Immer mehr Opfer der Flucht – Japan vier Jahre nach der Fukushima-Katastrophe

Japan gedenkt der Opfer der Tsunami-Katastrophe von 2011. Bei dem in Folge der Flutwelle ausgelösten Gau in Fukushima kam zwar niemand direkt ums Leben. Aber immer mehr sterben an den gesundheitlichen Folgen der jahrelangen Flucht vor der Strahlung.

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Immer mehr Opfer der Flucht – Japan vier Jahre nach der Fukushima-Katastrophe

(Bild: Digital Globe, CC BY-SA 3.0)

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  • dpa
Inhaltsverzeichnis

Vier Jahre nach der Atomkatastrophe in Fukushima in Folge eines Tsunamis sterben immer mehr Japaner an den Folgen der jahrelangen Flucht vor der Strahlung. Wie die japanische Tageszeitung Tokyo Shimbun am Dienstag berichtete, erhöhte sich die Zahl der Opfer inzwischen auf mehr als 3200, alleine im vergangenen Jahr seien es 1232 gewesen. Zwar kam durch den Super-Gau vom 11. März 2011 in Folge eines Erdbebens und gewaltigen Tsunamis niemand direkt ums Leben. Doch sterben immer mehr Menschen an den gesundheitlichen Auswirkungen des harten Lebens in den provisorischen Behelfsunterkünften. Andere begehen Selbstmord. Fast 19.000 Menschen waren von dem Tsunami in den Tod gerissen worden oder werden noch immer vermisst.

Auch nach vier Jahren können noch immer rund 120.000 Menschen wegen der Strahlung nicht zurück in ihre Heimat. Zehntausende von ihnen hausen weiterhin in containerähnlichen engen Behelfsunterkünften. Überlebende des Tsunamis beklagen, dass der Wiederaufbau nur schleppend vorankomme. Ministerpräsident Shinzo Abe kündigte am Vorabend des 4. Jahrestages der Katastrophe an, seine Regierung werde bis zum Sommer einen neuen Fünf-Jahresplan zur Wiederbelebung der betroffenen Gebiete ausarbeiten.

Die Folgen des Tsunami, der auch zur AKW-Katastrophe in Fukushima führte (9 Bilder)

Zerstörte Ortschaft

Luftaufnahme aus Sukuiso, eine Woche nach dem Tsunami (Bild: NOAA/NGDC, Dylan McCord, U.S. Navy)


Die meisten der Bewohner der Behelfsunterkünfte sind alte Menschen. Wegen der im nahen Umkreis der Atomruine Fukushima Daiichi noch immer hohen Strahlung können sie nicht in ihre Häuser zurück – viele wohl nie mehr. Schlimm ist auch der Verlust ihrer alten sozialen Bindungen. Gerade die Alten in Japans traditionell gruppenorientierter Gesellschaft leiden schwer darunter. Viele vereinsamen, manche Opfer begehen aus Verzweiflung Selbstmord.

Im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi weiß immer noch niemand, wo in den Reaktoren 1, 2 und 3 sich die geschmolzenen Brennstäbe genau befinden. Die weiterhin extrem hohe Strahlung verhindert den Zugang. Nachdem versuchsweise ferngesteuerte Geräte eingesetzt wurden, um die Lage im Inneren zu erkunden, haben Wissenschaftler inzwischen mit einem Experiment begonnen, bei dem sie mit Hilfe kosmischer Strahlen durch die Reaktoren "hindurchschauen" und "Schatten" des Brennstoffs ausmachen wollen ähnlich wie bei Röntgenaufnahmen. Solche sogenannten Myonen werden auch in der Vulkanforschung und bei der Suche nach geheimen Kammern in Pyramiden eingesetzt. Der Atombetreiber Tepco und die Regierung hoffen derzeit, in 2020 mit der Bergung des Brennstoffs beginnen zu können.

Lange Zeit galt ein Abklingbecken in rund 30 Metern Höhe im beschädigten Reaktorgebäude 4 als eine der größten Gefahrenquelle auf dem AKW-Gelände. Die dort gelagerten rund 1500 Brennstäbe hat Tepco inzwischen erfolgreich geborgen. Doch auch im Reaktor 3 liegen noch 514 abgebrannte und 52 unbenutzte Brennstäbe. Deren Bergung gestaltet sich jedoch wegen der massiven Schäden an dem Reaktorgebäude schwierig. Es liegen noch viele Trümmerteile sowie ein 35 Tonnen schweres Gerät in dem Becken. Es soll im April geborgen werden. Doch die Strahlung ist mit über 100 Millisievert pro Stunde an vielen Stellen weiter extrem hoch und erschwert die Arbeiten.

In der Atomruine selbst sind im Schnitt rund 6000 Arbeitskräfte tagtäglich unter schwierigsten und gefährlichen Bedingungen beschäftigt. Ein Teil von ihnen ist beim Betreiber Tepco angestellt, die übrigen wurden über Subunternehmen angeheuert. Wiederholt gab es Berichte über Missstände wie unzureichende Anweisungen oder unterschlagene Lohnzahlungen. Auch die Yakuza soll bei der Rekrutierung von Hilfskräften die Finger im Spiel haben. Tepco lässt regelmäßig Umfragen unter den Beschäftigten durchführen, nach eigenen Angaben mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen der Männer zu verbessern.

In Hunderten Tanks wird kontaminiertes Regenwasser gesammelt.

(Bild: Tepco)

Bei der weiterhin notwendigen Kühlung der Reaktoren fallen gewaltige Mengen Wasser an. Zusätzlich dringt täglich Grundwasser in die beschädigten Fundamente ein und vermischt sich mit dem verstrahlten Kühlwasser. In 1000 Tanks auf dem Gelände lagern bereits rund 200.000 Tonnen kontaminiertes Wasser. Mit einem Filtersystem will der Betreiber Tepco bis Mai die Menge an radioaktivem Strontium in dem Wasser senken und in einem weiteren Jahr das Wasser dann von sämtlichen radioaktiven Partikeln säubern. Im Sommer 2016 hofft das Unternehmen sagen zu können, dass von dem Wasser "fast kein Risiko" mehr ausgeht.

Als neue Schutzmaßnahme plant Tepco immer noch einen unterirdischen Eisring um die Reaktoren 1 bis 4, der das Gelände gegen eindringendes Grundwasser abdichten soll. Kühlflüssigkeit wird dazu durch Rohre im Boden unter den Reaktoren geleitet, bis das Grundwasser gefriert. Dieser Eisring soll zudem verhindern, dass Wasser nach außen dringt. Die Arbeiten verzögern sich jedoch und wann mit der Kühlung begonnen wird, steht laut Tepco noch nicht genau fest. Ob sich die aus dem Tiefbau bekannte Methode bewährt, ist noch unklar. Über Jahre hinweg an einem Standort betrieben wurde sie noch nie.

Lebensmittel, die in Japan den Handel kommen, sind nach Angaben der Behörden sicher. Überall im ganzen Land, nicht nur in Fukushima, werden Lebensmittel regelmäßig auf Radioaktivität hin untersucht. Das japanische Gesundheitsministerium veröffentlicht die Daten jede Woche. Werden die Grenzwerte für radioaktive Partikel wie Cäsium überschritten, dürfen die betroffenen Lebensmittel nicht verkauft werden. Die Provinzverwaltung von Fukushima veröffentlicht dabei die Einzelheiten zu Lebensmitteln, die nicht verkauft werden dürfen. (mho)