Regelbuch enthüllt: Wie US-Behörden die Antiterror-Listen befüllen

Anfang 2013 hat die US-Regierung die Regeln überarbeitet, nach denen die Antiterrorlisten wie etwa die No-Fly-List befüllt werden. Wie leicht jemand als "mutmaßlicher Terrorist" darin landen kann, zeigt das nun enthüllte Regelbuch.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 318 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Die US-Regierung unter Präsident Barack Obama hat im Geheimen eine beträchtliche Ausweitung des Verfahrens genehmigt, in dem Personen auf den Terrorlisten der Vereinigten Staaten landen. Dafür seien weder "konkrete Fakten" noch "unbestreitbare Beweise" nötig, berichtet The Intercept unter Berufung auf eine "Anleitung für das Führen der Antiterrorlisten" ("Watchlisting Guidance") vom März 2013. Zusätzlich haben die Autoren das komplette – 166 Seiten lange – Dokument ins Internet gestellt. Unter den Siegeln von 19 US-Behörden wird darin aufgeschlüsselt, nach welchen Regeln jemand als "mutmaßlicher Terrorist" abgestempelt werden kann.

Die Titelseite zeigt, wie viele US-Behörden an dem Datenbanksystem beteiligt sind.

(Bild: Josh Begley - The Intercept)

In der Auflistung der "terroristischen Aktivitäten", die jemanden in die Datenbank befördern können, stehen nicht nur erwartbare Straftaten wie Flugzeugentführungen oder Bombenanschläge. Aufgeführt wird auch die Beschädigung eines Computers, der "ausschließlich von einer Finanzinstitution benutzt wird". Ein anderes Beispiel für eine terroristische Aktivität ist die "Beschädigung von Regierungseigentum". Selbst Handlungen, die für Eigentum eine Gefahr darstellen und die Regierung durch Einschüchterung beeinflussen sollen, fallen demnach darunter.

Bei den Listen, um die es geht, handelt es sich neben der zentralen Terroristendatenbank (Terrorist Screening Database) um die No-Fly-List, die den Zugang zu Flugzeugen versperrt und um die Selectee List, die verschärfte Kontrollen beim Grenzübergang auslöst. Einen zentralen Bestandteil der Anleitung bilden nun die Regeln, nach denen die befüllt werden. Dafür werden niedrige Anforderungen gesetzt und Instruktionen gegeben, die sich teilweise sogar widersprechen, schreibt The Intercept. Gleichzeitig wird klargestellt, dass für einen Eintrag keine "konkreten Fakten" oder "unwiderlegbaren Beweise" nötig sind. Unzuverlässige Informationen dürfen zwar nicht zugrunde gelegt werden, aber etwa Postings auf Facebook oder Twitter. Zusätzlich gebe es eine Reihe von Schlupflöchern, durch die Personen gelistet werden können, bei denen eigentlich kein "vernünftiger Verdacht" ("reasonable suspicion") auf terroristische Aktivitäten besteht.

Aus dem Dokument gehe außerdem hervor, dass ein einziger Verantwortlicher im Weißen Haus die Berechtigung hat, ganze "Kategorien von Leuten" befristet upzugraden. Das heißt, aus einer breiten Terroristendatenbank ausschließlich auf Basis ihrer Gruppenzugehörigkeit in die deutlich engere No-Fly-List oder die Selectee List zu schieben. Um welche Kategorien es sich dabei handelt, gehe aus dem Dokument nicht hervor. Deshalb sei es unklar, ob solch eine Kategorie etwa so umfangreich sein kann wie "alle jemenitischen Männer im wehrfähigen Alter". Anwenden darf der Assistent des Präsidenten für Heimatsicherheit und Terrorismusbekämpfung im Weißen Haus dieses Profiling auf eine Datenbank, in der im Mai 2013 fast 900.000 Personen geführt worden waren.

In der Anleitung steht außerdem äußerst genau, was passiert, wenn jemand, der auf einer solchen Liste steht, bei einem Grenzübertritt zur Seite genommen wird oder mit US-Regierungsbehörden in Kontakt tritt. Die Angestellten werden aufgefordert, nicht nur Fingerabdrücke, Reiseplanungen, identifizierende Dokumente an sich zu bringen. So sollen sie auch Informationen zur Gesundheitsversicherung, Daten zu verschreibungspflichtigen Medikamenten, "jedwede Karte mit einem Magnetstreifen", Handys, E-Mail-Adressen, Bankdaten, Internet-Accounts und noch vieles mehr erfragen oder an sich bringen.

Wer auf einer US-Antiterrorliste steht, merkt dies unter Umständen erst am Flughafen.

(Bild: Inha Leex Hale, CC BY 2.0 )

Generell ist es dem Dokument zufolge die Politik der US-Regierung, den Eintrag einer Einzelperson in den Antiterrorlisten weder zu bestätigen noch zu leugnen. Dass die so nicht erfahren, warum sie dort stehen, wurde bereits ausführlich kritisiert. Die Anleitung geht nun auch darauf ein, nach welchen Verfahren Namen von der Liste gelöscht werden. Automatisch wird dies aber nicht einmal Toten zuteil, immerhin könnte ihre Identität von einem anderen Terroristen übernommen werden.

Lebende können bei der Heimatschutzbehörde eine Beschwerde einreichen, woraufhin eine interne, unbeaufsichtigte Überprüfung eingeleitet wird. Ob die dann erfolgreich war oder nicht, wird dem Antragssteller nicht mitgeteilt. Schwierig ist hierbei, dass alle Behörden, die zu den Einträgen in der Datenbank beigetragen haben, einer Löschung zustimmen müssen. Von diesen Behörden werde jedoch auch erwartet, dass sie die Einträge jährlich prüfen. Das gilt aber nur für die von US-Amerikanern oder Besitzern einer Green-Card.

Das von The Intercept ausgewertete Dokument der US-Regierung ist eigentlich als "nicht geheim" klassifiziert, aber die US-Regierung habe sich bislang erfolgreich gegen eine Veröffentlichung gewehrt – immer unter Berufung auf Aspekte der nationalen Sicherheit. Die Anfang 2013 überarbeitete Neufassung war den Reportern um Jeremy Scahill von einer Quelle aus Geheimdienstkreisen zugespielt worden. (mho)