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Was war. Was wird.

Wo bleibt das Positive? Ist der Computer nicht unser aller Freund?, fragt Hal Faber in diesen grusligen Zeiten, in denen irgendwelche Internetpioniere mit seichtem Humanismus-Geschwätz irgendwelche Friedenspreise bekommen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.



*** "So sieht ein Arbeitsplatz-Killer aus", plakatierte der DGB im Jahre 1979. Bemerkenswert, dass keine schwielige Hand den Killer hält, sondern eine weibliche Griffzange zu sehen ist, mit gefährlich spitzen Fingernägeln und einem Stempelabdruck am Daumen. Wie dem auch sei, die Kampagne hatte Erfolg. Jahrelang gruselten sich die Deutschen vor den Computern. Wenn von ihnen schon einmal im geistreichen Feuilleton geschrieben wurde, waren es in Texten wie dem über den Sonnenstaat des Doktor Herold, der zeitgleich mit dem Plakat erschien. Noch 1985 forderte ein Wissenschaftler und Journalistenausbilder einen "umfassenden Entwicklungs- und Anwendungsstopp von Informationstechnik" auf allen Ebenen und bekannte Mescalero-mäßig seine "klammheimliche Freude" über alle Formen der Computersabotage. Niemals dürfe der Deutsche zur Gruppe der "Technologie-Dulder gehören, die früher oder später an ihrem Bildschirm-Arbeitsplatz durch Roboter ersetzt werden wird."

*** Von wenigen Begeisterten abgesehen, die "Reisen zu den Infonauten" unternehmen, wiederholte sich das Gruseln, als das gefestigte Deutschland unter Kohl die "Datenautobahn" wahrzunehmen begann. Während Netztechnologien alle Lebensbereiche eroberten, erschauderte man mit "Sex, Lügen und das Internet", in Anlehnung an einen Film von Soderbergh. Das zog sich hin bis zum "Tatort Internet" der Freifrau von und zu Guttenberg. Jetzt geht es munter weiter mit Jaron Lanier, der als Friedenspreisträger erzählen kann, wie gruselig doch die Zeiten sind in denen wir leben, garniert mit seichtem Humanismus-Geschwätz. Das einer wie Lanier von den Friedenspreisverschleuderern als "Pionier in der Entwicklung des Internets" gewürdigt wird, ist eine grandiose Fehlleistung ähnlich der "Ländersache Datenautobahn" eines Helmut Kohls. Ebensowenig kann er den Cypherpunks zugerechnet werden, wie es die tageszeitung schwärmt. Über das "philosophische Urgestein der digitalen Welt" sinnieren die den Preis aufbindenden Preiselbären:

"Eindringlich weist Jaron Lanier auf die Gefahren hin, die unserer offenen Gesellschaft drohen, wenn ihr die Macht der Gestaltung entzogen wird und wenn Menschen, trotz eines Gewinns an Vielfalt und Freiheit, auf digitale Kategorien reduziert werden."

Solche Sprachschäume sind einfach nur schmerzhaft. Wer oder was entzieht denn unserer "offenen Gesellschaft" (des Mos Maiorum eigentlich die "Macht der Gestaltung"? Und was sind bitteschön "digitale Kategorien"? Duckduckgeht man diesem Begriff hinterher, landet man wieder und wieder bei dem schwachsinnigen Satz der Jury, selbst bei der Wahl anderer Sprachen.

*** Im krassen Gegensatz zum seichten Sprachplanschen lässt sich allein an den Tickernachrichten einer einzigen Woche konkret bestimmen, wie das mit der "Macht der Gestaltung" aussieht in diesem unseren Land. Da gibt es einen amtierenden Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, der gemäß einer Zeugenbefragung allen Ernstes ungestraft behaupten darf, dass Geheimdienstler ohne jegliches Reglement und Kontrolle in Deutschland Satellitendaten aus dem Ausland erfassen und auswerten dürfen, weil diese "im Weltall erhoben werden", in dem keine deutschen Gesetze gelten würden. Juristen finden das skandalös, während wir rätseln dürfen, wo das Weltall à la mode de BND beginnt? Troposphäre, Stratosphäre, Mesosphäre, Thermosphäre? Ich schlage die Schindlersphäre vor. Sie beginnt wenige Meter über dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wenn man aufspringt und sich über den Schnüffelstaat empört. Dann darf man abgeschnorchelt werden.

*** Nun gut, für die abstrusen Argumente eines Geheimdienstlers kann man einen wie Lanier nicht verantwortlich machen. Was aber ist mit seiner Idee, dass die NSA alle entschädigen muss, die ohne richterlichen Beschluss ausspioniert wurden, weil Geld der Gegenwert einer unbegrenzten Lizenz zum Ausspähen ist?

"They will not be able to do omni spying anymore. They won’t be able to spy in advance without people knowing they’re being spied on, because the people will get money, and that’s proper."

Wenn am Ende nur die Frage wichtig sein sollte, wer wie bezahlt wird, muss es auch Antworten geben, was mit dem Geld passiert, das für die Leitung der universalen Schnüffelei gezahlt wird. So ist es recht aufschlussreich, wie es um die Investments des ehemaligen NSA-Chefs Keith Alexander bestellt ist, deren Offenlegung angeblich die nationale Sicherheit der USA bedroht. Worüber man nicht sprechen darf und wo man nicht investieren und infiltrieren kann, darüber muss man schweigen und kräftig sabotieren. Bislang machten deutsche Provider und Firmen große Augen, wenn man als Journalist nach möglichen NSA-Spionen fragte. Undenkbar! Dabei ist der Kopf rund, damit der Spion die Seiten wechseln kann.

*** Ja, der Snowden-Zähler ist wieder ein kleines Stückchen gewachsen, mit stabilen Tendenzen für die nächsten 35 Jahre. Diesmal mit Hilfe von Laura Poitras, der Filmemacherin, die in Berlin im Exil lebt, wobei dieses Exil selbst gewählt ist: Ihren neuen Dokumentarfilm Citizen Four stellte sie persönlich in New York vor. Er soll übrigens die tröstliche Nachricht enthalten, dass Snowdens Freundin nun in Moskau an seiner Seite lebt und dieser nicht, wie weiland Kim Philby, im Alkoholismus enden muss, wie das die Klatschpresse befürchtete. Kein Grusel im Osten.

*** Nach vielen obskuren Entscheidungen zum Friedensnobelpreis findet die Auszeichnung von Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi große Zustimmung und nur wenig Kritik. Abgesehen von radikalen Islamisten kam die heftigste Kritik im Freien Westen™ ausgerechnet vom Twitter-Konto von Wikileaks, hinter dem Julian Assange vermutet wird. Man zwitscherte dort, dass die junge Malala als 2Marke westlicher Medien abwertete und meinte, dass das Nobelkomitee die Regeln der Preisvergabe verletzt habe. Auch wenn die Antwortfristen für Assanges Anwälte in dieser Woche noch einmal verlängert wurden, läuft die Zeit im aktuellen Verfahren davon. Hinzu kommt, dass Schweden Pälästina anerkennen will, um den sogenannten "Zwei-Staaten-Prozess" einzuleiten. Die Argumentation, dass solch ein Staat als Marionette der USA agiert, erscheint abseitiger denn je zuvor. In Schweden hat sich derweil die Anwältin der durch Assange genötigten Frauen in der größten Tageszeitung zu Worte gemeldet und die urteilende Rolle der Medien beklagt: Nach der Tragödie kam die Farce, nun kommen die Clownereien und danach die Tränen.

Was wird.

Wie war das noch einmal mit der "Macht der Gestaltung"? Wir haben einen BND-Präsidenten, dessen Verstand ins Weltall entflüchtet ist. Wir haben die bereits in der letzten Woche erwähnte BND-Operation Eikonal, die nun nicht vom BND, sondern von der genervten NSA beendet worden sein soll. Wir haben einen Verfassungsschutz, der seit 2005 und nicht erst seit 2011 etwas vom nationalsozialistischen Untergrund etwas hätte wissen können. Was wir angesichts dieser geballten Inkompetenz nicht haben, ist Mumm. Politische Verantwortung für den Eikonal-Filter DAFIS, die wie erwähnt bei Frank-Walter Steinmeier liegt, wird aus Gründen der nationalen Sicherheit abgelehnt, wobei die Gründe selbstschweigend eine geheime Verschlusssache sind.

Ist Besserung zu erwarten? Die Skepsis ist groß. Für den NSU-Untersuchungsausschuss muss in der anstehenden Woche der abgehalfterte Clemens Binniger (PDF-Datei) ran, die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden zu loben. Am gleichen Tag debattiert Wirtschaftsminister Siggi Pop Gabriel mit Googles Eric Schmidt über die "Wirtschaft von morgen", gleich nach der ach so transparenten TTIP-Debatte im Bundestag. Es soll selbstredend kein Google-Bashing werden, sondern eine "offene Debatte". Schließlich verändert sich Google gerade von einer unbösen Suchmaschine zum (nicht nur) deutschen offiziellen Löschdrescher im Namen eines Datenschutzes, der Meinungsfreiheit für einen Fußabtreter hält, auf dem die Scheiße hängenbleiben kann. Und dann? Der rest wird Schweigen sein, wenn unsere Datenschützer und, haha, haha, "Beauftragte für Informationsfreiheit" das letzte Wort haben: "Eine Befugnis der Anbieter von Suchmaschinen, Inhaltsanbieter routinemäßig über die Sperrung von Suchergebnissen zu informieren, besteht nicht." Schwamm drüber!

Wo bleibt das Positive? Ist der Computer nicht unser aller Freund, wie es ein chilenisches Flugblatt während der Regierungszeit von Salvador Allende im Juli 1973 formulierte? Was ging da schief?

(vbr)