuchen diese Anbieter nicht, ihre Anwender einzusperren?

Apple macht das und an anderer Stelle dann auch wieder nicht. Wenn Sie ein Ökosystem verschließen, dann nehmen Sie sich Potenzial weg. Warum hat sich Android so gut entwickelt? Weil sie Leuten wie uns erlaubt haben, darauf jede Menge Innovationen anzubieten.

Aber Apple verdient mehr Geld pro Gerät.

Wir werden sehen, wie lange das so läuft. Wenn Sie eine brilliante Idee haben, dann werden Sie dafür belohnt. Aber mit der Zeit werden andere herausfinden, wie man das noch besser machen kann.

So wie bei Ausreißern in einem Radrennen?

Ja, das ist ein gute Analogie. Der Peleton holt die Ausreißer wieder ein, weil er die Energie von vielen bündelt.[/i]

Sie sagten, Lenovo muss sich entscheiden, in welchen Märkten Sie spielen wollen. In welchen wollen Sie?

Unser Ansatz ist, auf die Benutzer konzentrierte Innovation anzubieten. Wir wollen nicht einfach nur coole Sachen bauen. Yoga gibt es, weil wir gelernt haben, dass Anwender ein Gerät haben wollen, das zuerst ein Laptop ist, aber auch mal ein Tablet sein kann. Yoga Tablet gibt es, weil die Leute längere Batterielaufzeiten wollten und eine einfachere Art, das Gerät zu halten. Und dann sollte es einfacher sein, darauf zu tippen. Das ist nicht nur cool, sondern das funktioniert auch gut.

Lenovo hat ein sehr breites Angebot. Ihre Produkte sind nicht immer gleich als Lenovo erkennbar. Ein Yoga Tablet sieht völlig anders aus als ein Thinkpad.

Wenn Sie sehr groß sind, müssen Sie sich entscheiden, wie Sie mit ihren Brands umgehen. Es ist sehr schwierig, den ganzen Markt mit einer Marke abzudecken. Apple deckt nicht den ganzen Markt ab, sondern nur einen Teil. Andere Unternehmen benutzen auch unterschiedliche Namen, um den Markt zu segmentieren. Wir haben Think für Commercial, Idea für Consumer, wir kaufen gerade ein großes Servergeschäft, das einen Namen hat, wir kaufen gerade ein großes Smartphone-Business. Und ein Teil des Business ist einfach die Marke.

Als wir Thinkpad gekauft haben, war Lenovo da wer außerhalb von China? Nein. Ich war Teil dieses Geschäftes, ich habe es mit Lenovo verhandelt. Natürlich nennen wir das Thinkpad, glauben Sie, wir sind dumm? Es ist unfassbar teuer, eine Marke zu krëieren. Selbst mit einem unendlichen Budget kostet das Zeit. Und wir haben weder Zeit noch ein unendliches Budget. So eine Marke aufzugeben wäre ein riesige Entscheidung.

Sie haben noch keine Smartphones in Deutschland. Was brauchen Sie, um sie hier anzubieten?

Wir sind da immer sehr klar gewesen. Wir brauchen eine Marke und eine Positionierung. Wir haben uns das angesehen und entschieden das, sobald Motorola für uns verfügbar ist, dann ergibt das für uns mehr Sinn, die Marke Lenovo zu nutzen.

Wir werden also Motorola und nicht Lenovo sehen?

In entwickelten Märkten wie Deutschland sehr wahrscheinlich. In anderen Märkten wie Osteuropa, da haben wir 30 Prozent Marktanteil bei PCs, da sind wir in einer ganz anderen Position.

Ein Kunde kauft ein Samsung, erkennt es aber nicht als Android, sondern als Galaxy. Wie gehen Sie damit um?

Wir wollen, dass er Motorola erkennt. Schauen Sie, der Markt ist zu 85 Prozent Android. Mit Android können Sie sich nicht differenzieren. Jeder hat Android.

Sie meinen, die Technik spielt keine Rolle?

Was Features und Funktionen angeht, ist sie sehr wichtig. Dies Telefon kostet 200 und jenes 400, da muss ein Unterschied sein. Aber wie diese Features geliefert werden, das spielt für den Kunden keine Rolle. Es gibt kein "Intel Inside" bei Telefonen. Das war bei PCs sehr lange die Absicherung, ja ich muss Intel drin haben, dann muss ich mir keine Sorgen machen.

Aber sie scheinen sich für Dual Core und Quad Core zu interessieren?

Nur, weil wir ihnen das so erzählen. Die Industrie macht das. Discrete Graphics ist so ein Beispiel. Als wir jenseits von 1 GByte waren, da spielte das einfach keine Rolle mehr. Machen Sie ordentliche Benchmarks, aber das ist zu schwierig.

Think Tablet, Yoga Tablet, das ist doch verwirrend. Was soll ich kaufen?

Think heißt Business. Windows bringt immer noch einen großen Wert im kommerziellen Bereich. Wir haben Android in unserem Consumer-Segment und Windows in unserem Commercial-Segment. Bei Telefonen hat Android gewonnen, bei PCs Windows. Bei Tablets ist das noch nicht entschieden. Die erste Runde geht an Android, aber ich glaube nicht, dass das schon vorbei ist. Detachables, Convertibles, wenn sich das auswächst, dann wird man vielleicht sehen, dass das Windows-Tablet mehr Wert hat als jetzt.

Die Unterscheidung Think und Idea scheint mir eine Lenovo-Sicht zu sein. Ich will als Consumer vielleicht auch ein Thinkpad kaufen?

Wir adressieren diese Märkte sehr unterschiedlich. Wir treffen andere Entscheidungen, machen andere Kompromisse, einen anderen Support. 10 Prozent unserer Thinkpads gehen an Consumer, noch weniger Idea gehen ans Business, bis auf kleine Unternehmen, die Retail einkaufen. Das ist wie bei den Kameras, Sie sind vielleicht kein Fotograf, aber Sie wollen eine professionelle Kamera.

Wir leben in interessanten Zeiten. Die Technik breitet sich in alle Richtungen aus. Welche Folgen hat das?

Was noch nicht so recht zum Tragen kommt, sind Realtime Analytics. Die Cloud wird sehr bald zwischen individuellen Menschen unterscheiden. Auch wenn sie ähnliche Dinge tun, am gleichen Ort wohnen, wird die Cloud sehr genau wissen, wo Sie unterschiedlich sind. Und sie wird Angebote zielgerichtet zuschneiden, Dinge, die sie mögen, aber auch Dinge, die Sie nicht mögen, basierend darauf, was sie über sie weiß. Damit müssen wir uns als Industrie beschäftigen. Das Wissen wird sehr tief sein. Wir müssen verstehen, was das bedeutet, wir müssen eine angemessene Sicherheit bieten. Und wir müssen die Kontrolle darüber erhalten. Gesetzgeber werden dort aktiv werden, aber das Problem ist, die Cloud lebt nicht in irgendeinem Land. Sie können Glücksspiel in einem Land verbieten, aber wenn jemand spielen will, dann wird er es woanders tun. Es wird sehr schwierig sein, das Internet dort zu regulieren, aber dieses Wissen wir existieren.

Sie kaufen gerade ein Servergeschäft. IBM konnte schon PCs nicht mehr gewinnbringend verkaufen, nun kauft Lenovo die X86-Server. Was kann Lenovo, was IBM nicht kann?

Wir haben seit zehn Jahren ein Servergeschäft, das vor allem China bedient. Das hat 2009 sehr gelitten und wir bringen es gerade wieder hoch. Und wir wussten, wenn wir eine passende Acquisition finden, dann können wir unsere Pläne beschleunigen. Der PC-Deal kam damals zur rechten Zeit, als Lenovo global werden wollte. Bei den Servern ist das ähnlich. Wir können das organisch wachsen lassen, oder wir können etwas riskieren und fünf bis acht Jahre gewinnen. Für das IBM-Servergeschäft ist das ein Riesensprung. Sie wechseln von "kleinster Marge in IBM" zu "größter Marge in Lenovo".

Bei IBM gibt es Meetings, in denen es darum geht, was gemacht werden soll? Bei Lenovo machen wir das einfach. IBM hat widersprüchliche Interessen und PCs passten nicht auf das Business Modell. IBM ist nicht besonders gut in Märkten, die weit entwickelt sind. Größe spielt eine große Rolle.

Kaufen viele nicht bereits direkt bei den Fabriken in Taiwan?

Ja, aber ich habe meine eigenen Fabriken. PCs bauen wir komplett selbst. Laptops bauen wir komplett selbst. Wir haben alle diese Fähigkeiten. Und wir sind so viel größer, wir kaufen viel mehr ein. Ich habe bessere Beziehungen zu Intel, bessere Beziehungen zu den Speicherherstellern, bessere Beziehungen zu den Festplattenherstellern. Und das sind schon 80 Prozent der Kosten eines Servers. Das wird eine große Rolle spielen.

Ihr CEO hat gesagt, er würde gerne mit Apple konkurrieren, an iPad- oder MacBook-Kunden verkaufen. Wie geht das?

Das ist ein langfristiger Plan. Das ist ein globales Problem. Apple ist eine regionale Marke. Apple ist stark in einigen Märkten, aber Apple ist nicht überall stark. Sie können bis zu einer bestimmten Größe wachsen. Schauen Sie sich Samsung an, da hätten Sie die gleiche Frage vor fünf Jahren auch stellen können. Und schauen Sie, wo Samsung jetzt ist. Wir sehen da eine gute Möglichkeit. Im Herzen bleibt das unsere Erfolgsformel: User Centered Innovation auf der Basis einer sehr kosteneffizienten Organisation. (anw)