Was war. Was wird.
Es ist nicht nur die Rückkehr von Gipfeln, die einen vernebelten Kopf hinterlässt, grummelt Hal Faber. Es ist auch die digitale Gesellschaft, die jeden Zukunftsenwurf eines Reichs der von Notwendigkeit befreiten Individuen absurd erscheinen lässt.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Ăśber allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
SpĂĽrest du
einen Hauch
Moore for more.
Warte nur, balde
haben wir Glasfaserkabel
und das fahrerlose Auto auch.
Johann Wolfgang Goethe war halt ein Visionär. Das unterscheidet ihn von den Besuchern der IT-Gipfel, angefangen vom ersten Gekraxel dieser Art. Erinnert sich noch jemand an das Gipfelprojekt Theseus, gefördert mit 200 Millionen Euro? Längst ist Theseus sanft entschlafen, obwohl nochmal ein paar Millionen für den Mittelstand zugebuttert wurden. Heute bestimmt W wie Watson, wohin die Reise geht, während W wie Theseus-Vater Wolfgang Wahlster auf IT-Gipfeln Vorträge hält.
*** Über den diesjährigen IT-Gipfel der Bundesregierung ist viel geschrieben und kommentiert worden – aber längst noch nicht alles gesagt. Ja, die niedliche Suche nach dem F-Wort durch die Kanzlerin, die ihr ein Redenschreiber ins Manuskript gesetzt hatte, wurde ausgiebig belächelt. Das passte ins Bild der oberflächlichen Beobachter, denen das Manuskript vom Vortag nicht vorlag. Es gilt das gesprochene, von Kanzlerin Merkel gut abgelesene Wort und da kommt dann doch manches zu Tage, was sich besser analysieren lässt als die drei F "Frequenzen, Förderung und Festnetz".
*** Denn F wie Festnetz ist ein Täuscher der besonderen Art. Damit es wirklich schnell wird, müsste Glasfaser verlegt werden und das ist teuer. Deshalb die Funkerei. Es begann auf dem Gipfel schon damit, dass Merkels Vorredner Dieter Kempf auf dem Gipfel forderte, noch in diesem Jahr die 700 MHz-Frequenzen freizugeben: "Zusätzliche Frequenzen sind der größte Hebel für den schnellen flächendeckenden Ausbau mit Superbreitband." Die Frequenzen wollen die TK-Konzerne haben, aber auch die Industrie 4.0 für ihre Maschinendatenmischanlagen. Prompt regt sich der Protest bei den Leuten, die die Frequenzen im Namen der Sicherheit haben und andere ausgrenzen wollen. Kraftwerke bräuchten keine Reichweiten und sollten gefälligst oberhalb von 1000 MHz funken, heißt es da. Weitere Verteilungskämpfe sind zu erwarten.
*** Deutschland hat sich in weiten Teilen von der Hardwareproduktion zurĂĽckgezogen, zumindest was die IT anbelangt. Eines der letzten GroĂźprojekte war der 32-Bit-Chip, auf den ich bereits verwiesen habe. Es empfiehlt sich, die Gedanken zu lesen, die Merkels Redenschreiber fĂĽr den Gipfel anno 2014 formulierten:
"Jetzt müssen wir uns fragen: Wollen wir sehr viel Geld investieren, um beim Thema „more Moore“ wieder vorne mit dabei zu sein oder aber machen wir auf der Basis von „Moore“ mehr, also „Moore for more“? Und da sind wir an einem Punkt angelangt, an dem ich dafür plädiere, auf der Basis der neuesten Entwicklungen vor allen Dingen dafür Sorge zu tragen, dass alles, was sich auf dem Chip aufbaut, uns dann auch wirklich souverän zur Verfügung steht, sodass wir die Vernetzung mit der Industrie, mit der Realwirtschaft relativ gut hinbekommen."
An dieser Stelle hätte zwingend ein Plädoyer für Open Souce-Prinzipien in der Hardware und der Software folgen können, denn anders ist ein wirkliches "souverän zur Verfügung"-Stehen nicht machbar, sondern eine Abfolge von Abhängigkeiten, "was sich auf dem Chip aufbaut". Doch das geschah nicht. Wie Nutzer enteignet werden können, zeigte die Aktion von FTDI am Tag nach Merkels Gipfel-Rede. Aus der Aktion gegen Fälscher wurde ein Eigentor, weil die Firma sich nicht damit begnügte, den Treiber zu verändern, sondern die geklonten Chips selbst zu manipulieren. Achja, wer nicht nur Programmieren lernt, sondern verstehen lernt, wie Netzwerk und Firewall funktionieren wird sich auch seinen Teil zum selbstbestimmten zur Verfügung-Stehen denken können. Dann wäre noch darauf hinzuweisen, dass mitnichten nur Deutschland von einer Sonderrolle träumt. Auch die Schweiz will sich souverän profilieren, mit ihrem besseren Datenschutz.
*** Auf dem IT-Gipfel wurde dem armen alten Pferd De-Mail ein kräftiger Tritt verpasst, doch bitte weiterzulahmen, so ohne Verschlüsselung per default, beäugt vom misstrauisch gewordenen Bürgern. Dank der Bemühungen von NSA, BND und Co. wird dem Klepper nicht getraut: Seit vier Monaten ist Dresden De-Mail-City. Jeder der 530.000 Bürger kann dort eine De-Mail-Adresse haben und bekommt noch einen Einkaufsgutschein dazu. Das Resultat: 40 De-Mails wurden in der De-Mail-City registriert, rund um die Uhr. Ob da ein Barcamp hilft?
*** Viele haben sie in der Schule gelernt, die Ansichten von Karl Marx über die kommunistische Gesellschaft, "...wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends zu Programmieren, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Programmierer oder Kritiker zu werden." [Die deutsche Ideologie)] Das ist aus der Sicht von Eric Schmidt natürlich vollkommener Unsinn. Diese lehnt auch die Work-Life-Balance ab, auf Deutsch die Vereinbarkeit von Familie, Privatleben und Beruf. Schmidt bewundert Frauen, die sich um ihre Kinder kümmern und um 11 Nachts in der Firma auftauchen und dann hart arbeiten. Ein Benefit-Programm mit dem Einfrieren von Eizellen wird bei Google sicher noch kommen. Und wenn Frauen Beruf und Familie vereinbaren können, dann bitte sollen das auch diese Schlappschwänze von Busfahrern schaffen, die die Menschen zum Googleplex kutschieren.
*** Mit Schmidt ist auch Julian Assange nicht einverstanden, aber aus anderen Gründen: Er hält den Google-Statesman für den verlängerten Arm der CIA. Nun entscheidet das schwedische Berufungsgericht in zweiter Instanz über seinen Antrag, den europäischen Haftbefehl außer Kraft zu setzen. Vielleicht ist eine eine Art Zeitumstellung – oder nur eine weitere Schleife in der Geschichte eines aufstrebenden Modezars.
Was wird.
Wipfel haben kurze Beine.
Je fetter der Vogel, desto magerer der Wald.
Ruhe ist die erste BĂĽrgerpflicht.
Das, liebe LeserInnen, ist die Antwort des Computers, den Georges Perec und Eugen Helmlé in ihrem Hörspiel "Die Maschine" mit dem Goethe-Gedicht "Wandrers Nachtlied" fütterten. Er sollte nach einer automatischen Analyse des Gedichtes zeigen, dass Computer bessere Gedichte als Goethe generieren können. "Ruhe ist die erste Bürgerpflicht": In der Tat, das ist zeitlos! Ruhe bewahren, das ist der Sicherheitsratschlag schlechthin, gegen all die lästigen Einwände. Ruhe bewahren und nicht verschlüsseln, denn es ist zwecklos, jede E-Mail zu kryptieren. Das behauptete niemand anderes als der oberste deutsche Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen auf die Frage nach Konsequenzen aus der Snowden-Affäre, wenige Tage nach dem IT-Gipfel. Man müsse nur die Kronjuwelen und wichtigen Informationen schützen und alles wird gut. Haben Wipfel wirklich kurze Beine oder war da was anderes kurz? Auch Computer können sich mal irren.
Nach dem Gipfel ist vor dem Wipfel: Am Dienstag wird das von Otto Schily Ende 2004 eingerichtete Terror-Abwehrzentrum 10 Jahre alt. Zur Geburtstagsfeier wird geballte Sicherheitskompetenz aufgefahren, von Otto Schily über Thomas de Maizière, Jörg Ziercke (BKA), Gerhard Schindler (BND) und dem erwähnten Hans Georg "Zwecklos" Maaßen. Nichts soll die gute Stimmung trüben, schließlich hat man die vom Bundesverfassungsgericht gerügten Gesetze für die Einrichtung und Benutzung der Anti-Terror-Datei mühsam repariert. Die nächste antiterroristische Maßnahme, der Entzug des Personalausweises, beurteilen Juristen sehr skeptisch. Aber solange kann man feiern und von einem herausragenden "Beispiel für eine vernetzte Sicherheitsarchitektur in einem föderalen Staat" schwärmen: 20 gewaltbereite Islamisten wurden abgefangen, 400 schafften es in den Nahen Osten, 450 sollen die schicken Ausweise bekommen und keine Autos und Wohnungen mehr anmieten dürfen. Dann sind da noch 6300 andere zwielichtige Gestalten. Aber halt, was sagte der Computer? Ruhe ist erste Bürgerpflicht.
Oh, wir haben noch ein Jubiläum, datumstechnisch leicht verwackelt. Nein, gemeint ist nicht diese seltsam fehlerhafte Übersetzung zur Geschichte von Ubuntu. Vor 10 Jahren veröffentlichte Eric Raymond das letzte Dokument aus der Reihe der Halloween-Dokumente von Microsoft. Die Get The Facts-Kampagne startete zwar im Juni 2004, musste aber im Herbst umgebaut werden, weil die Reaktionen nicht sonderlich positiv waren. Drei Jahre ging es mit unterschiedlichen Argumenten darum, Linux ins Abseits zu stellen, bis man die Kampagne vom Netz nahm. Vor eben jenen 10 Jahren ging Brandon Lynch zu Microsoft, beeindruckt von den internen Dokumenten und der Diskussionskultur. Heute ist er dort oberster Datenschützer. Als solcher hat er im Interview etwas ausgesprochen, was weder unsere Kanzlerin, noch all die illustren Teilnehmer des IT-Gipfels gewagt haben, auszusprechen: Snowden hat eine Wirkung gehabt, bei Microsoft wie bei den Kunden. Es gibt jetzt eine neue Computerangst und das verlorene Vertrauen in die Technik muss man sich wiederholen. Der Rest ist Gruseln im mageren Wald, und fette Vögel flattern. (jk)