Begrünungspflicht für Neubauten

Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg will Bauherren künftig womöglich per Gesetz vorschreiben, unter Umständen ihre Häuserfassaden zu begrünen. Der Vorschlag führt jedoch weg von einem eigenverantwortlichen, ökologischen Bewusstsein.

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Von
  • Ulrike Weichert

Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg will Bauherren künftig womöglich per Gesetz vorschreiben, unter Umständen ihre Häuserfassaden zu begrünen. Der Vorschlag führt jedoch weg von einem eigenverantwortlichen, ökologischen Bewusstsein.

Am 5. November entscheidet Baden-Württembergs Landtag in einer zweiten Lesung über eine Gesetzesänderung der Landesbauordnung. Die grün-rote Regierung fordert unter anderem, Holz zukünftig verstärkt als Baustoff zu verwenden, mehr Flächen für Rollatoren und Kinderwagen zu schaffen und Fahrradstellplätze zu überdachen. Heftig umstritten ist jedoch der Vorschlag, dass Bauherren zukünftig Neubauten begrünen müssen.

Da Pflanzen nicht nur CO2, sondern auch Feinstaub speichern, fungieren sie als „grüne Lunge“ vor allem in größeren Städten. Das will Grün-rot nutzen, um das Klima im Ländle zu verbessern. Am einfachsten könnten Bauherrender geforderten „Begrünungspflicht“ wohl mit Rasenflächen nachkommen, auf der Bäume oder ein paar Büsche stehen. Aber: „Sollte eine Begrünung von Grundstücken nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich sein,“ so lautet der Gesetzentwurf des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur, „sollen die baulichen Anlagen zu begrünen sein.“ Das heißt im Klartext: wer im Vorhinein nicht genügend Platz für Grünflächen auf ebenem Boden einplant, muss sie auf Dach oder die Fassade verpflanzen. Damit setzt sich die Regierung ein legislatives Denkmal, denn bislang gab es keine vergleichbare gesetzliche Regelung.
Im Grunde meint es die grün-rote Landesregierung gut. Sie willstreng genommen nichts verbieten – um wohl ihr negatives Image als Verbotspartei loszuwerden. Dass die Verfasser der Gesetzesänderungen jedoch durch ihren paternalistischen Reglementierungseifer abermals die Eigenverantwortung der Bürger einschränken, war ihnen wohl nicht klar. „Warum,“ könnte jetzt einer der mitwirkenden Parlamentarier entgegnen. „Wir lassen den Bürgern doch noch genügend Spielraum.“ Und genau darin liegt ein weiteres Problem, denn es mangelt an präzisen Angaben. Eine Quote beispielsweise, wie viel Biomasse pro Quadratmeter Baufläche gepflanzt werden muss, nennen sie nicht. Es gibt lediglich die Ergänzung: „Soweit die Beschaffenheit, Konstruktion und Gestaltung [des Gebäudes] dies zulassen und die Maßnahme für die Bauherrin oder den Bauherrn wirtschaftlich zumutbar ist.“ Ist es dementsprechend wirtschaftlich zumutbar, Baufläche in der Stuttgarter Innenstadt unbebaut zu vergrünen? Stuttgarts Quadratmeterpreise rangieren im oberen Drittel deutschlandweit.

Aufgrund der schwammig formulierten Gesetzesvorlage herrscht Unklarheit darüber, ob die Begrünung nun Pflicht oder Kür ist. . Für FAZ-Redakteurin Susanne Preuss ist er sogar eine „Zwangsbegrünung“, die den Bürger entmündigt. Statt es dem ästhetischen Geschmack und dem finanziellen Vermögen des Bauherrn selbst zu überlassen, ob er sich mit einem minimalistischen Betonbau oder einem wild berankten Holzhaus verwirklichen möchte, wird ihm die Fassade mit Kletterpflanzen auferlegt, wenn er denn nicht für einen üppigen Dachgarten sorgt. In einer nachträglichen Stellungnahme des Ministeriums gegenüber der Welt heißt es, es handele sich um eine „Muss-Vorschrift“. Diese greife allerdings nur dann, wenn „alle Voraussetzungen“ vorlägen und „keine Ausnahmen greifen“. Was das konkret bedeutet, wird sich wohl erst in gerichtlichen Auseinandersetzungen zeigen.

Dies betrifft auch zusätzliche Kosten, die den Bauherren entstehen werden. Über diese ist sich die Landesregierung zwar bewusst, deren tatsächliche Höhe lasse sich allerdings erst nach Vorliegen ausreichender Anwendungserfahrungen feststellen, so heißt es in der Vorlage. Insofern müssen sich Investoren auf einige finanzielle Überraschungen gefasst machen.

Abgesehen von den Kosten sind schon jetzt bürokratische Streitigkeiten aufgrund der schwammigen Formulierung absehbar. So besteht die Gefahr, dass die für unmündig deklarierten Bürger Lücken in der Bauverordnung eigenständig auslegen werden und sich dann über die daraus resultierende Ungleichheit streiten. Mehrere Unbekannte dürften in Zukunft zu interessanten Rechtstreitigkeiten in der Nachbarschaft führen, wenn denn dem Gesetz im Parlament zugestimmt wird. So gelten bekanntlich Mose, Flechten und Algen als gute CO2-Speicher. Warum also nicht der Natur freien Lauf lassen, wenn es von Vater Staat gewollt ist? Warum also sollte wildes Flechtenwachstum an der kühlen Nordfassade nicht die Begrünungspflicht erfüllen? Oder sprießendes Unkraut auf ungemähten Rasenflächen? Schließt das Gesetz die Geranien im Fensterblumenkasten mit ein? Oder sollte es nicht gleich um eine Pflicht zum Gartenteich mit 75 Prozent Algenanteil erweitert werden? Überhaupt sollte sich die Landesregierung noch schnell festlegen, ob sie eher Efeu-, Hopfen- oder Weinranken an den Fassaden bevorzugt. Denn ein einheitliches Stadtbild entspricht dem gleichschaltenden Paternalismus am besten. (jlu)