Ingress-Erfinder: "Visionär zu sein ist uns wichtiger als Datensammeln"

Wie Google mit Ingress Geld verdienen will und wie es mit dem Spiel weitergeht, berichtet Ingress-Erfinder John Hanke im c't-Interview.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Jan-Keno Janssen

Ingress-Erfinder John Hanke stand c't in Berlin Rede und Antwort.

(Bild: J.-K. Janssen)

Ingress ist das Baby von John Hanke, dem Leiter vom hausinternen Google-Startup Niantic Labs. Zuvor entwickelte Hanke in seinem eigenem Unternehmen Keyhole einen virtuellen Globus aus Satellitenbildern – dieser wurde nach der Übernahme des Suchmaschinenriesens unter dem Namen Google Earth weltbekannt. Wir sprachen mit Hanke über Ingress, unerwünschte Fan-Modifikationen und Cheater.

c't: Herr Hanke, wie wird Ingress eigentlich finanziert? Verbucht Google das Ganze nach wie vor als Experiment? Oder ist Ingress durch Kooperationen wie hierzulande mit Vodafone schon alleine finanziell tragfähig?

John Hanke: Ingress wird zurzeit noch nicht komplett durch Sponsoren und Partner finanziert. Ingress ist für uns ein Experiment, um zu sehen, ob man um standortbasierte Werbung herum tragfähige Geschäftsmodelle entwickeln kann. Es ist ja klar: Um so ein Spiel für sagen wir mal zehn Jahre am Laufen zu halten, braucht man ein Geschäftsmodell. Wir haben hier in Europa mit Vodafone und in den USA mit Unternehmen wie Jamba Juice experimentiert. Solche Sponsoring-Geschäftsmodelle können eine Alternative zum Free-to-Play-Geschäftsmodell sein. Denn dieses bedeutet oft, dass Spieler Geld für Dinge bezahlen müssen, um im Spiel erfolgreich zu sein. Das macht in puncto Spieldesign große Probleme.

c't: Sind nicht die Daten, die die Spieler generieren, extrem wertvoll für Google? So reichen die Spieler ja weltweit interessante Orte ein, die auch außerhalb von Ingress nutzbar wären.

Hanke: So etwas könnte wertvoll sein, aber es ist nichts, worauf wir uns konzentrieren.

c't: Google profitiert doch allein davon, dass viele Leute mit aktivierten GPS durch die Städte laufen und so die WLAN-Lokalisierungsdatenbank füllen.

Hanke: Das ist nicht unsere Motivation. Uns geht es darum, das Computerspiel-Business zu erneuern. Wir wollen Innovationstreiber sein und nicht einfach irgendwas nachmachen. Gaming ist sehr wichtig für Android; 80% der Android-Nutzer spielen. Und natürlich braucht man Basics wie Angry Birds und Temple Run haben. Aber um die Branche wirklich nach vorne zu bringen, muss man visionär sein – und mit Ingress wollen wir die Zukunft von Mobile Gaming gestalten. Das ist uns viel wichtiger als Datensammeln.

c't: Aber sie benutzen die Daten schon?

Hanke: Im Moment nicht, auch wenn unsere Nutzungsbedingungen das erlauben würden.

c't: Niantic Labs hat eine API für Ingress angekündigt. Wie hat man sich das vorzustellen? Und wann kommt die?

Hanke: Wir arbeiten noch am Geschäftsmodell. Die API ermöglicht auf jeden Fall Zugang zu einer gehosteten Umgebung, in der man eigene ortsbasierte Multiplayer-Spieler wie Ingress bauen kann. Wir liefern die Infrastruktur, also die Kommunikation zwischen den Spielern und alles drumherum. Außerdem kann man die globale Portal-Datenbank verwenden.

c't: Wird es denn auch eine API direkt für Ingress geben?

Hanke: Wir arbeiten an einer Portal-API – für Leute, die mit Portalen Lichtinstallationen machen wollen; zum Beispiel, wenn jemand eine Lampe am Ort eines Ingress-Portals aufbaut, die den aktuellen Spielzustand anzeigt. Zurzeit kann man das mit Webscraping machen, aber wir wollen eine offizielle API anbieten, mit der man sichergehen kann, dass das Ganze auch langfristig funktioniert.

Die Ingress-Modifikation IITC bietet eine deutlich schnellere Karte als das Original.

c't: Apropos offziell: Viele Ingress-Spieler benutzen statt der offiziellen Intel-Map die Fan-Modifikation IITC. Niantic Labs hat die IITC-Macher allerdings aufgefordert, die Software zu löschen. Warum bieten sie für solche Zwecke nicht ein API für Fan-Mods an? Schließlich läuft IITC deutlich schneller als die offizielle Karte und hat viel mehr Funktionen.

Hanke: Ich bin mir nicht sicher, ob IITC immer noch schneller ist. Es gibt bisher noch keine Ingress-API, weil das sehr aufwendig ist. Eine API bedeutet, dass man am System nichts Grundlegendes verändern kann -- schließlich soll die API weiterhin funktionieren. Das bedeutet für uns extrem viel Mehrarbeit. Im Moment befinden wir uns noch in einer Lernphase und wir entwickeln unser System ständig weiter. Wenn das Ding in Zukunft richtig stabil läuft, können wir uns den Luxus einer API leisten.

c't: Aber IITC läuft ja auch so. Warum erkennt Niantic Labs IITC nicht offiziell an? Schließlich gibt es etliche Ingress-Operationen, die ohne IITC (und das Draw-Line-Feature) vermutlich gar nicht möglich gewesen wären.

Hanke: Es ist keine unterstützte Erweiterung. Wir befürworten nicht alles, was Leute tun – es gibt nämlich einige Plugins für IITC, die gegen unsere Nutzungsbedingungen verstoßen.

c't: Sind Sie überrascht über die emotionale Anziehungskraft Ihres Spiels?

Hanke: Ich war definitiv überrascht. Fernab von Ingress-Hochzeiten – die es auch schon gab -- habe ich mich darüber gewundert, wie wichtig das Spiel für viele Menschen ist. Spieler reisen in andere Länder nur wegen Ingress! Ich denke, dass das gar nichts mit den Pixeln auf dem Bildschirm zu tun hat – was den Leuten Freude macht, ist das Zusammentreffen mit anderen Menschen. Wir haben das Spiel so konzipiert, dass man es auch spielen kann, ohne mit anderen zu sprechen – weil wir dachten, dass viele Menschen einfach ungern mit Fremden reden. Ganz ehrlich: Wir wussten einfach nicht, wie sich das entwickelt. In der Realität war es dann ganz anders als erwartet: Leute haben sofort angefangen, regionale Gruppen zu gründen und Ingress-Events zu veranstalten – Leute, die sich erst über das Spiel kennengelernt haben.

c't: Planen Sie für Ingress ein offizielles Ende?

Hanke: Ich glaube, dass das Spiel ein Finale, eine Auflösung braucht. Gerade für diejenigen, die der Geschichte aufmerksam folgen, wäre es sonst unfair. Wir haben uns stark von J.J. Abrams und der Serie "Lost" inspirieren lassen. Ein Fehler von Lost ist allerdings, dass die Story nie wirklich aufgelöst wurde, sie wurde Jahr für Jahr einfach nur immer wieder erweitert. Das wollen wir bei Ingress vermeiden – zumindest, was die Story angeht. Das Spiel selbst würde ich gerne zehn Jahre oder länger laufen lassen. Mal sehen, ob das klappt.

c't: Sie haben vor einigen Monaten zusätzliche Spieler-Lever eingeführt, die jetzt statt von 1 bis 8 bis Level 16 gehen. Richtige spielerische Vorteile hat man allerdings nur bis Level 8. Wollen Sie das noch ändern?

Zu Ingress-Veranstaltungen (hier Recursion Berlin) kommen inzwischen hunderte von Spielern.

(Bild: Niantic Labs / Google)

Hanke: Wir wollen das Spiel immer verbessern. Ich glaube aber nicht, dass wir das so machen sollten wie zum Beispiel bei World of Warcraft, wo es mehr als 90 Level gibt – und dadurch ein große Ungleichgewicht zwischen den schwächsten und den stärksten Spielern herrscht. Ingress ist sehr teamorientiert und anders als bei World of Warcraft spielen auch alle Spieler in der gleichen Umgebung, also auf dem gleichen Server. Deshalb ist es wichtig, die Stärke der Spieler im Gleichgewicht zu halten. Wir werden also keine exponentiell stärkeren Waffen integrieren. Wichtiger ist uns, dass wir die Interaktion mit den Portalen taktischer und strategischer gestalten. Da werden bald einige Neuerungen kommen.

Wir arbeiten auch noch in eine andere Richtung: Wir wollen Missionen integrieren, die Spieler selbst gestalten. Man könnte zum Beispiel eine Mission für Berlin bauen, in der die Spieler auf einem festgelegten Weg an historischen Orten oder an der Lieblingskneipe vorbeikommen und dort bestimmte Aufgaben erfüllen müssen. Ich träume von einer Kalten-Krieg-Mission, bei der man etwas über die Geschichte Berlins lernt.

c't: Wie funktioniert eigentlich der Genehmigungsprozess für eingereichte Portale? Das scheint ja manchmal etwas willkürlich zu sein. Machen das Algorithmen oder echte Menschen?

Hanke: Wir haben ziemlich viele Mitarbeiter, die die Portal-Einreichungen und Beschwerden prüfen. Diese Mitarbeiter schauen, ob zum Beispiel als historisch deklarierte Orte wirklich existieren, unter anderem mit Hilfe von Google Maps, Street View und der Suchmaschine. Das ist wichtig, um die berühmt-berüchtigten Couchportale zu verhindern.

c't: In Deutschland werden ja die meisten Portale mit deutschen Namen und Beschreibungen eingereicht. Beschäftigen sie für den Genehmigungsprozess auch Mitarbeiter in Deutschland? Oder sitzen die alle in Mountain View?

Hanke: Nicht in Mountain View, aber auch nicht in Deutschland.

c't: Wie viele Leute arbeiten denn überhaupt für Ingress? Und wie viele Server gibt es?

Hanke: Die Zahl der Server kann man so nicht sagen, weil die dynamisch zugewiesen werden, das läuft alles im über die Google App Engine. An Mitarbeitern beschäftigen wir 50 Leute, die nur an Ingress arbeiten, obendrauf kommt nochmal eine ganze Reihe an Leuten, die die Einreichungen bearbeiten.

c't: Ingress-Spieler beklagen sich häufig über Cheater. Was gibt es da für Gegenmaßnahmen?

Hanke: Unser System bemerkt automatisch, wenn Spieler GPS-Spoofing betreiben oder an der Software herummanipulieren. Es ist aber auch ein ständiges Katz-und-Maus-Spiel. Wir haben neue, elegantere Mechanismen entwickelt, die demnächst online gehen. Leider investieren wir ziemlich viel Zeit in dieses Thema. Es wäre schöner, wenn wir unsere Zeit für neue Features wie Missionen und andere coole Dinge nutzen könnten.

c't: Ganz zum Schluss nochmal eine ganz blöde Frage: Ist der Ingress-Charakter Hank Johnson eigentlich nach Ihnen benannt?

Hanke: [lacht] Mein Name ist John Hanke, und sein Name ist Hank Johnson. Da kann es doch unmöglich einen Zusammenhang geben. (jkj)