Wohnen im Computer

Alle reden vom Smart Home. Aber was haben wir wirklich davon?

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Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Ulrich Pontes
Inhaltsverzeichnis

Alle reden vom Smart Home. Aber was haben wir wirklich davon?

Es ist ein dezenter, aber effektiver Willkommensgruß, den das Haus im Stuttgarter Bruckmannweg 10 seinen Nutzern bereitet: Während Jonathan Busse seinen Elektro-Smart um die letzte Kurve lenkt und der Blick auf das flache, futuristische Gebäude frei wird, fährt bereits das Tor zum Grundstück auf, und die Lichter gehen an. Wäre das Wetter nicht so mild, hätte das Haus längst damit begonnen, sich auf die voreingestellte Raumtemperatur herunterzukühlen oder hochzuheizen – aktiviert von den per Internet übermittelten Positionsdaten des Autos und punktgenau auf die berechnete Ankunftszeit hin.

Busse muss dafür noch nicht einmal die Haussteuerungs-App auf seinem Smartphone oder Tablet bemühen. "Schließlich möchte man das Haus ja nicht bedienen – man möchte hier wohnen", sagt der Mitgründer und Geschäftsführer des Start-ups alphaEOS, das die intelligente Steuerung entwickelt hat. "Wir haben uns deshalb viele Gedanken gemacht, wie das System möglichst viele Dinge wie ein guter Geist im Hintergrund abwickeln kann."

In weniger eindeutigen Situationen fragt die App gezielt nach – etwa ob nicht der Herd abgeschaltet werden soll, wenn gerade alle Bewohner außer Haus sind. Das "Aktivhaus B10" besitzt zudem ein Solardach, einen Eisspeicher im Garten und eine extrem effiziente Wärme- und Kältepumpe für die Raumtemperierung. Es soll zum Prototypen für nachhaltiges Wohnen werden, so jedenfalls die Hoffnung seines geistigen Vaters, des Stuttgarter Architekten und Bauingenieurs Werner Sobek.

Der alphaEOS-Chef steuert den Smart vorbei an Häusern, die ein passendes Umfeld bieten: Die heute denkmalgeschützte Weißenhofsiedlung wurde 1927 unter der Leitung Mies van der Rohes errichtet. Schon damals wollten die Architekten die Zukunft des Wohnens demonstrieren. Mit dem B10 erhält das neueste Konzept Einzug: das Smart Home.

Die Fahrt endet im Wohnzimmer, und das mit voller Absicht. Denn eine durchgängige Wand zwischen Auto-Abteil und Wohnbereich fehlt. Das geht, da Elektroautos Innenräume nicht mit Abgasgeruch und tropfenden Motorflüssigkeiten verunreinigen – und hat klare Vorteile, wie Busse erläutert: "Wenn man losfährt, herrscht im Auto immer eine behagliche Temperatur. Das ist erstens komfortabel, und zweitens erhöht es die Reichweite, weil das Auto nicht zu Beginn der Fahrt erst auf Kosten der Batterieladung gekühlt oder geheizt werden muss."

Klingt gut. Bis man merkt: Draußen ist nicht immer Sommer, und es ist nicht immer trocken – sondern auch mal Winter und ziemlich matschig. Will man dann immer noch das Auto quasi im Wohnzimmer stehen haben? Das mag ein Detail sein, aber eines mit Aussagekraft. Denn die Frage stellt sich nicht nur für die fehlende Garagenwand, sondern für die gesamte Idee von der Zukunft des Wohnens: Ist es besser als vorher? Wenn die Homes smart werden, wenn vernetzte Haustechnik vieles steuert – was haben die Menschen davon? Wollen sie wirklich eine WG mit dem PC? Seit den Debatten um Datenschutz und Cybersicherheit ist eine Antwort auf diese Fragen dringender denn je.

Energieeffizienz und Komfort sind die großen Versprechen, mit denen Anbieter das Smart Home am Markt etablieren wollen. Im Prinzip scheinen sie Anklang zu finden: Gut drei Viertel aller deutschen Internetnutzer finden den Ansatz interessant, vermeldete Anfang des Jahres die Internet-Consultingfirma Fittkau & Maaß auf Basis einer großen Online-Befragung. Marktforscher nennen Summen wie 50 Milliarden US-Dollar weltweit bis 2020 (MarketsandMarkets) oder 19 Milliarden Euro allein in Deutschland bis 2025 (VDI/VDE Innovation + Technik GmbH). Auch der Einstieg von Apple und Google zeigt, welche Hoffnungen sich mit dem Bereich verbinden.

Unbeantwortet ist allerdings: Werden die vielen Interessenten wirklich zu Käufern? Kann das Smart Home seine Versprechen einlösen? Paradebeispiel für zweifelhafte Ideen ist die altbekannte Vision des Kühlschranks, der zu seinem Inhalt passende Rezepte vorschlägt oder fehlende Produkte übers Internet bestellt. Technisch faszinierend, aber weitgehend sinnlos.

Oder die Kaffeemaschine, die sich dann anstellt, wenn der Wecker klingelt – aber am Abend vorher befüllt werden muss. Tatsächlich vernetzt sind in den meisten Haushalten nach wie vor nur Computer, Smartphone und vielleicht noch der Fernseher. Ein heißes Thema sind Smart Homes nun schon seit mehr als zehn Jahren, doch auf einen Durchbruch warten die Anbieter noch immer. Bezeichnenderweise möchte kaum ein Unternehmen der Branche konkrete Verkaufszahlen nennen, weder von intelligenten Thermostaten noch von fernsteuerbaren Lampen. Woran also hapert es?

Die Technologie ist da: Komplettpakete – mit begrenztem Umfang – sind mittlerweile für wenige Hundert Euro zu haben Eine Reihe von Systemen ermöglichen Verknüpfung und Steuerung verschiedenster Messfühler und Geräte. Letztere müssen dafür nicht einmal von vornherein auf Vernetzung ausgelegt sein. Schaltbare Zwischenstecker, sogenannte Smart Plugs, reichen, um sie einzubinden.

Das Ergebnis zeigt ein Werbeclip von Qivicon – einer Smart-Home-Allianz großer Elektro- und Elektronikmarken, angeführt von der Deutschen Telekom: Ein Mann liegt mit seinem Tablet im Garten und schaltet, jeweils mit einem kleinen Wisch und mit zunehmend breitem Grinsen, die Musikanlage im Wohnzimmer ein, fährt Markisen, Rollos, Hof- und Garagentor hoch und runter, auf und zu. Ebenso mühelos startet er die Waschmaschine und den Rasensprenger, schaltet Lampen an und aktiviert eine Überwachungskamera, deren Bild sofort auf dem Tablet erscheint.

Möglich wird das über eine zentrale Steuereinheit, die mit den Sensoren und den Aktoren an den zu steuernden Geräten kommuniziert. Dies kann heute relativ problemlos über drahtlose Protokolle wie ZigBee, Z-Wave oder EnOcean geschehen. Alternativ ist eine Vernetzung über die ohnehin vorhandenen Stromleitungen möglich – etwa beim Anbieter Digitalstrom. Weil die Daten über das 230-Volt-Netz fließen, müssen Immobilienbesitzer keine Wände aufreißen. Die speziellen Lüsterklemmen mit Schaltfunktion verschwinden in den Verteilerdosen in der Wand, die Steuereinheiten passen in den Sicherungskasten.

Sie ermöglichen nicht nur die Steuerung von Haushaltsgeräten, sondern erfassen auch deren Energieverbrauch. "Auch weitere Sensoren wie Bewegungsmelder oder Wetterstationen lassen sich integrieren", so Chief Technology Officer Volker Deckers. Ein "Server" im Sicherungskasten bildet die Schnittstelle zu WLAN oder Internet. Anders als andere Smart-Home-Hersteller verrät Digitalstrom sogar grobe Zahlen: Einige Tausend Installationen des Systems gebe es im Raum Deutschland-Österreich-Schweiz derzeit.

Markus Eisenhauer vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) in Sankt Augustin ist dennoch skeptisch: "Bisher ist das Smart Home vor allem etwas für Technikverliebte." Das Energiesparpotenzial sei zu gering. Vor allem gilt das für den Strom: Per Fernsteuerung lässt sich nur von unterwegs nachholen, was man beim Verlassen der Wohnung vergessen hat – etwa das Licht auszuschalten. Relativ leicht lassen sich per App zudem stromintensive Vorgänge auf Zeiten billigen Stroms verschieben – die Waschmaschine könnte dann automatisiert spätabends oder nachts laufen.