"Superprotect": Wikimedia behält das letzte Wort bei Wikipedia

Im Streit gegen einen aufmüpfigen Administrator hat die Wikimedia Foundation die Notbremse gezogen – per Software-Update.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 183 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Wer entscheidet, welche Dienste in den Wikipedia-Ausgaben angeboten werden? Eigentlich besteht für die Online-Enzyklopädie eine klare Arbeitsteilung: Die Wikimedia Foundation stellt Server und Software bereit, die kostenlos arbeitenden Communities in den einzelnen Projekten kümmern sich um die konkrete Ausgestaltung. Nachdem mehrere Neuentwicklungen blockiert wurden, zeigt die US-Stiftung nun, dass sie am längeren Hebel sitzt.

Wikimedia-Vize-Chef Erik Möller ließ einen neuen Status implementieren: Superprotect

(Bild: Lane Hartwell, Wikimedia Foundation (CC BY-SA 3.0))

Im neusten Streit geht es um den neuen Media Viewer, der von der Foundation entwickelt wurde, um die alte Bildansicht durch eine optisch attraktivere Variante zu ersetzen. Das neue Modul zeigt Bilder deutlich größer an, bietet eine Lightbox-Ansicht und stellt die Lizenzhinweise deutlich kompakter dar.

Als der Media Viewer Anfang Juni in der deutschen Wikipedia für alle Nutzer zur Voreinstellung gemacht wurde, sammelte sich jedoch Widerstand. Kritiker bemängelten, dass die von der Wikimedia Foundation ausgerollte Version noch deutliche Mängel habe, weil wichtige Beschreibungstexte ausgeblendet und besonders große Dateien nicht in allen Details angezeigt werden.

Kern der Kritik: Die Wikimedia Foundation habe eine prinzipiell begrüßenswerte, aber unfertige Software für den Produktivbetrieb freigeschaltet, die zudem erfahrene Nutzer benachteilige. Der Konflikt ist nicht neu. So ist der vor einem Jahr freigeschaltete Visual Editor, der das Schreiben von Wikipedia-Artikel besonders für Anfänger erleichtern soll, in einigen Wikipedia-Ausgaben bis heute blockiert.

In einem Meinungsbild in der deutschen Wikipedia sprachen sich über 70 Prozent der Teilnehmer dafür aus, den neuen Media Viewer ebenfalls wieder auf die Reservebank zu schicken: Nur Nutzer, die sich explizit für ihn entscheiden, sollten ihn angezeigt bekommen. Zwar definiert sich die Wikipedia-Community ausdrücklich nicht als Demokratie. Solche Meinungsbilder werden aber häufig genutzt, um Streitfälle aus der Welt zu schaffen und gelten gewöhnlich als verbindlich.

Die Wikimedia Foundation nahm diese Abstimmung zwar zur Kenntnis, weigerte sich aber, den Beschluss umzusetzen: "Wenn der Medienbetrachter standardmäßig deaktiviert wäre, dann wäre es für diese Leser sehr schwer, es wiederzufinden und zu aktiveren", erklärte Projektmanager Fabrice Florin. Die erfahrenen Autoren hingegen könnten den neuen Media Viewer einfach deaktivieren, wenn er sie störe.

Eine solche Abstimmung in der englischen Wikipedia ignorierte die Wikimedia Foundation ebenfalls, da die Teilnehmer nicht für eine breite Nutzerbasis sprächen – weniger als 100 Nutzer hatten sich hier an der Abstimmung beteiligt. Wikimedia-Sprecherin Katherine Maher erklärt gegenüber heise online: "Die Wikimedia Foundation ist im Namen von Hunderten von Millionen Benutzern verantwortlich für den Betrieb der Wikimedia-Seiten." Bei der Entscheidung, welche Features man aktiviere, stütze man sich auf viele Quellen. So berufen sich die Verantwortlichen auf eine Umfrage unter mehr als 15.000 Nutzern, bei denen insgesamt 56 Prozent der Teilnehmer den neuen Media Viewer als nützlich bezeichneten. Von den aktivsten Nutzern erteilten allerdings nur 35 Prozent dem Update eine gute Note.

Während sich einige Wikipedianer mit der – inzwischen verbesserten – neuen Software arrangierten, eskalierte der Streit an anderer Stelle. So versuchte ein freiwillig arbeitender Administrator die neue Erweiterung mit einem JavaScript-Hack in der deutschen Wikipedia zu deaktivieren. Dabei schoss er aber über das Ziel hinaus: So hatte das Meinungsbild ausdrücklich gefordert, den Media Viewer für Interessenten offen zu halten, was durch den JavaScript-Hack sehr erschwert wurde.

In den Edit-War griff der Vize-Chef der Wikimedia Foundation, Erik Möller persönlich ein. Er ließ kurzerhand die der Wikipedia zu Grunde liegende Software MediaWiki einen neuen Status "Superprotect" implementieren und sperrte den aufmüpfigen Admin damit von weiteren Änderungen der Seite aus.

In einer kurzen Mitteilung erklärte Möller, dass es inakzeptabel sei, wenn lokale Admins Funktionen der Wikipedia deaktivierten. "Wenn ein solcher Konflikt entsteht, sind wir darauf vorbereitet, dem Nutzer wenn nötig ihre Admin-Rechte zu entziehen." Die Antwort eines Admins: Erik Möllers Account wurde in der deutschen Wikipedia gesperrt. (anw)