Kleine Weihnachtsgeschichte

Ein kleines Weihnachtswunder: Ich zücke mein Smartphone um den Fahrplan der Straßenbahn zu checken, da sehe ich, dass mein Telefon in ein offenes Wlan eingebucht ist.

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Ein kleines Weihnachtswunder: Ich zücke mein Smartphone um den Fahrplan der Straßenbahn zu checken, da sehe ich, dass mein Telefon in ein offenes Wlan eingebucht ist.

Aber von Anfang an: Noch ein Tag bis Heiligabend. Der Countdown läuft, die Innenstadt ist voll. Hannover ist da keine Ausnahme. Normalerweise versuche ich, die Innenstadt um diese Zeit zu meiden. Aber es gibt da doch noch ein paar Dinge zu erledigen...

Ich stehe also am Kröpcke. Für die Auswärtigen: Das ist ein zentraler Platz in der ansonsten gesichtslosen Nachkriegs-Fußgängerzone, an dem - wie aus der Zeit gefallen - eine altertümliche, Uhr aufgestellt ist. Ein beliebter Treffpunkt in Hannover, aber zu der Zeit hatten die meisten offenbar wichtigeres zu tun, als sich zu verabreden.

Und auch ich wollte ja noch weiter. Ich zücke also mein Smartphone um den Fahrplan der Straßenbahn zu checken, da sehe ich, dass mein Telefon in ein offenes Wlan eingebucht ist. Das kommt vor, wenn ich vergesse, diese Funktion abzustellen. Wenn das Ding ein offenes Netz findet, verbindet es sich erstmal damit. Weiter geht es in der Regel aber eh nicht, denn die wenigen, unverschlüsselten Netze, die es so gibt, sind meist überteuerte kommerzielle Angebote, bei denen man auf einer Registrierungs-Seite seine Daten - inklusive Zahlungsinformation - abliefern muss, bevor man online gehen kann.

Umso größer meine Verwunderung, als ich feststellte, dass ich einen echten, offenen Internet-Zugang gefunden hatte. Ohne Schlüssel. Ohne Registrierung. Einfach so, verbunden mit dem Internet. Freifunk in der vorweihnachtlichen Innenstadt. Ein kleines Weihnachtswunder - ein Lichtlein des Vertrauens und der Offenheit in einer Welt der Datenschnüffelei und Kontrollwut.

Zu pathetisch? Sie erinnern sich wahrscheinlich an die Sache mit dieser Störerhaftung: Wer - in Deutschland - sein WLAN offen lässt, und damit in Kauf nimmt, dass über diesen Internetanschluss zum Beispiel illegale Downloads laufen, muss zahlen, falls er abgemahnt oder auf Schadensersatz verklagt wird. Auch wenn er persönlich nichts mit dem Download zu tun hat. Ich habe an dieser Stelle gelegentlich darüber lamentiert.

Nicht, weil ich denke, gegen illegale Download sollte nichts unternommen werden (das ist eine andere, komplizierte und lange Diskussion, die ich hier nicht aufmachen wil). Sondern weil ich die dahinter liegende Idee falsch finde: Die Störerhaftung ist nämlich nicht nur ein Instrument gegen böse Raubkopierer. Sie unterbindet auch, dass irgendjemand über einen offenen Anschluss irgendwo anonym ins Internet geht - ohne zuvor seine Userdaten irgendwo abzuliefern.

Denn die paranoide Annahme des Gesetzgebers lautet, dass jeder offene, unkontrollierte Internetzugang früher oder später für kriminelle Zwecke verwendet wird. Weil Tausende von Crackern, Dealern, Pädophilen und gewohnheitsmäßigen Raubkopierern nichts besseres zu tun haben, als durch die Stadt zu fahren, um nach offenen Netzen zu suchen. Nichts gegen gepflegte Paranoia. Aber das ist selbst mir zuviel.

Nun hatte die Große Koalition eigentlich vor, die Störerhaftung zu lockern. Der Bundestag hat im November sogar über das Thema debattiert. Aber die Sache wird wahrscheinlich im Sande verlaufen. Denn die Regierung hat ja wahrlich wichtigere Probleme zu lösen.

Deswegen stand ich also eine Weile da, habe meine Mail über das offene Netz gezogen und mich gefreut. Bin langsam die Stufen runter zu U-Bahn und habe der Feldstärke-Anzeige zugesehen, die immer schwächer wurde. Bis das Signal ganz weg war. Ein kleines Licht des Vertrauens und der Offenheit in einer Welt der Datenschnüffelei und Kontrollwut.

(wst)