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Was war. Was wird. Vom schlechten Leben und gutem Sterben

Zwischen Hintertupfingen und Kleinkleckersdorf liegt die kleine Bloger- und Hackerwelt, in der mancher der Kontrolle verlustig geht und darob bitterlich weint, beobachtet Hal Faber, der lieber über die netzpolitischen Grausamkeiten diskutieren würde.

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Zwischen Hintertupfingen und Kleinkleckersdorf liegt die kleine deutsche Bloger- und Hackerwelt.
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war. >

Schubladen? Schubladen. Auch in Kleinkleckersdorf ist Ostern.

*** "Schäm dich. Ich stehe ab jetzt nicht mehr für Fragen zur Verfügung." Ja, das gibts auch. So endet die Kommunikation, wenn man mit einer Meldung befasst ist, die dem Blogger Felix von Leitner überhaupt nicht in den Kram passt. Doch, das muss auch zu seiner Bloggeburtstagsparty gesagt werden. Deutsche Hacker sind eben genau das, deutsche Hacker, sehr deutsch mit ihrer Intoleranz gegenüber Andersdenkenden. Die werden schnell einmal zu Nichtbitmenschen deklariert, die nie eine wirklich nützliche Fähigkeit entwickelt haben .... Das ist wirklich schade, zumal es eigentlich wichtigere Aspekte gibt: Freiheit? Freiheit! Und auch andere Zeiten gab es, sogar mit Fefe-Einlagen zur 500. Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene. Was übrig bleibt, ist die Erkenntnis, wie weit Hacker heute vergessen haben, dass Computer das Leben zum Besseren verändern können – wenn man in der Lage ist, dem Computer Strukturen vorzugeben, die diese Tendenz bereits beinhalten. Auch die kontrollverlorenen Kritiker des Fefismus haben das nicht begriffen und Boy George hat anderes zu tun. So zeigt der kleine Aprilscherz ganz ohne Witz auf, wie klein die Szene ist und es nur wenige Wasserlöcher gibt und Frank Schirrmacher längst keine Nachrichten von seinem iPhone mehr sendet. Hübsch überspitzt hat das einer vor Jahren vorhergesehen, was heute abläuft und geschrieben: Informationen werden wieder teurer, Nischen werden zugemauert, Alternatives geht im Meinungsrauschen der Blogwarte unter. Was die Öffentlichkeit als "Hacker" wahrnimmt, wird zum Massenphänomen, trotz weitgehend gleich gebliebener Zahl tatsächlicher Hacker.

*** April, April? Jaja, schon gut. So richtig lustig konnte es freilich nicht werden, zumal der Browserverlauf eines verzweifelten Menschen veröffentlicht wurde, der unsere verschüttet geglaubte Angst verstärkte. Später kam noch der Flugdatenschreiber hinzu, der die Selbsttötung im schnellen Sinkflug dokumentierte. Die daraus abzuleitenden Konsequenzen sind erstaunlich. Statt einer Pflicht zu engmaschigeren Untersuchungen, die die nicht nur das Soma, sondern auch die Psyche zum Gegenstand haben, soll eine verschärfte Ausweiskontrolle und Ausweispflicht die Sicherheitslage verbessern. Als der Flieger zerschellte, habe man die Passagierliste daraufhin geprüft, ob Gefährder an Bord waren. Ein "riesiges Sicherheitsproblem" tat sich mitten im datentechnisch gut versorgten Schengen-Raum auf. Aber wieso nur Ausweiskontrolle bei Auslandsflügen? Auch im Inland kann man bei der Abfertigung kontrollieren, dazu in Bus und Bahn, wie das im Dritten Reich an der Tagesordnung war. Zu unser aller Sicherheit muss das sofort geändert werden. Oder?

*** Journalisten: Wir verteidigen die Freiheit also im Zweifel mit unserem Leben. Ist das der Deal?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist kein Deal, sondern es ist die Grundlage unseres Zusammenlebens und unserer Demokratie. Die fußt auf einem Menschenbild, das in den Grundrechten und der Unantastbarkeit der Menschenwürde verankert ist. Und die verteidigen wir – gegen die, die genau diese Werte nicht wollen.

Dieser Dialog über die bekannten Polaritäten Freiheit und Sicherheit findet sich in der Oster-Ausgabe der tageszeitung an einer Stelle, in der es über die Vorratsdatenspeicherung geht, die die ehemalige Justizministerin klipp und klar für verfassungswidrig erklärt. Gleich zu Anfang findet sich auch eine ziemlich traurige Passage über die Verfassungslosigkeit aktueller Politik:

Mit 80 Prozent Mehrheit im Bundestag kann alles beschlossen werden, auch eine verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung. Es gibt Vorschläge, die haben Innenpolitiker seit Jahren in der Schublade, und sobald ein Anlass da ist, werden die herausgeholt.

Dabei sind es nicht nur die Innenpolitiker, die sich in solcher Weise vergreifen. Mit dem bewährten Rückgiff auf eine kühne Behauptung hat unser Wirtschaftsminister zu Ostern vorgemacht, wie das mit den Schubladen bei der Vorratsdatenspeicherung geht:

Wir sorgen jetzt dafür, dass wir ein verfassungskonformes Gesetz machen. Hätten wir das bereits zum Zeitpunkt der ersten NSU-Morde gehabt, hätten wir weitere vermutlich verhindern können.

*** Bemerkenswert: Das vollständige Versagen des Verfassungsschutzes soll durch eine technische Maßnahme aufgehoben werden, zu der ein deutscher Minister noch betont, dass sie verfassungskonform erfolgen soll. Dass verfassungsunkonforme Gesetze verboten sind, kommt so einem "Macher" nicht in den Sinn. Die miserablen Umfragewerte zu seiner Person bekümmern ihn und so dürfen wir nachösterlich auf manch abenteuerliche Begründung der Einführung des Totalverdachtes gespannt sein. Nach dem norwegischen Mörder Breivik und der NSU-Mörderbande ist die Sache mit den richtigen Argumenten schwer zu toppen, aber wie wäre es zur Abwechslung mal mit der Mafia, immerhin ein wirtschaftskrimimelles und näher dran an den Aufgaben des Wirtschaftsministers? Italien hat bekanntlich mit 24 Monaten die längste legale Vorratsdatenspeicherung der Welt und hatte dies seinerzeit mit dem Kampf gegen die organisierte Kriminalität begründet.

*** Zu den laufenden Aprilscherzen passten Mutmaßungen über das, was Gabriel zu Glenn Greenwald sagte – oder auch nicht. Kann es wirklich sein, dass es keinen Austausch der Dienste im internationalen Kampf gegen den Terror gibt, wenn Snowden nach Deutschland kommt? Ein Aspekt, der auch für Schweden von Bedeutung sein kann und der die Grünen schwer beschäftigt. Sie kommen zum vorösterloichen Schluss auf des Hasens Kern: "Das ganze Rumgeeiere der Bundesregierung im Allgemeinen und des Vizekanzlers im Speziellen ist einfach peinlich." Es gibt freilich noch die andere Lesart, dass Glenn Greenwald zunehmend spekulativer arbeitet. Darauf deuten zumindest die neuen Falkland-Dokumente hin, die der //firstlook.org/theintercept/2015/04/02/gchq-argentina-falklands/:Intercept aus dem Snowden-Fundus veröffentlichte, zusammen mit dem stramm rechts drehenden Sender Todo Notícias. Dieser ruft seit einiger Zeit zur Eroberung der Falkland-Inseln auf, zu einem neuen Falklandkrieg, in dem es um entdecktes Öl gehen soll. Greenwald liefert dazu das nötige GCHQ-Gespinst von Propaganda-Aktionen des Geheimdienstes. Aber Falklandkrieg, da war doch was? Die bislang ruhmreichste Aktion unseres Bundesnachrichtendienstes datiert aus dieser Zeit, die Erich Schmidt-Eenboom in seinem Aufsatz Empfänglich für Geheimes beschrieb. So sieht die Zusammenarbeit aus, Tausch gegen Tausch:

Auf der anderen Seite spielte für das Ansehen des BND bei den Partnerdiensten die Leistungsfähigkeit der deutschen Dechiffrierer eine wichtige Rolle, führte beispielsweise im April 1973 zum "Materialaustausch von chiffriertem Rohmaterial mit HOCKEY", dem britischen GCHQ. Den allergrößten Gefallen erwiesen die Experten von ZfCh den Briten allerdings 1988, als sie als einziger NATO-Dienst während des Falklandkrieges den Funkverkehr zwischen Buenos Aires und den argentinischen Truppen auf den besetzten Inseln nicht nur erfassen, sondern auch dank eines Schlüssels knacken konnten, den die Abwehr im Zweiten Weltkrieg von den Franzosen erbeutet hatte.

So geht Geschichtsschreibung auch, der ganz alltägliche Geheimdienstwahnsinn, ganz ohne skandalträchtiges Getröte.

Was wird.

Die österliche Freudenszeit beginnt und das Abendland feiert die Überwindung des Todes und die Öffnung des Himmels, von kleinen Feuerparties am Karfreitag abgesehen. In Heaven ist die eine Sache. Aber @Heaven heißt ein neues Buch mit Aufzeichnungen darüber, wie sich Tom Mandel vor 20 Jahren von seinen Mitlesern im Cyberspace verabschiedete, als es ans Sterben ging. Das passierte auf der WELL, die am 1. April vor 30 Jahren ein einzigartiges elektronisches Experiment in Sachen digitaler Lebenskultur startete. Tom Mandel war Teil dieser Kultur, sein Hinscheiden im Cyberspace war für uns alle ein intensiver Prozess, mit einer wunderbaren Maria Magdalena an seiner Seite, die er in letzter Minute heiratete. Nun sind all die Gedanken von damals als Buch erschienen und erinnern an eine Gemeinde, die zusammenhalten und ihrem Kranken und dann Sterbenden Kraft geben wollte, von den ersten Witzen über eine lästige Grippe unter "Local Bug Report" bis zur Erkenntnis, das die Uhr abgelaufen ist und dem lakonischen "My Turn", als die zweite Lunge begann, ihren Geist aufzugeben. Am 5. April 1995 starb Tom Mandel:

In Heaven, Everything is fine, You got your good thing, And I've got mine.

(Bild: In Heaven, Eraserhead )

"Ich wusste, wie jedermann, dass mein Körper nicht ewig leben wird, und ich wusste nach der Diagnose auch, dass ich weniger Zeit haben werde, als ich bräuchte, um mich von euch allen zu verabschieden. Wenn ich es aber doch noch schaffen könnte, alle zu erreichen, die ich online kenne – hier, auf Time Online, im Internet, in all den anderen 'Plätzen' überall in den Netzen –, könnte ich die Bits und Teilchen meines virtuellen Selbst, all die Egos von Tom Mandel auswerfen. Und dann, wenn mein Körper stirbt, würde ich nicht wirklich gehen müssen... große Stücke meines Selbst würden hier sein, würden Teil dieses neuen Raumes sein. Das ist vielleicht keine besonders originelle Idee, aber zur Hölle, es ist es wert zu versuchen. Vielleicht kann dann jemand eines Tages all diese Stückchen von mir in einer Art Mandelbot zusammensetzen und ich kann wieder so arrogant und penetrant, so engagiert und anrührend sein wie ihr alle von mir behauptet, dass ich das bin. Was für wundervollen Segenswünsche ihr mir alle hier gegeben habt ...... Danke.

So geht das. Auch. (jk)