Jeremy Rifkin: Mit freier Software auf dem Weg zur HD-Gesellschaft

Großer Andrang im Berliner Allianz-Forum am Brandenburger Tor: Der US-Denker Jeremy Rifkin stellte sein neues Buch vor, laut dem Kapitalismus durch die Ökonomie des Teilens abgelöst wird. Deutschland solle dabei Vorreiter sein.

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Von
  • Detlef Borchers

Sigmar Gabriel lobt ihn, Angela Merkel lässt sich von ihm beraten und Internet-Expertin Gesche Joost hing in Berlin an seinen Lippen. Dass ein Amerikaner wie Jeremy Rifkin ausgerechnet Deutschland als Motor der dritten industriellen Revolution dafür auserkoren hat, das Ende des Kapitalismus einzuleiten, macht den kleinen Mann hier zum Superstar. Wer sein unbedingtes Plädoyer für freie Software und erneuerbare Energien hört, fühlt sich unweigerlich an einen in Ehren ergrauten, gut rasierten Richard Stallman erinnert. Mit der Vorstellung seiner zentralen Thesen aus seinem neuen Buch Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft sorgte Rifkin auf Einladung der American Academy für ein volles Haus.

Sieht die Null-Grenzkosten-Gesellschaft am Horizont: US-Denker Jeremy Rifkin.

(Bild: heise online/Detlef Borchers)

Der Einstieg in das neue Zeitalter beginnt für Rifkin mit dem Smart Grid als Bürgernetz, in dem viele die Allgemeingüter Sonne, Wind und Wasser zur Energiegewinnung bewirtschaften und die Energie untereinander teilen. Die großen Energiekonzerne müssen sich angesichts dieser Vielfalt umstellen und können höchstens als Provider des Energienetzes überleben, das ähnlich wie das bereits existierende Internet der Informationen zu einem universalen Austauschnetz wird.

Mehrfach wies Rifkin in seinem Vortrag auf das Vorbild IBM hin, das sich aus der Produktion von Computern verabschiedete und sich seitdem zu einem Dienstleister auf der Basis freier Software entwickelte. Ähnlich wie IBM müssten sich Energieversorger von ihrer bisherigen Rolle verabschieden und gemeinnützige Unternehmen ("not for profit enterprises") werden.

Neben dem Energienetz entsteht ein Internet der Dinge, genutzt von allerlei billigen elektrischen Geräten auf der Basis freier Software. Sie sind der "Transmissionsriemen" für den Einstieg in die "Null-Grenzkosten-Gesellschaft" als Geräte, deren Fixkosten schnell bezahlt sind und die dann praktisch für sehr geringe Kosten Waren produzieren. Damit ändere sich die Einstellung zum Eigentum. Schon heute würde sich gerade bei den Heranwachsenden ein Bewusstsein entwickeln, dass nicht mehr vom Eigentumsdenken geprägt ist.

"Das Kind bekommt Spielzeug aus einem Online-Shop und kann mit diesem spielen. Wenn es nicht gefällt, wird es nach zwei Tagen zurückgeschickt. Das prägt die Einstellung zum Eigentum, der Eigentumsgedanke fällt weg." Überhaupt haben die Kinder in Rifkins Ausstiegsszenario eine rosige Zukunft: "In fünf Jahren hat jede Schule einen 3D-Drucker und bringt Kindern den Umgang mit ihnen bei, in zehn Jahren hat jedes Kind einen 3D-Drucker." Freie Software und billige Smartphones bilden die Grundlage der Ökonomie des Teilens. "Warum überlassen sie den Profit einem Unternehmen wie Uber? Jeder kann eine Website aufmachen und Fahrdienste anbieten, jeder Stadtteil, jeder Häuserblock."

In der kurzen Diskussion der Rifkinschen Theorien charakterisierte Moderator Richard Karger die kommende Gesellschaft als HD-Gesellschaft in dem Sinne, dass es hochaufgelöste vielseitige Beziehungen gibt und jeder Mensch in den Netzen eingebunden ist. Rifkin betonte die zentrale Bedeutung der Netzneutralität beim klassischen Internet wie beim allseits geteilten Energienetz.

Einwände, dass Firmen wie Google oder Facebook oder Investoren wie Warren Buffet aus Profitgründen den Einstieg in die Ökonomie des Teilens verhindern könnte, konterte Rifkin mit dem einfachen Hinweis, dass der Kapitalismus ja weiter existieren werde. Nur seine Rolle als treibende Kraft sei vorüber und könnte heute schon niemanden beflügeln. Das Profitdenken werde von einer anderen Einstellung abgelöst: "Die soziale Ökonomie braucht Millionen von Motivationen für das gemeinsame Wirtschaften". Die nächsten 30 Jahre sind nach Rifkin die entscheidenden Jahre für die richtige Weichenstellung. (axk)