31C3: "Wir brauchen weniger Hacker-Rockstars"

Der IT-Rechtler Walter van Holst hat der Hackergemeinde vorgeworfen, nicht nach der eigenen Ethik zu leben, sich nach außen über ein striktes Stammessystem abzuschotten und kaum in die Gesellschaft oder Politik zu wirken.

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31C3: "Wir brauchen weniger Hacker-Rockstars"
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Die Hackerethik, die vor allem der Chaos Computer Club (CCC) offiziell immer auch als eine Art Schutzschild vor sich herträgt, spielt für das praktische Leben der meisten Datenreisenden so gut wie keine Rolle. Dies hat der IT-Rechtler Walter van Holst am Montag auf dem 31. Chaos Communication Congress (31C3) beklagt: "Wir folgen nicht unserer eigenen Ethik, schöpfen unser Potenzial nicht aus."

IT-Rechtler Walter van Holst auf dem 31C3

Der niederländische Anwalt schloss sich in diesem Fall in die Hackergemeinde mit ein, obwohl er eigentlich als Beobachter von außen den Tüftlern und Sicherheitsexperten den Spiegel vorhalten wollte. Vor allem rügte er das "Rockstarwesen" in der Szene: "Wir haben echte Helden, aber einige sind Arschlöscher, die ihre Groupies wie Shit behandeln."

Das Stargetue erhöht nach Ansicht van Holsts auch den Konkurrenzdruck unter den A-Hackern, was "nicht gesund" sei. Viele der besonders sichtbaren Vertreter der Szene legten es so darauf an, Systeme vollends zu brechen statt sie zu reparieren und ihre Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Wettbewerber würden beschuldigt, nicht der "reinen" Lehre zu folgen oder gar "Nazi-Freunde" zu haben, was in der überwiegend linksgerichteten Community ein Totschlagargument ist. Er forderte die Hackergrößen auf, sich auch gegenüber dem Rest immer "exzellent" und fair zu verhalten.

Das Stammessystem der Datenreisenden ist dem Bürgerrechtler ein weiterer Dorn im Auge. Hacker seien nach wie vor "überwiegend weiß", stammten in der Regel aus der Mittelklasse, hätten oft einen Universitätsabschluss, üppiges Barthaar und nippten den ganzen Tag an ihrer koffeinhaltigen Mate-Brause. Wer diese Klischees nicht erfülle und diese "Codes" nicht einhalte, müsse meist draußen bleiben. Es sei zwar möglich, dass die Frauenquote auf dem Kongress mittlerweile der in der gesamten IT-Branche entspreche, was aber bei weitem nicht ausreiche in puncto kulturelle Vielfalt.

"Beurteile einen Hacker nach dem, was er tut, und nicht nach üblichen Kriterien wie Aussehen, Alter, Herkunft, Spezies, Geschlecht oder gesellschaftliche Stellung", heißt es in den ethischen CCC-Grundsätzen. "Öffentliche Daten nützen", private schützen, verlangt ein weiteres Gebot neben dem Anspruch, "alle Informationen" frei zu halten. Autoritäten sei generell zu misstrauen.

Offenbar ergebe sich daraus, dass Hacker entweder politisch indifferent oder "zu politisch" seien, bilanzierte van Holst. Sie dürften sich beim Erwägen einer Zusammenarbeit mit dem Staat aber nicht nur von abschreckenden Beispielen wie der Stasi oder der NSA leiten lassen. Wer eine radikale politische Haltung vertrete, erweitere damit zwar den Spielraum für die Moderaten in der Mitte: "Nur Radikale funktionieren aber auch nicht."

Im Bereich Lobbying müssen die Datenreisenden so dem Juristen zufolge noch nachsitzen. Die Vorratsdatenspeicherung etwa sei nicht durch Straßenproteste oder das Schreiben von Code gekippt worden, sondern durch Gerichte auf ganz bürgerlichem Weg.

Das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA sei vor allem nach Großdemos polnischer Fußballfans auf die Abschussliste des EU-Parlaments gekommen, von denen sich "viele wohl nicht ganz in unserem politischen Spektrum" befunden hätten. Wer nicht selber aktiv werden wolle, solle so zumindest Bürgerrechtsvereinigungen wie "European Digital Rights" (EDRi), La Quadrature du Net oder die hiesige Digitale Gesellschaft unterstützen.

Der Holländer legte den "Techies" auch ans Herz, eine gemeinsame Sprache mit den "Normalos" zu finden. Alan Turing sei zwar schon seit Jahrzehnten tot, trotzdem sei es den Hackern nach wie vor nicht gelungen, der Allgemeinheit die Bedeutung der von dem Briten konzipierten Universalmaschine Computer zu vermitteln. Chat-Software wie der bei Hackern – und der NSA – beliebte Jabber-Client mit zugehörigen Verschlüsselungslösungen etwa generiere noch Fehlermeldungen oder Hinweise, mit denen der Otto-Normal-Nutzer nichts anfangen könne und daher doch wieder auf Skype umstelle.

Die Sicherheit eines sozialen Netzwerks diktiere immer der größte User-Anteil, nicht die Minderheit versierter Anwender, ergänzte van Holst. Auch wenn man sich selbst ohne grafische Benutzerschnittstellen durch die Welt der Bits und Bytes quäle, ändere man damit nichts für die Masse der Surfer. Ihn persönlich interessierten daher "Heilige Kriege" gegen Google oder Facebook sowie Vorlieben für oder Hass auf Apple oder Microsoft nicht, solange deren Dienste weite Verbreitung fänden. "Verschlüsselt weiter", appellierte der Szenekenner an die versammelten Tüftler. "Lasst uns aber auch unsere Kultur fixen, vielleicht zudem unsere politische Einstellung."

Zuvor hatte mit Sacha van Geffen ein weiterer Niederländer für neue Erklärungsmuster im "langen Krieg" der Hacker für mehr IT-Sicherheit und Datenschutz sowie gegen Überwacher plädiert. Bisher sei viel von "Cyberwar" und "Nationalstaaten" als Gegnern die Rede. Besser sei es, die "Endpunkte" stärker abzusichern, wo Identitäten und Betriebsgeheimnisse entwendet oder kritische Infrastrukturen angegriffen würden. Die Datenreisenden müssten Politikern klar machen, dass Werte wie Freiheit oder Privatsphäre genauso wichtig seien wie die innere Sicherheit.

Van Geffen empfahl den Hackern, Journalisten, Parlamentarier oder Richter zu "adoptieren", um für ein besseres gemeinsames Verständnis zu sorgen. Es sei entscheidend, nicht nur auf sicherere IT-Standards zu drängen, sondern auch auf bessere Gesetze. Reiner Hacktivismus im Netz bringe wenig: Revolutionen ereigneten sich auf lauten öffentlichen Plätzen, nicht in leisen Geheimzirkeln.

Auch die Technikexperten seien noch nicht in der Lage, den "Cypherpunk-Traum" mit durchgehendem Verschlüsselungsschutz zu leben, räumte der Gründer des Amsterdamer Providers Greenhost ein. Gute kryptographische Lösungen seien bei weitem noch nicht für alle verfügbar. (hps)