Schneller als der Shinkansen

Der Transrapid hat es nie über ein paar Kilometerchen Rennstrecke hinausgebracht. Die Japaner wollen nun ihre Version des rasanten Magnetschwebezugs, den Maglev, wirklich im Fernverkehr als Massentransportmittel einsetzen.

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Von
  • Martin Kölling

Der Transrapid hat es nie über ein paar Kilometerchen Rennstrecke hinausgebracht. Die Japaner wollen nun ihre Version des rasanten Magnetschwebezugs, den Maglev, wirklich im Fernverkehr als Massentransportmittel einsetzen.

Die Japaner wollen endlich vollbringen, was deutsche Industrie und Politik nie geschafft haben. Mit einer Reisegeschwindigkeit von 500 Kilometern pro Stunde soll eine Magnetschwebebahn im Fernverkehr eingesetzt werden. Am vorigen Freitag hat die Regierung endlich den Antrag der Bahngesellschaft JR Tokai genehmigt, den Bau einer neuen Linie zwischen Tokio und Nagoya zu beginnen.

Die Idee ist verlockend. 2027 soll der erste Zug losschweben, um die Fahrtzeit zwischen den beiden etwa 300 Kilometer entfernt liegenden Metropolen von bisher 88 Shinkansen- auf 40 Minuten Maglev-Minuten zu senken. Bis 2045 ist die Verlängerung der Trasse bis zu Japans zweitgrößter Megacity Osaka angedacht. Sie würde die Fahrtzeit zwischen Osaka und Tokio von 138 Minuten mit dem neuesten Shinkansen auf nur noch 67 Minuten senken. Weit entlegene Städte rücken damit auf Pendlerdistanz zusammen.

Doch was ist das für ein Projekt: Schon die Lektüre des Bauantrags lässt die Dimension der Vision erahnen. Im ersten Abschnitt müssen 285,6 Kilometer neue Strecke gebaut werden. 86 Prozent führen durch Tunnel, acht Prozent über Viadukte, vier Prozent über Brücken und zwei Prozent auf festem Boden. Als Herstellungskosten wurden 5523,5 Milliarden Yen (derzeit 40,6 Milliarden Euro) veranschlagt, die allein JR Tokai aus den eigenen Gewinnen finanzieren will, die der Shinkansen auf der viel benutzten Strecke einfährt. Japans schneller Zug feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag.

Auch technisch ist die Idee mega: Anders als der Transrapid, der auf einen wenige Zentimeter dicken Magnetkissen schwebt, liften die Japaner ihr Geschoss etwa zehn Zentimeter in die Lüfte. Dazu setzen sie auf supraleitende Magneten. Die Folge: Statt wie der Transrapid elegant über eine Betonschiene zu flutschen, müssen die Japaner eine Betonwanne bauen, um ihr Geschoß in der Spur zu halten. Darüber hinaus rollt ihr Superzug bis 150 km/h auf Gummirädern. Denn bei niedrigeren Geschwindigkeiten reicht die Magnetkraft des sogenannten elektrodynamischen Schwebesystems nicht aus, um den Zug in der Luft zu halten.

Dafür ist er mit einer Spitzengeschwindigkeit von 581 Kilometern pro Stunde schneller als der Transrapid, der es auf seiner 30 Kilometer langen Strecke in Shanghai auf maximal 501,5 Kilometer pro Stunde schafft. Die Beschleunigung des japanischen Schwebezugs ist beeindruckend: Er erreichte die Spitzengeschwindigkeit nach 92 Sekunden. Der französische TGV war in der Spitze zwar nur ein paar Kilometer langsamer, aber benötigte 13 Minuten und ein leichtes Gefälle, um seinen Rekordwert zu erreichen.

Und was kostet uns der Spaß in der Kohlendioxidbilanz? Nach einem Bericht des Verkehrsministeriums soll der Superzug bei einer Auslastung von 80 Prozent 40 bis 80 Gramm Kohlendioxid pro Fahrgast und Kilometer erzeugen. Im Vergleich: Bei der dann zum Bummelbähnle degradierten Eisenbahn sind es 18,3 Gramm, und bei den in Japan zu Luftbussen umfunktionierten Passagierjets rund 110.

Die große Frage ist, ob der Zeitgewinn den erhöhten Energiebedarf wert ist. Besonders wenn man bedenkt, dass das Internet Reisen eigentlich in vielen Fällen überflüssig macht. Aber in Japan ist die Antwort ein entschlossenes "ja". Und dabei spielt womöglich nicht nur der technische Machbarkeitswahn eine Rolle, sondern eine besondere Eigenschaft der japanischen Geschäftskultur. Ein chinesischer Journalist erzählte mir einmal, wie sehr ihn verwundere, dass viele Interviews in Japan noch von Angesicht zu Angesicht stattfinden und nicht über das Internet wie in China. Offenbar setzt Japan auch in Zeiten allgegenwärtiger virtueller auf physische Präsenz.

Auf der einen Seite ist diese Präsenzkultur ja herrlich altmodisch. Auf der anderen ist sie schlicht altmodisch, besonders wenn man für ihre beschleunigte Realisierung viele Milliarden Euro verbaut. Aber vielleicht sagt sich JR Tokai auch: Wohin sollen wir denn sonst unsere Gewinne investieren, wenn nicht in einen Magnetschwebezug? 2012 erwirtschaftete der Konzern bei Einnahmen von 1585 Milliarden Yen einen Betriebsgewinn von 426 Milliarden und einen Reingewinn von 200 Milliarden Yen (1,5 Milliarden Euro). Preissenkungen kommen den japanischen Bahnern jedenfalls nicht in den Sinn. (bsc)