"Wir müssen das Ungleichgewicht aufbrechen"

Jürgen Beyerer vom Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung findet Überwachungssysteme nicht schlecht – sondern nur schlecht gemacht.

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Jürgen Beyerer vom Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung findet Überwachungssysteme nicht schlecht – sondern nur schlecht gemacht.

Jürgen Beyerer ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Informations- und Datenverarbeitung in Karlsruhe (IITB). Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die automatische Bildauswertung.

Technology Review: Herr Beyerer, für Sie sind Videoüberwachung und Privatsphäre kein Widerspruch. Wieso ist das so?

Jürgen Beyerer: Kameraüberwachung ist bisher etwas extrem Einseitiges. Da hängt irgendwo eine Kamera. Sie wissen nicht, wer Sie beobachtet und warum. Dabei wäre es durchaus möglich, von einer Kamera diese Informationen zu bekommen.

Stellen Sie sich vor, da ist neben der Kamera ein Matrix-Code. Sie fotografieren den ab, und Ihr Smartphone nimmt Kontakt mit dem Betreiber der Kamera auf.

TR: Was passiert dann?

Beyerer: Der Beobachtete kann erfahren, was mit seinen Daten passiert, bei wem er sich gegebenenfalls beschweren kann und vor allem, zu welchem Zweck die Daten überhaupt erhoben werden. Diese Transparenz ist eine erste Maßnahme, um das Ungleichgewicht zwischen Beobachter und Beobachtetem aufzubrechen.

TR: Was habe ich davon?

Beyerer: Ich kann die Kamera für bestimmte Dienste beauftragen. Jemand, der nachts in ein Parkhaus geht, kann sich beispielsweise gezielt direkt überwachen lassen. Dann meldet sich ein Mitarbeiter auf seinem Handy, der ihn ständig im Blick behält. Aber natürlich ist auch das Gegenteil möglich. Ich kann auch einen Service schaffen, der verhindert, dass ich durch Kameras erfasst werde.

TR: Mache ich mich damit nicht schrecklich verdächtig?

Beyerer: Es kommt darauf an, wie viele Leute den Dienst nutzen. Wenn die Hälfte der Menschen es tun, wird sie wohl kaum dafür benachteiligt werden.

TR: Schon das Gefühl, überwacht zu werden, schränkt doch aber den freien Willen ein?

Beyerer: Das ist richtig. Der Ansatz funktioniert nur dann, wenn es gelingt, Vertrauen herzustellen. An dieser Stelle müssen wir ansetzen. Wenn wir es nicht schaffen, durch Transparenz und positive Beispiele Vertrauen zu schaffen, dann sind solche Systeme langfristig nicht anwendbar. Man kann dann nur einen Bruchteil aller nützlichen Anwendungen wirklich erschließen.

TR: Was wären das für nützliche Anwendungen?

Beyerer: In Fabriken zum Beispiel hat man heute noch viele Bereiche durch Zäune abgesichert. Technisch wäre es schon lange möglich, diese durch moderne Kameratechnik zu ersetzen.

TR: Kann man denn technisch erzwingen, dass bestimmte Datenschutz-Standards auch wirklich eingehalten werden?

Beyerer: Ja. Wir haben aus bestimmten Anforderungen wie dem Datenschutzgesetz ein Axiomsystem entwickelt. Das ist die Grundlage für die sogenannte Policy, ein maschinenlesbares Regelwerk, das diese Grundsätze abbildet.

Ein Software-Interpreter, der sogenannte Privacy Manager, sorgt dann vollautomatisch dafür, dass keine Aktionen im System durchgeführt werden, die nicht mit der Policy konform sind.

TR: Ich muss aber immer noch dem Betreiber des Systems vertrauen. Er könnte es ja manipulieren, oder?

Beyerer: Ja. Dort, wo kriminelle Energie im Spiel ist, sind Sie machtlos. Wenn Sie ein solches System durch jemand betreiben lassen, dem Sie nicht vertrauen, nützen Ihnen auch die besten technischen Vorkehrungen nichts. (wst)