Kommentar: Ello und Goodbye

Über das soziale Netzwerk Ello wird dieser Tage viel gesprochen. Der zur Facebook-Alternative hochgejazzte Dienst wird aber bald wieder vergessen sein, meint Herbert Braun.

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Von
  • Herbert Braun
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Wenn man an diesem Tag über soziale Netzwerke redet, sollte man mit einer Gedenkminute beginnen: Google schaltet heute Orkut ab. Orkut war vor über zehn Jahren Googles erster Versuch, ein soziales Netzwerk zu starten – noch vor Facebook. Doch auch die Märkte in der Dritten Welt, einst Orkuts Stärke, gaben dem blauen Riesen irgendwann nach, und so kam das Ende wenig überraschend.

Der Website-Beobachter Alexa sieht Orkut weltweit auf Rang 7018. Ungefähr 100.000 Plätze tiefer finden wir einen Dienst, über den seit ein paar Tagen sehr viele Leute reden: Ello.

"Your social network is owned by advertisers (...) We believe there is a better way", erklärt der Ello-Türsteher den Schlange stehenden Interessenten in einem Manifest: "You are not a product." Das sind schöne Sätze, und die darauf folgenden Bekenntnisse zu Datenschutz, Zensur- und Werbefreiheit sowie allgemeiner Gutartigkeit können einem Tränen der Rührung in die Augen treiben.

Wenige Optionen: Ello ist alles andere als ein Feature-Monster.

Wie Ello das Geld für die teuren Büromieten verdienen und die Investoren zufriedenstellen will, die eine halbe Million in das Projekt gesteckt haben, wird hingegen nicht recht klar; kostenpflichtige Premium-Features soll es geben, aber noch fehlt es an vielen Basisfunktionen. Und bei genauem Hinschauen behält sich die Datenschutzerklärung durchaus vor, Benutzerdaten an andere Unternehmen weiterzugeben.

Was Ello wirklich gut kann: nicht viel, außer gut auszusehen. Doch die Form folgt hier nicht der Funktion. Bei Facebook suche ich mir regelmäßig einen Wolf, um irgendwelche Einstellungen zu finden, aber es gibt halt auch viele davon. Ello wirkt dagegen aufgeräumt, hat seine wenigen Features jedoch merkwürdig verstaut.

Verglichen mit Ello wirkt sogar Twitter wie ein Feature-Monster. Ich kann nicht kontrollieren, wer meine Posts sieht, wer mich finden oder kontaktieren darf, kann keine Benutzer blocken. Vieles davon ist angekündigt, aber Ello als "beta" zu bezeichnen, hat etwas Euphemistisches.

Alle paar Monate treiben Journalisten und Digitalhipster eine andere Sau durchs Dorf, die diesmal aber wirklich Facebook mächtig angreift. Ende 2010 hatte jeder, der dazugehörte, seinen Path-Account – ein Netzwerk, das nach diversen Datenschutzskandalen seine größte Fanbasis im wenig glamourösen Indonesien hat. Zwei Jahre später schwärmte die technophile Timeline von App.net: Wie Twitter, nur viel besser! Inzwischen läuft der Dienst auf Sparflamme, neue Features wird es nicht mehr geben.

Einen Open-Source-Twitter-Klon hatte es vorher schon gegebeben: Status.net, dessen bekannteste Implementierung identi.ca in den unteren Rängen von Alexas Top-100.000-Liste herumdümpelt. Noch trauriger ist das Schicksal von Diaspora, dessen Konzept so überzeugend klingt – doch nicht nur der Name verweist auf eine verstreute Minderheiten-Community: Wer auf Google nach "Diaspora" sucht, findet vor allem Kirchennachrichten. Die letzte Diaspora-Nachricht, die es in die Medien geschafft hat, war, dass es jetzt die Steinzeit-Fundamentalisten der IS-Terrortruppe benutzen.

Den größten denkbaren deutschen Social-Hype trat einst Amen los (geheimnisvoll! Ashton Kutcher!), das aber trotzdem sang- und klanglos absoff. Und in keinem Startup-Wettbewerb fehlt das ehrliche soziale Netzwerk mit Datenschutz, der nette Facebook-Killer. Doch daran ist sogar Google gescheitert. Man mag darüber streiten, ob Google+ ein totales Fiasko war, aber sicherlich hat es die Erwartungen des Giganten Google nicht erfüllt.

Ein Kommentar von Herbert Braun

Herbert Braun ist Webentwickler und hat 2004 bei der c't angeheuert, wo er sich als Redakteur um Webtechniken, Browser und Online-Trends gekümmert hat. 2013 verließ er schweren Herzens (aber auf eigenen Wunsch) die Redaktion, um sich von Berlin aus als freier Autor und Webentwickler durchzuschlagen.

Jetzt bekommt also Ello seine fünf Minuten Ruhm. Dabei profitiert es von einer kleinen Welle schlechten Karmas, die gerade über Facebook hinwegrollt: Das Einwohnermeldeamt des Internet will Klarnamen durchsetzen, womit sich schon Google+ keine Freunde gemacht hat. Damit lädt es den Zorn von Nutzern auf sich, die sich aus guten Gründen im Internet als Kunstfigur oder Alter Ego bewegen, insbesondere Transgender-Menschen. Aber solche Impulse verpuffen meist nach kurzer Zeit.

Das Aufregendste an Ello ist wahrscheinlich der Satz auf der Startseite: "Ello is invite only." Sobald dieser Zauber verflogen ist, dürfte nicht viel übrig bleiben vom Social Herbsthype 2014 – im besten Fall ein kleineres Netzwerk, das sich langfristig in einer Nische etablieren kann. Losgelöst von seinem Hype ist Ello ein netter kleiner Dienst mit sympathischen Ideen, der zu früh zu groß wurde.

Aber den auf anderthalb Milliarden aktive Mitglieder zusteuernden Behemoth Facebook herausfordern? Das konnten weder Orkut noch Google+, und erst recht wird es Ello nicht schaffen – was für viele ein Wunschtraum sein mag, wird so wenig in Erfüllung gehen wie die Verdrängung Googles durch eine andere Suchmaschine. Meist braucht es grundlegende Marktveränderungen, um solche Riesen ins Wanken zu bringen. Fragen Sie Yahoo: Die haben gerade das Ende ihres einst beherrschenden Verzeichnisdienstes bekanntgegeben. (jo)