Rufe nach Vorratsdatenspeicherung auf dem Europäischen Polizeikongress

Auf dem Polizeikongress in Berlin haben Redner gefordert, dass Polizei und Nachrichtendienste enger zusammenarbeiten. Nur mit einem effektiven Informationsaustausch könne die Polizeiarbeit geleistet werden.

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Rufe nach Vorratsdatenspeicherung auf dem Europäischen Polizeikongress

Rund 7000 Personen mit salafistischer oder islamistischer Prägung leben in Deutschland. 600 von ihnen sind in den Mittleren Osten ausgereist, sagt diese Grafik des Verfassungsschutzes

(Bild: Detlef Borchers / heise online)

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Von
  • Detlef Borchers
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Der internationale Terrorismus und besonders der Dschihadismus stellt die Polizei vor besondere Herausforderungen, lautet der Tenor auf dem 18. europäischen Polizeikongress. Rund 7000 Personen mit salafistischer oder islamistischer Prägung leben in Deutschland. 600 von ihnen sind in den Mittleren Osten ausgereist, von denen 520 angekommen sind. Von diesen sind 120 wieder zurückgekehrt und stellen die eigentliche Bedrohung da, wie Bernd Adolph, Leiter der Abteilung "Islamismus und islamistischer Terrorismus" beim Bundesamt für Verfassungsschutz ausführte.

Unter ihnen befinden sich 20 Personen mit gesicherter Kampferfahrung und 50, die möglicherweise in Kampfgebieten waren. Sie seien die mit Abstand gefährlichsten Personen, da sie ihren Kampf für das fünfte Kalifat in Deutschland fortführen können, bei laufend wachsender Gefahr: "Je erfolgreicher die Gegenschläge gegen den IS sind, desto größer ist die Gefahr, dass sie zurückkehren und hier kämpfen."

Günter Krings

(Bild: Detlef Borchers / heise online)

Eine Mindestspeicherfrist für TK-Daten müsse so schnell wie möglich eingeführt werden, um diese Gefährder beobachten zu können, meinte Günter Krings, Staatsekretär im Innenministerium. Der Begriff "Vorratsdatenspeicherung" sei ein Kampfbegriff ihrer Gegner, weil er suggeriere, dass der Staat Daten auf Vorrat für datenarme Zeiten sammeln wolle. Wenn die Europäische Union keine einheitliche Verordnung zur Vorratsdatenspeicherung verabschiede, müsse Deutschland selbst aktiv werden.

Krings verteidigte auch, Islamisten den Personalausweis zu entziehen: "Auf der schicken Plastikkarte können Sie keinen Sperrvermerk anbringen. Der ist nötig, damit sofort klar ist, dass der Inhaber staatsgefährdende Gewalttaten ausführen kann." Deutschland unternehme dabei keinen Alleingang, sondern sei europaweit durch den "Focal Point Travellers" gedeckt. Darin sei auch ein wichtiger Baustein, Flugpassagierdaten (PNR-Daten) EU-weit zu speichern. "Wir müssen dafür sorgen, dass der Nutzen von PNR-Daten nicht durch ein Mehr an Datenschutz beeinträchtigt wird."

Peter Gridling

(Bild: Detlef Borchers / heise online)

Peter Gridling vom österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVIT) erläuterte das Bekämpfungsprogramm in Österreich (191 ausgereiste Foreign Fighters, 30 Tote, 64 Rückkehrer). "Wir müssen sie aufgreifen, egal, ob wir ihnen eine Straftat nachweisen können, auch wenn kein erfolgreiches Strafverfahren am Abschluss steht."

Nach den Erfahrungen von Kobane werde Österreich straffer vorgehen, meinte Gridling und fragte: "Was unterscheidet denn den, der zur Waffe greift, um ein kurdischer Freiheitskämpfer zu werden, von einem Islamisten?" Die Menschen in Österreich müssten sich in Zukunft daran gewöhnen, dass wie in Frankreich nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo das Militär verstärkt im Inland eingesetzt werde, "um die Polizei freizuspielen". Die österreichische Polizei müsse wiederum sich daran gewöhnen, eng mit seinem BVIT zusammenzuarbeiten. "Wir greifen auf die Polizei zurück, um sie als Staatsschutzsensoren zu haben und um so unsere Reichweite vergrößern zu können."

Ähnlich argumentierte der CSU-Sicherheitspolitiker Stephan Mayer. Er forderte Panzerwagen für die Bundespolizei und meinte, die aus Afghanistan abziehenden Streifenwagen könnten in Deutschland der GSG 9 überstellt werden. Mayer übte scharfe Kritik an den Gegnern der Vorratsdatenspeicherung, die auf Frankreich verweisend meinen, sie sei nutzlos. "Die Vorratsdatenspeicherung ist kein Allheilmittel, aber der Zugriff auf Kommunikationsdaten zeigt schnell, ob es sich bei einem Anschlag um einen Einzeltäter oder um ein Netzwerk handelt, wie es die Kouachi-Brüder bildeten." Eine weitere Gesetzeslücke sah Mayer in dem 2002 abgeschafften Verbot der Sympathiewerbung. Damals sei das Ausmaß der Propaganda im Internet noch nicht recht erfasst worden. "Wir müssen frühzeitiger zugreifen können, etwa wenn jemand in sozialen Netzwerken seine Ausreise ankündigt."

Der Islamisten-Forscher Marwan Abou Taam vom LKA Rheinland-Pfalz klärte darüber auf, in welchem religiösen Rahmen das "fünfte Kalifat" auf den Islam des 12. und 13. Jahrhunderts zurückgreift und somit den Propheten Mohammed für sich reklamiert. "IS ist nur einer von vielen Konfliktherden innerhalb der auseinanderbrechenden arabischen Staaten, die Ausrichtung ist apokalyptisch, nicht terroristisch." Unter der Bedrohung des IS lasse sich die in Deutschland geübte Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit nicht länger aufrechterhalten, meinte Taam.

Louise Shelley, die an der George Mason University über die Finanzierung terroristischer Organisationen forscht, forderte die Zuhörer auf, den IS als rational handelndes multinationales Unternehmen wie die Mafia zu verstehen, der über eine genau definierte Geschäftsstrategie verfügt und bereits weit über das Ende des Ölbooms hinausdenkt. So habe der IS ein außerordentlich lukratives Geschäft mit dem Verkauf von Captagon in den Golfstaaten aufgebaut, handele mit Holzkohle in Somalia und Elfenbei in Nigeria.

Während in Syrien und Irak bislang kaum Steuern angefallen sind, habe der IS eine extrem hohe Besteuerung der Bevölkerung eingeführt. Ein weiterer wichtiger Geschäftszweig sei der Handel mit Geiseln und Pässen. "Solange es auch in Europa korrupte Systeme und vor allem Banken gibt, die das von der Bevölkerung erpresste Schutzgeld vom IS verwalten, können wir uns die Rede von einem effektiven Kampf gegen den Terrorismus schenken." (anw)