Meinung: Emissionshandel – Milliardengeschenk an die Industrie

Lässt sich der Handel mit Verschmutzungsrechten noch retten? Die EU will es noch einmal versuchen – mit halbherzigen Mitteln, meint Technology-Review-Redakteur Gregor Honsel.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 13 Kommentare lesen
Meinung: Emissionshandel – Milliardengeschenk an die Industrie

(Bild: Arnold Paul / Lizenz Creative Commons cc-by-sa-2.5)

Lesezeit: 4 Min.

Die EU verschleudert ihre CO2-Zertifikate, schreibt Technology Review in seiner Dezember-Ausgabe (am Kiosk oder online bestellbar). 175 von 245 Industriebranchen bekommen voraussichtlich Emissionsrechte im Gesamtwert von mehreren Milliarden Euro geschenkt. Das soll die Abwanderung energie-intensiver Produktion ins nicht regulierte Ausland ("Carbon Leakage") verhindern. Die Kommission hat dazu das Abwanderungsrisiko für jede Branche berechnet – allerdings basierend auf einem Kurs von 30 Euro pro Tonne CO2. Aktuell liegt er bei nur etwa 6 Euro. Die Folge der realitätsfremden Berechnung: Unnötig viele Branchen werden befreit, dem Fiskus entgehen Milliardeneinnahmen.

Die offizielle Begründung der Kommission: Man halte die 30 Euro für gerechtfertigt, weil künftige Reformen den Preis anschieben sollen. Eine "Marktstabilitätsreserve" (MSR) soll ab 2021 die Zahl der Zertifikate regulieren. Sind mehr als 833 Millionen im Umlauf, werden jährlich zwölf Prozent vom Markt genommen. Sinkt ihre Zahl unter 400 Millionen, wird die Reserve wieder eingebracht, um extreme Preisspitzen zu vermeiden. Zudem soll die Gesamtzahl der Zertifikate ab 2021 jährlich um 2,2 Prozent sinken statt bisher um 1,74 Prozent.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Klingt vernünftig. Die Details lassen allerdings erahnen, dass sich trotzdem wenig an den Ramschpreisen für CO2 ändern wird. Das sogenannte "Backloading" hat gezeigt, wie wenig der Markt auf eine Verknappung reagiert. Ende 2013 hatte sich die EU endlich dazu durchgerungen, 900 Millionen Zertifikate zeitweise vom Markt zu nehmen. (Der gesamte Überschuss betrug damals rund 2,2 Milliarden.) Das Backloading ließ den Kurs zwar kurzzeitig von 4,50 auf über 6,50 Euro steigen, danach aber fast wieder auf das alte Niveau zurückfallen.

Dazu kommt: Nach den bisherigen Plänen sollen die 900 Millionen geparkten Zertifikate 2019 und 2020 wieder zurück in den Handel kommen. Das würde voraussichtlich ein gewaltiges Überangebot schaffen. Der MSR-Mechanismus dürfte mit dessen Abbau bis 2026 beschäftigt sein, schätzt die Deutsche Emissionshandelsstelle. Das milliardenschwere Zertifikatsgeschenk aber will die scheidende EU-Kommission schon jetzt machen. Sie nutzt also eine Maßnahme, die erst in mehr als einem Jahrzehnt greifen wird, als Vorwand, der Industrie hier und heute noch einmal großzügig Gratis-Zertifikate zuzuschustern.

Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, die MSR schon 2017 einzuführen und die 900 Millionen Backloading-Zertifikate nicht mehr auf den Markt zu bringen. Das würde dem Kursverlauf wohl einige Bocksprünge ersparen. Doch wie sich eine reine Mengenbegrenzung tatsächlich auf den Preis auswirken wird, können auch Experten nicht voraussagen.

Deshalb ist der Vorschlag bedenkenswert, eine Art Zentralbank für Emissionsrechte einzuführen. Sie würde – wie die MSR – je nach Bedarf Zertifikate vom Markt nehmen oder einspeisen, sich dabei allerdings nicht an der Menge, sondern am Preis orientieren. "Die Hauptaufgabe eines solchen Regulators wäre es sicherzustellen, dass der Kohlendioxid-Markt die Emissionsreduktionen korrekt bepreist", schrieb der französische Ökonom Christian de Perthuis schon 2012. "Seine Glaubwürdigkeit würde die öffentlichen und privaten Mitspieler ermutigen, sich effizient in Richtung einer kohlenstoffarmen Gesellschaft zu bewegen."

Dazu müsste die CO2-Zentralbank allerdings unabhängig von politischem Druck und Lobbyismus sein. Wie das aktuelle Milliardengeschenk der scheidenden Kommission zeigt, hat die Politik aber immer schon Wege gefunden, ihre eigenen Instrumente zugunsten von Lobbyinteressen auszutricksen. Der Emissionshandel lässt sich wohl nicht mehr retten. Ich setze eine Flasche guten Single Malt darauf, dass die CO2-Preise bis Ende 2020 nicht über 16,50 Euro steigen werden. Hält jemand dagegen? (bsc)