Rettung fürs Moor

Seit Jahrhunderten legt die Industrie Moore trocken, um Torf auszubeuten. Dadurch werden gewaltige Mengen an Treibhausgas frei. Forscher gehen nun den umgekehrten Weg.

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Von
  • Susanne Donner

Seit Jahrhunderten legt die Industrie Moore trocken, um Torf auszubeuten. Dadurch werden gewaltige Mengen an Treibhausgas frei. Forscher gehen nun den umgekehrten Weg.

Für einen köstlichen Salat stirbt fast immer ein Stück Moor. Tomaten, Paprika, Gurken und Zucchini sprießen heutzutage zunächst meist in kleinen Töpfen mit einem speziellen Nährboden aus Torf, Kompost und Dünger. Acht Millionen Kubikmeter Torf hat allein der deutsche Gemüse- und Gartenbau 2013 verbraucht. Hobbygärtner benötigten noch einmal rund zwei Millionen Kubikmeter. Angewachsen sind die Moore über Jahrtausende mit einem Millimeter pro Jahr. Sie bestehen aus Torfmoos. Dessen untere Lagen sterben ab, werden im sauren Sumpf konserviert und bilden den kohlenstoffreichen dunklen Boden.

Bis heute werden die Naturlandschaften entwässert, um Torf zu stechen oder die Fläche für Ackerbau oder Viehzucht zu nutzen. In einen Acker umgewandelt, geht der schwarze, kohlenstoffreiche Torfboden allmählich verloren: Er zersetzt sich im Kontakt mit der Luft zu CO2. Ein ausgetrocknetes Moor emittiert deshalb 29 bis 37 Tonnen Treibhausgas pro Hektar.

Das ist so viel wie ein Pkw auf 145.000 bis 185.000 Kilometern, rechnet Hans Joosten von der Uni Greifswald vor. Rund fünf Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen gehen auf trockengelegte Moore zurück. "Wenn man es mit dem Klimaschutz ernst meint, muss der schleichende Torfverlust gestoppt werden, indem man die entwässerten Moore wieder unter Wasser setzt", sagt Joosten.

Das brachte ihn und seine Kollegen auf eine kuriose Idee: Statt Torf mit gewaltigen Maschinen abzubauen, müsste sich dieser auch anbauen lassen. Joostens Mitarbeiter kappten die Spitzen üppig wuchernder Torfmoose und streuten sie auf ein paar Hektar abgebauter Moore.

Viele Forscher waren skeptisch. Kultiviert hatte man Moose hierzulande noch nie. Doch schon nach anderthalb Jahren bedeckte ein grüner Teppich die Versuchsflächen. Sogar auf Sand und Ton, auf denen die Pflanzen gar nicht natürlich vorkommen, gedeihen sie. Alle drei Jahre können die Forscher inzwischen ernten.

Wie bei einem Rasen mähen sie dafür die oberen Zentimeter der Moosspitzen ab. Das Grün wächst von unten nach. Die Triebe werden getrocknet, auf 80 Grad Celsius erhitzt, um Unkräuter abzutöten, und grob gemahlen. Zurück bleibt ein braunes, faseriges Mehl. Wie Torf, nur heller. Zwischen drei und knapp sieben Tonnen je Hektar kommen so zusammen. "Viel mehr, als wir je erwartet haben", freut sich Joosten.

Sogar auf Seen wächst das Grünzeug. Für ein Forschungsprojekt in der Lausitz bezog Joostens Team Styroporplatten mit Filz und streute darauf Moosspitzen aus. Bald trieben 30 Quadratmeter große grüne Teppiche auf dem Wasser. Doch für die kommerzielle Produktion setzen die Experimentatoren dann doch lieber auf festen Untergrund.

Das Torfwerk "Moorkultur Ramsloh" hat weltweit den Anfang gemacht. Über 100 Jahre lang verkaufte es nur klassisch abgebauten Torf. Nun will es einen kleinen Teil seiner Erde aus nachwachsenden Moosen gewinnen. Dazu soll die Versuchsfläche im niedersächsischen Hankhausen noch in diesem Jahr von drei auf zwölf Hektar wachsen. Das Werk hat eigens eine Maschine zur Pflege von Straßenböschungen für die Moosernte umgerüstet. Sie fährt auf Wällen zwischen den nassen Flächen entlang und mäht mit einem zwölf Meter langen Greifarm die Moosmatten ab.

2015 werden die ersten Produkte auf den Markt kommen, kündigt Gartenbauingenieurin Silke Kumar vom Ramsloher Torfwerk an – beispielsweise als Ersatz für teure Torfmoose aus Chile, die Orchideenerde beigemischt werden. Mit Kompost vermengt, gedeihen auf dem Torfersatz auch Weihnachtssterne, berichtet Kumar von Versuchen der Humboldt-Uni Berlin. In solchen Märkten sei das Produkt schon heute rentabel. Für Gurken, Tomaten und Paprika müsse das Substrat allerdings noch etwas billiger werden.

Der Moosanbau macht nicht einmal besonders viel Arbeit. Dünger brauchen die Pflanzen nicht. Entscheidend ist, dass sie tief im Wasser stehen. Deshalb eignen sich natürliche Sumpfgebiete oder bewässerte Flächen. Das bestätigen Experimente des kanadischen Ökologen Rémy Pouliot. Er baut seit vielen Jahren Torfmoose auf ausgebeuteten Mooren an, um sie zu renaturieren. Auch die Niederlande, Finnland, Japan, Chile, Irland, Korea und Neuseeland erproben den Moosanbau.

Joostens Problem ist allerdings, die nötigen Mengen an Pflanzgut zu bekommen. Die meisten Torfmoose seien geschützt und die Entnahme aus der Natur deshalb keine Lösung. Würde man Moosspitzen hingegen direkt von den bestehenden Anbauflächen abernten und ausstreuen, würden diese Flächen nur langsam wachsen. Deshalb brauche es eine Art Turbozucht. Freiburger Forschern ist es tatsächlich gelungen, die Moose mit Kunstlicht in einem Bioreaktor zu vermehren. Dies könnte das Nachschubproblem lösen.

Joosten hat nämlich Großes vor: Er hat ausgerechnet, dass der gesamte Torf, den die deutschen Gemüse- und Gartenbauern jedes Jahr verbrauchen, auf nur 40000 Hektar wachsen würde. Zum Vergleich: Raps für Biodiesel wird auf mehr als einer Million Hektar angebaut. Doch die Pachtpreise für Anbauflächen sind explodiert. Oft sind die abgebauten Moorböden in Deutschland bereits per Vertrag Landwirten versprochen. Dass Torfbauern als neue Anwärter hinzukommen, verschärft die Nutzungskonkurrenz nur noch. Umwelt- und Moorschützern wie Thomas Beuster von der Ökologischen Schutzstation Steinhuder Meer wäre eine bewässerte Anbaufläche aber allemal lieber als ein Maisfeld, weil sie dem Klima weniger schadet.

(bsc)