Machen P2P-Kredite die Finanzbranche krisensicher?

Zwei Ökonomen haben ein provokantes Buch geschrieben: Sie fordern nicht weniger als ein Verbot der klassischen Kreditvergabe durch Banken. Informationstechnologie habe diese Praxis unkontrollierbar gemacht, biete aber auch die Lösung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 5 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Sascha Mattke

Zwei Ökonomen haben ein provokantes Buch geschrieben: Sie fordern nicht weniger als ein Verbot der klassischen Kreditvergabe durch Banken. Informationstechnologie habe diese Praxis unkontrollierbar gemacht, biete aber auch die Lösung.

Dass die schwere Finanzkrise ab 2008, die dann auch die Realwirtschaft weltweit in Mitleidenschaft zog, von Problemen im Bankensektor ausgelöst wurde, gilt als ausgemacht. Mittlerweile mussten viele Banken Milliardenstrafen wegen Verfehlungen bei Hypotheken-Vermarktung, Zinsberechnungen und im Devisenhandel bezahlen, außerdem jagen Regulierer die Finanzbranche mit immer strengeren Kapital- und Transparenzvorschriften. Ist das grundlegende Problem also gelöst? Keineswegs, argumentieren zwei Ökonomen in einem neuen Buch mit dem Titel „The End of Banking“: Alle bisherigen Maßnahmen hätten nur an der Oberfläche gekratzt und könnten die nächste Krise mitnichten verhindern. Als einzigen echten Ausweg empfehlen sie, den Banken einen wichtigen Teil ihres Geschäfts unmöglich zu machen.

Als Autor von „The End of Banking“ ist Jonathan McMillan angegeben – ein Pseudonym, denn tatsächlich stammt das Buch nach Angaben des Verlags von einem Investmentbanker und einem Wirtschaftsredakteur, die nicht unter ihrem wahren Namen auftreten wollen. Über die Gründe für die Verschleierung werden keine Angaben gemacht. Zumindest im Fall des Bankers wäre aber naheliegend, dass seine Meinung schlecht mit der seines Arbeitgebers vereinbar ist.

Denn die Autoren fordern nicht weniger als einen radikalen Umbau der Finanzbranche, unter dem traditionelle Institute, aber auch die weniger regulierten so genannten Schattenbanken, schwer zu leiden hätten: Sie wollen Banken und anderen Unternehmen mit tiefen Taschen schlicht verbieten, Kredite zu vergeben. Stattdessen sollen sich Unternehmen und Privatpersonen, die Darlehen benötigen, künftig direkt an den Markt wenden – also an andere Unternehmen und Privatpersonen, die Geld zum Verleihen übrig haben. Der heute übliche Umweg über die Banken wäre dann unnötig. Und mit ihm, so die Autoren, würden die Gefahren verschwinden, die das heutige westliche Wirtschaftssystem mit der darin vorgesehenen zentralen Rolle von Banken bei der Geldversorgung mit sich bringt.

Genau das nämlich verstehen die Autoren unter Banking – sie fordern nicht etwa das Ende der Banken oder der Banker, sondern nur das Ende dieser Praxis. Im heutigen System nehmen Banken – eher kurzfristige – Einlagen von Kunden entgegen und verleihen sie teurer und langfristiger weiter. Dabei vergeben sie vollkommen legal deutlich mehr Kredite, als mit den Einlagen gedeckt ist. Für die Einlagenkunden entsteht dadurch das Risiko, dass sie ihr Geld nicht zurückbekommen, falls zu viele auf einmal ihre Ersparnisse ausgezahlt haben wollen. Um das Geldsystem am Laufen zu halten, haben Staaten gegen dieses Risiko die Einlagensicherung eingerichtet. Diese aber bedeutet, dass Kunden bei der Auswahl ihrer Bank nicht vorsichtig sein müssen. Das Gleiche gilt für die Banken bei der Kreditvergabe, denn erstens verlieren sie im Zweifel kein eigenes Geld und zweitens können sie, wie zuletzt die Finanzkrise zeigte, darauf vertrauen, dass der Staat im Notfall noch weitergehender einspringen wird.

Es gibt also Fehlanreize, und daran kann laut den Autoren auch noch so strenge Regulierung nichts ändern. Informationstechnologie habe das Verschieben von Krediten zu anderen Instituten und Tochtergesellschaften sowie das Weiterverkaufen in maßgeschneiderten Paketen wie den mittlerweile berüchtigten Asset-Backed Securities zum Kinderspiel gemacht. Auf diese Weise hätten Banken immer die Möglichkeit, Vorschriften der Wirkung nach zu umgehen. Und dieses Problem betreffe nicht nur Banken, die auch diesen Namen tragen: Ebenfalls auf der Grundlage moderner IT ist ein Schattenbankensektor entstanden, der ebenfalls Einlagen entgegennimmt und Kredite vergibt – ohne die für klassische Banken vorgesehenen Regeln, aber mit denselben Risiken.

Die von den Autoren vorgeschlagene Lösung klingt ganz einfach: Keinem Unternehmen egal mit welcher Bezeichnung und aus welcher Branche solle es künftig noch gestattet sein, mehr finanzielle Verpflichtungen einzugehen, als ihm an „realen“, also nicht-finanziellen Vermögenswerten zur Verfügung stehen. Dies verhindere wirksam die Geldschöpfung auf der Grundlage von reinen Bilanzwerten wie Forderungen gegen andere – möglicherweise irgendwann zahlungsunfähige – Unternehmen. Informationstechnologie habe das Problem entstehen lassen, biete aber gleichzeitig auch die Lösung: Mit ihrer Hilfe sei es heute leicht möglich, die Bonität von Kreditsuchenden zu bewerten und sie mit Personen und Institutionen zusammenzubringen, die Geld verleihen wollen. Ohne die Hebelung durch die Banken wäre ein ausgefallener Kredit dann immer noch ein ausgefallener Kredit und somit unschön für die Gläubiger. Eine Gefahr für einen Schneeballeffekt im ganzen Finanzsystem würde davon aber nicht mehr ausgehen.

Wie die Autoren selbst erklären, ist der Weg vom heutigen System zu einem solchen neuen noch weit, und sie machen keine Vorschläge, wie der Übergang zu gestalten wäre. Zudem zeigen beispielsweise die aktuellen Probleme am deutschen Markt für Mittelstandsanleihen mit reihenweise frühen Pleiten, dass es mit der Transparenz bei der Bewertung der Rückzahlungsfähigkeit noch nicht so weit her ist, wie man sich wünschen würde. Und auch die teils hochgelobten Plattformen für die Direktvergabe von „P2P“-Krediten müssen erst noch zeigen, dass sie nach ihrem schnellen Wachstum im Nachkrisen-Boom auch eine Rezession gut überstehen.

Trotzdem ist das Problem real, und die Autoren legen überzeugend dar, dass es ohne durchgreifende Änderungen nicht zu beheben sein wird. „Lassen Sie uns nicht noch eine Finanzkrise verschwenden. Es gibt etwas Besseres als Banking“, lautet ihr abschließender Appell.

(sma)