Der Junge Mann und das Meer

Unsere Ozeane sind voller Plastikmüll, der in riesigen Strudeln umhertreibt und in immer kleinere Teile zerfällt. Das Plastik ist eine Gefahr für die Tierwelt und für uns. Ein 19-Jähriger hat eine Idee, wie wir das scheinbar unüberwindliche Problem lösen könnten. Und er meint es ernst.

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Lesezeit: 24 Min.
Von
  • Jens Lubbadeh
Inhaltsverzeichnis

Unsere Ozeane sind voller Plastikmüll, der in riesigen Strudeln umhertreibt und in immer kleinere Teile zerfällt. Das Plastik ist eine Gefahr für die Tierwelt und für uns. Ein 19-Jähriger hat eine Idee, wie wir das scheinbar unüberwindliche Problem lösen könnten. Und er meint es ernst.

Es ist wirklich Zufall, dass Boyan Slats Hauptquartier in der DREAM Hall der TU Delft ist. Aber kein Ort könnte passender sein, steht das Akronym doch für Dream Realisation of Extremely Advanced Machines. Hier werden Träume nicht nur geträumt, sondern gebaut. Es ist laut in der riesigen Halle. Sägen kreischen, Bohrer dröhnen, Hämmer klappern, während die Studenten sich hier austoben und Maschinen bauen, die es noch nicht gibt. Slats Maschine ist aber selbst für dieses Ambiente eine Besonderheit. Sie ist 100 Kilometer groß, vier Kilometer tief und 317 Millionen Euro teuer. Die Dimension passt zur Aufgabe, soll sie doch eines der größten Probleme unserer Zeit lösen: die zunehmende Vermüllung unserer Ozeane mit Plastik. Slats sogenannter Ocean Cleanup Array ist eine gigantische Filteranlage für die Meere. Wenn sie fertig ist, besteht sie aus einer vollautomatisierten Sammelplattform, aus der v-förmig zwei lange Arme ins Wasser ragen.

Jeder ist 50 Kilometer lang und besteht aus schwimmenden Segmenten. Sie halten eine mit Gewichten beschwerte Plane, die drei Meter ins Wasser ragt. Die gigantische Anordnung wird von einer ausgeklügelten Seiltechnik gespannt und am Meeresboden verankert. Das Maul des Vs ist 120 Grad weit geöffnet und exakt so ausgerichtet, dass die Meeresströmung das Wasser und mit ihm den Plastikmüll hineintreibt. Die gefangenen Partikel treiben unaufhaltsam zum Zentrum der Anlage und konzentrieren sich dort. Förderbänder und Schlammpumpen fischen sie aus dem Wasser, in einem Stahlbehälter werden sie vollautomatisch verdichtet und gespeichert, bis das Transportschiff kommt und den Müll abholt, alle 45 Tage einmal. Denn so lange dauert es nach Boyan Slats Berechnungen, bis der 3000 Kubikmeter große Speicher der Plattform wieder voll ist. Das gesammelte Plastik soll dann entweder recycelt oder in Öl umgewandelt werden.

Klingt wie ein Traum? Vor knapp zwei Jahren war es das auch noch. Aber nun hält ein ziemlich müder Boyan Slat ein schweres, 528 Seiten dickes Buch in der Hand. Sein Titel: "Wie die Ozeane sich selbst reinigen können. Eine Machbarkeitsstudie". Der Deckel ist aus buntem Kunststoff – recyceltes Plastik aus den Meeren. Slat hat mit einem Team von über einhundert Leuten ein Jahr Arbeit und zwei Millionen Euro in die Studie investiert, die zum Teil per Crowdfunding finanziert wurde. Sie soll beweisen, dass sein Traum kein Schaum ist.

Rückblende: Es ist der 5. Oktober 2012. Nur wenige Meter von der DREAM Hall entfernt auf dem gewaltigen Campus der TU Delft steht ein Achtzehnjähriger auf der Bühne der Aula. Hier finden die TEDxDelft-Talks statt, die holländischen Ableger der renommierten TED-Vorträge, auf denen Visionäre ihre Ideen präsentieren. "Ideas worth spreading" lautet der Slogan. Und Slats Idee wird sich sehr bald schon im Netz verbreiten, nachdem der Vortrag als Video erscheint.

Die Geschichte nahm ihren Anfang, als er sich mit 16 Jahren im Tauchurlaub in Griechenland über die vielen Plastiktüten im Wasser ärgerte. Wie könnte man die Meere nur wieder sauber bekommen, fragte er sich. Die Idee der sich selbst reinigenden Ozeane hatte er in einem Schulprojekt, dann skizzierte er sie in einem Restaurant, klassisch auf einer Serviette. Und nun steht er hier, um sie zu präsentieren.

Man sieht die großen grünen Augen kaum, die entfernt an Frodo den Hobbit erinnern. Seine Stirnhaare verdecken sie. Er hat ein weißes Hemd an, das er nicht in die Hose gesteckt hat. Dazu Puma-Schuhe. Er tritt unruhig von einem Fuß auf den anderen. "Ich war sehr aufgeregt", erzählt Boyan Slat fast zwei Jahre später in der DREAM Hall. "Es war mein erster öffentlicher Vortrag überhaupt."

Er beginnt ihn mit epischem Gestus und gefalteten Händen: "Once there was a stone age", hebt er an, "...a bronze age...", er öffnet die Hände und hebt die linke Hand. "And now we are in the middle of the plastic age." Und man sieht es – unsere Ozeane sind voller Plastikmüll. "Why don't we just clean this up?", fragt er. Slats TED-Vortrag schlug ein wie eine Bombe. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Video viral, mit bis heute 1,5 Millionen Aufrufen. Die anschließende Crowdfunding-Kampagne für die Machbarkeitsstudie sammelte 89000 Euro ein.

Boyan Slat ist der Enkel des Plastikzeitalters, das nun schon seit 70 Jahren dauert. Seine Kehrseite ist der Müll, der mittlerweile überall in unseren Ozeanen schwappt. All die Einkaufstüten, PET-Flaschen, Verpackungen, die vom Winde verweht, illegal entsorgt, von Schiffen geworfen irgendwann im Meer landen und seine Bewohner gefährden. Fische, Delfine und Vögel halten den Kunststoff für Nahrung, fressen ihn, er verstopft ihre Mägen und Därme, die Tiere verenden. Die Plastikteile sind außerdem Transportmittel für gefährliche Passagiere. Mit ihnen reisen Algenblüten, Bakterien, und vor allem lagern sie Chemikalien wie PCB, DDT oder hormonell wirksame Weichmacher an.

Das Problem wird immer größer, denn der Plastikmüll wird immer kleiner – mürbe gemacht von den UV-Strahlen, ausgelaugt vom Salzwasser, zermahlen vom Wellendruck. Was nicht gefressen wird, sinkt ab, landet an den Stränden oder sammelt sich an Stellen weit draußen auf den Ozeanen: den großen Meeresdriftwirbeln. Sie entstehen durch Winde und die Erdrotation, ähnlich den Abflüssen unserer Badewannen und Waschbecken – nur dass es in ihnen keinen Abfluss gibt. Das Plastik, das einmal in diesen Mahlströmen gefangen ist, treibt dort für Jahrhunderte. So lange braucht es zum Verrotten.

Genau deshalb will Slat es herausfischen. Er ist nicht der Erste, der die Ozeane säubern will. Der Designer Ralph Schneider beispielsweise schlägt vor, automatisierte Schiffe mit Netzen auf Säuberungstour zu schicken. Floating Horizon nennt er die Idee. Eine weitere ist das Clean Oceans Project, das den eingesammelten Plastikmüll gleich an Bord in Treibstoff umwandeln will. Der Chicagoer Designer Elie Ahovi schickt sein futuristisches Drohnenkonzept ins Rennen: Eine autonome Mini-U-Boot-Flotte soll die Meere reinigen. Einem Architektenhirn entsprang die Idee, aus dem Plastikmüll künstliche Inseln zu erschaffen, auf denen wir einmal leben könnten. Alternativ soll ein Unterwasser-Fisch-Tower Plastik aufsaugen und daraus die Basis für Fischfarmen machen – irgendwie.

Sogar die Design-Legende James Dyson beteiligt sich an dem Ideen-Jahrmarkt: Er hat einen mobilen Wasserstaubsauger vorgeschlagen, der Flüsse "durchsaugen" soll. Selbst wenn diese Konzepte über den Status reiner Designstudien hinausgehen – sie scheitern letztlich an einem Fakt: dem gewaltigen Ausmaß der Vermüllung. Es gilt eine Fläche zu säubern, die größer sein dürfte als der gesamte amerikanische Kontinent. So genau weiß das noch niemand, weil es keine exakten Daten über die Ausmaße der Müllwirbel gibt. Schickte man ein Putzgeschwader los, wäre das Plastik wahrscheinlich zerfallen, bevor die Reinigungsmaschinen fertig wären. Die Putzschiffe würden zudem Unmengen an Energie verbrauchen und viele Milliarden Euro kosten.