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Was war. Was wird.

Ukraine? Irak? Ach, Deutschland hat auch einiges zu bieten, was fassungslos macht, merkt Hal Faber an. Und dabei hat er nur einige Dokumente gelesen. Und Pressekonferenzen angeschaut. Da kann man schon mal in Märchendichterstimmung verfallen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nach den Sommerrätseln über Kunstware, Spyware und Hackware bekamen wir ein Sommerrätsel ganz eigener Art, die "Digitale Agenda 2014-2017", präsentiert von drei Ministern auf einer kuriosen Pressekonferenz. Ist nicht schon alles kommentiert, angemahnt und belästert worden, vom Bullshit-Bingo bis zum abenteuerlichen kriminalistischen Gedankenflug von Siggy "Pop" Gabriel? Gemach, gemach, die richtigen Klopfer folgen noch. Wer Papier mag, schlage einfach die Seite 3 der Wochenendausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf und lese in Ruhe, wie die Telekom die Schwarzwaldregion zu drangsalieren versuchte, wo hochspezialisierte Betriebe schnelles Internet brauchen. Über den "Breitbandausbau auf 50 Mbit" können sie dort nur lachen.

*** Wieder fehlte wie auf der CeBIT die Forschungsministerin Wanka, weil sie den ausgeklügelten Parteienproporz CDU-CSU-SPD gesprengt hätte. Dabei stecken in ihrem Etat die weitaus größten Mittel, denn abgesehen von dem Geld aus der Digitalen Dividende II soll niemand mehr Geld in die Agenda stecken als die Ministerin. Soll sie doch Schaulaufen, etwa bei der Deutschen Telekom.

*** Nachhaltig irritierte bei der Vorstellung der Digitalen Agenda, wie schlecht die drei Minister vorbereitet waren. Neben den verqueren Ausführungen von Gabriel zur Störerhaftung konnte Dobrindt nicht auf die Frage reagieren, wie es um die (LTE-)Frequenzen für den künftigen Ausbau des Sicherheitsfunks bestellt ist. Dabei beschäftigt diese Frage nicht nur die einschlägigen Polizeilobbyisten, sondern eine eigene Abteilung in seinem Verkehrsministerium, die vom Innenministerium abkommandiert wurde. Kein Wort davon in der Digitalen Agenda.

*** Bundesinnenminister Thomas de Maizière schaffte es, auf die Frage nach der nicht thematisierten Überwachung mit dem Hinweis auf seine Lateinkenntnisse zu reagieren: "Also müssen wir mal mit diesen mystischen Begriffen aufhören. Überwachung heißt auf Lateinisch Supervision. Das ist ein ehrenhafter Beruf." Dumm nur, dass die einschlägigen Wörterbücher für Überwachung custodia anbieten, bekannt aus Juvenals Satiren: "Quis autem custodiet ipsos custodes?" Wer überwacht die Überwacher oder die Wächter, das ist doch die ehrenwerte Frage dieses alternativen Sommerrätsels namens "Digitale Agenda".

*** Wer überwacht eigentlich, dass die 55 neuen Stellen beim Verfassungsschutz nach dem geplanten IT-Sicherheitsgesetz auch wirklich in der Abteilung Wirtschaftsspionage eingerichtet werden und nicht bei den überflüssigen Gesinnungsschnüfflern? Wer überwacht etwa, dass die thüringischen Kollusöre nach der Veröffentlichung des Abschlussberichtes nun von der Staatsanwaltschaft belangt werden? Es gibt Dokumente, die fassungslos machen, ganz ohne den Blick in den Irak oder in den Donbas.

*** Und dann war da noch der gierige kleine Häwelmann, angeblich das Lieblingsmärchen unseres amtierenden Bundesinnenministers: "Mein Lieblingsmärchen ist das Märchen vom kleinen Häwelmann. Und das ist in der Politik weit verbreitet. Dass, wenn etwas geschieht, alle schreien: Mehr, mehr mehr!" Eine gewagte Zusammenfassung de Maizières, der zumindest bei Flüchtlingen weniger, weniger, weniger ruft und sicher nichts mit Journalisten anfangen kann, die sich wundern, wie einfach die Lieferung eines Kontingents Waffen gegenüber dem Empfang eines Kontingents Flüchtlinge beschlossen werden kann.

*** Thomas de Maizière hatte kurz vor der Verkündung der Digitalen Agena in der Zeitung von der Gier der sogenannten Internet-Gemeinde fabuliert und sich und die Leser gefragt, was denn das für eine Gemeinde sei. Keine, könnte man fröhlich antworten, denn es war kein bekanntes Gemeindeblatt oder -blog, sondern das Handelsblatt, das als erstes gierig die Agenda veröffentlichte. Aber hey, man kann das Märchen auch so zusammenfassen, schließlich gilt die Märchenfreiheit:

Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Häwelmann. Des Nachts schlief er in einem Rollenbett und auch des nachmittags, wenn er müde war; wenn er aber nicht müde war, so hatte er eine App auf seinem Häweltablet und konnte steuern und mit dem Bett in der Stube umherfahren, und davon konnte er nie genug bekommen, denn so konnte er die Stube überwachen und die Wohnung und vieles mehr. "Mehr, mehr", schrie Häwelmann, denn er wollte von seinem Bettchen aus die Menschen überwachen und die Tiere im Walde und die Sterne am Himmel. Supervision war das, glaubte der Häwelmann, und hielt es für einen ehrenhaften Beruf obendrein. Immer mehr wollte der kleine Häwelmann überwachen, doch am Ende der Geschichte schmiss ihn die aufgehende Sonne in die Spree – und dann? Ja, und dann? Weißt du nicht mehr? Wenn ich und du da nicht gekommen wären und nicht gegen die zunehmende Überwachung demonstriert hätten und dabei den kleinen Häwelmann aus der Spree gezogen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!

*** Was die Überwachung angeht, so ist seit der Auskunft der Bundesregierung über die Einsatzbereitschaft des Online-Durchsuchungsprogrammes bekannt, dass es bei der Software für die Quellen-TKÜ hapert. Nach der Version 4.20 von FinSpy untersucht das Bundeskriminalamt, ob die Version 4.50 dem Pflichtenheft entspricht. Denn die dringend benötigte Software darf nur "kryptierte Kommunikation" (Ziercke) vor der Verschlüsselung "an der Quelle" ausleiten und keinesfalls mal eben eine Festplatte durchschnüffeln, Screenshots machen oder sich in einen Stream einklinken. Eile ist geboten, denn zur anstehenden Herbsttagung des Amtes im November soll nicht nur ein Nachfolger für BKA-Chef Jörg Ziercke gefunden werden, der seine Abschiedsrede längst gehalten hat. Auch die Einsatzbereitschaft der Quellen-TKÜ soll dann gemeldet werden können.

*** Ach, ach. Man kann ganz trübsinnig werden bei all dem kruden Zeugs, was diese alten und nicht so alten Säcke so anstellen. Trösten wir uns ein bisschen mit einem alten Sack, der ganz ausgezeichnete Musik macht.

Was wird.

Nachfolger, Nachfolger, da war doch was? Richtig, in Schleswig-Holstein sucht man immer noch den Nachfolger für Thilo Weichert. Der darf am Montag die Sommerakademie der Datenschützer eröffnen, die sich mit dem "Supergrundrecht auf Sicherheit" befasst, unter anderem mit einem Vortrag von Snowdens deutschem Rechtsanwalt. Statt mehr, mehr, mehr Überwachung geht es umTechnik, Terror, Transparenz. Passend dazu gibt es ein nettes Video über die Zeit, als Thilo Weichert vom Verfassungsschutz überwacht wurde. Jetzt kämpft die Piratenpartei Schleswig-Holstein "aus Prinzip" gegen ihn, sinnigerweise mit einem Foto bebildert, das Weichert auf der Demonstration "Freiheit statt Angst" zeigt.

Freiheit statt Angst, da war doch was? Gegen den Überwachungsirrsinn findet am kommenden Samstag in Berlin genau diese Demonstration Freiheit statt Angst statt. Gestartet wird am Brandenburger Tor, dann umrundet man all die parlamentarischen Gebäude, in denen sich die Politiker abmühen, den Deckel auf der NSA-Affäre zu halten. Schließlich mischt Deutschland munter mit, etwa in der Türkei, in der ebenso intensiv wie zwecklos nach "Döner-Mördern" gesucht wurde. Auch das NATO-Mitglied Albanien ist offenbar ein Kernland. Dann geht es im gebührenden Abstand am Kanzleramt vorbei, ehe die Füchse im Tiergarten die Abschlusskundgebung hören können. Nach der durch den Bundestagswahlkampf aufgepimpten Demo 2013 dürfte die Zahl der Demonstranten dieses Jahr selbst bei gutem Wetter rückläufig sein. Snowden ist weit weg, wie im Mobilisierungsvideo zu sehen, das schwer verständlich ist. Statt "wir haben nichts zu verbergen" heißt es einfacher "wir haben wichtigeres zu tun" oder, was ich besonders apart finde, "ich bin höchstens Beifang". Brandenburger Tor, großer Auflauf? Da war doch was? So gehen Deutsche, Deutsche gehen so. (jk)