Die Woche: Microsofts Open-Source-Strategie

Microsoft startet neue Initiativen in Richtung Open Source. MS-Office wird man deshalb aber nicht gleich unter GPL stellen.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Dr. Oliver Diedrich

Microsoft und Open Source, das scheinen natürliche Gegensätze zu sein. Dazu beigetragen haben einige markige Aussagen seitens Microsoft (erinnert sei etwa an die – allerdings schon sechs Jahre alte – Aussage von Microsoft-CEO Steve Ballmer, Linux sei ein Krebsgeschwür) oder der jüngste Feldzug der Redmonder wegen angeblich durch Linux verletzter Patente. Aber auch die IT-Presse, die Berichte über Linux gerne an der Konkurrenz zu Windows aufhängt und Microsoft als Prototypen eines proprietären Softwareherstellers gegen Open Source stellt, trägt da ihre Mitschuld.

Aus Sicht von Microsoft dürfte die Welt ein bisschen anders aussehen. Natürlich sind Open Source und vor allem Linux starke Konkurrenz zu den eigenen Angeboten. Schlimmer noch: Freie Software stellt das Grundprinzip des Microsoft'schen Geschäftsmodells in Frage – die feste Kontrolle über das in Software gegossene und durch Lizenzen geschützte geistige Eigentum der Firma. Daran wollen die Redmonder nicht rütteln lassen, daher die bissigen Ausfälle vor allem gegen die GPL, die die freie Nutzung der Software zum höchsten Prinzip erhebt.

Aber die Botschaft "Open Source ist minderwertiges Teufelszeug" wird im Markt schon lange nicht mehr geglaubt. Auch Microsoft-Kunden setzen Open-Source-Software ein, verwenden lieber Linux, statt auf bewährte OSS zu verzichten, und kehren der Microsoft-Plattform womöglich ganz den Rücken, wenn Windows partout nicht mit Linux zusammenspielen will. Die Konsequenz kann nur heißen: Schluss mit der grundsätzlichen Ablehnung (die schon immer in Worten radikaler war als in Taten), Akzeptanz der Verhältnisse – letztlich hat auch bei Microsoft der Kunde Recht.

So erklären sich die Initiativen zur Verbesserung der Interoperabilität mit den Linux-Distributoren Novell, Xandros und Linspire; die Interop Vendor Alliance, in der man mit wichtigen Open-Source-Anbietern von SugarCRM und XenSource über Sun bis Linspire, Novell, Red Hat und Xandros zusammenarbeitet; das Open Source Software Lab, in dem man sich unter Leitung von Bill Hilf, General Manager für Plattformstrategie, schon seit Jahren mit dem Zusammenspiel von Windows und OSS beschäftigt, und dessen Blog Port25, wo sich nicht nur Microsoft-Mitarbeiter zu Fragen rund um Open Source und Interoperabilität äußern. Eine eigene Website sammelt Microsofts Shared-Source- und Open-Source-Projekte.

Die jüngsten Vorstöße gehen noch ein Stück weiter: Microsoft hat drei seiner 2001 als Reaktion auf das steigende Interesse an Open Source eingeführten Shared-Source-Lizenzen bei der Open Source Initiative zur Zertifizierung vorgelegt und damit erstmals eine Organisation aus dem "gegnerischen Lager" als Autorität akezptiert. Die Chancen auf eine Zertifizierung stehen gut: Schon vor zwei Jahren kam die Free Software Foundation, sicherlich kein Microsoft-Freund, zu dem Schluss, dass einige der Shared-Source-Lizenzen die Kriterien für freie Software erfüllen könnten.

In Zusammenarbeit mit SpikeSource wollen die Redmonder selbst aktiv daran mitwirken, Business-Open-Source für Windows zu zertifzieren. Und eine neue Website vertritt die neue Microsoft-Linie ganz offensiv: Der Kunde soll die freie Software-Wahl haben – bevorzugt natürlich auf der Windows-Plattform und bitte schön unter Beachtung des Prinzips des geistigen Eigentums. Wobei die Redmonder anerkennen, dass jeder frei entscheiden kann, wie sein geistiges Eigentum genutzt wird – das klingt schon anders als das vor wenigen Jahren aufgebaute Schreckgespenst, der virale Effekt der GPL würde das geistige Eigentum der ganzen Software-Branche zerstören.

Aus all dem spricht – schlicht Normalität. Open Source ist eine Realität des Software-Markts, und Microsoft hat Mitte der 90er beim World Wide Web bereits erfahren, was es bedeutet, einen Trend zu verschlafen. Die aktuelle Strategie lautet Coopetition, eine Mischung aus Zusammenarbeit (cooperation) und Wettbewerb (competition), wie sie nicht nur im Open-Source-Markt gängig ist. So lassen sich das eigene Geschäftsmodell und die starke Position am Markt sichern, ohne Gefahr zu laufen, sich in eine Außenseiterposition zu manövrieren. Dass Microsoft mit wehenden Fahnen überläuft und seine eigenen Kronjuwelen als Open Source freigibt, ist dazu auf absehbare Zeit nicht nötig. (odi)