NSA-Ausschuss stellt Selektoren-Ultimatum und lernt neue Geheimhaltungsstufen

Geheimbriefe erreichten einen Adressaten im Kanzleramt nicht – wer in der Regierungszentrale etwas von der BND-NSA-Spionage wusste, wird so nicht gerade klarer. Auf die Ausspähziele will der NSA-Ausschuss nun nicht mehr lange warten.

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NSA-Ausschuss stellt Selektoren-Ultimatum und lernt neue Geheimhatungsstufen

(Bild: heise online/Groman123, CC BY-SA 2.0)

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  • dpa
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Im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags sind neue Probleme beim Informationsfluss vom BND ans Bundeskanzleramt bezüglich der kritischen NSA-Selektoren bekannt geworden. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Kanzleramts sagte, entsprechende, an ihn gerichtete Briefe hätten ihn nicht erreicht. Unterdessen setzte der NSA-Ausschuss der Bundesregierung eine Frist bis zum kommenden Donnerstag für eine Entscheidung, wie mit der umstrittenen Liste der US-Ausspähziele verfahren wird.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

In interner Beratung sei der Beschluss zu der Fristsetzung mit den Stimmen der Koalition getroffen worden, teilte SPD-Obmann Christian Flisek mit. Es sei "unerträglich", dass der zuständige Ausschuss die massiven Spionagevorwürfe nicht aufklären könne. Wenn ein Ermittlungsbeauftragter die im Kanzleramt liegende Liste mit den US-Spähzielen (Selektoren) ansehen solle, müsse dieser vom Parlament benannt werden. Solch einem Beauftragten will die Bundesregierung laut Medienberichten diese Aufgabe übertragen, ihn aber selbst benennen.

Ein Zeuge, der von 2005 bis 2008 ein mit dem BND befasster Referatsleiter im Kanzleramt war, gab in der heutigen Sitzung Einblicke in Schwierigkeiten des BND-Informationsflusses ans Kanzleramt, das die dienstliche Aufsicht über den BND hat: "Es gibt Fälle, dass ich Sachen an mich nicht gesehen habe, weil ich dazu nicht ermächtigt war."

Der BND habe wohl versehentlich einzelne Briefe an ihn gerichtet, die er nicht lesen durfte, sagte der Zeuge Thomas Kurz, heute Geschäftsträger der Deutschen Botschaft in Ankara. Im Kanzleramt werde von der "Verschlusssache-Registratur" geprüft, ob Adressaten auch berechtigt seien, an sie gerichtete Schreiben zu lesen. "Die haben dort ein sehr strenges Regiment", sagte der Zeuge. Welche wichtigen Dinge der BND an das Bundeskanzleramt melden müsse, könne er nicht eindeutig sagen.

Linke-Obfrau Martina Renner zeigte sich überrascht, dass es bisher unbekannte Geheimhaltungsstufen innerhalb des Kanzleramts gebe. Immer wieder werde in der Affäre deutlich, dass sich einzelne Bereiche beim BND und nun auch im Kanzleramt voneinander abschotteten.

Der deutsche Auslandsgeheimdienst informierte schon 2008 das Kanzleramt über mögliche Versuche von Wirtschaftsspionage durch den US-Dienst NSA. Der Ausschuss will auch herausfinden, wer im Kanzleramt was wusste und welche Kenntnisse etwa der damalige Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) hatte. Der heutige Innenminister soll am kommenden Donnerstag vor dem Gremium aussagen.

Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA über Jahre geholfen haben, europäische Firmen und Politiker auszuspähen. Der Ausschuss will das Ausmaß der Affäre aufklären. Die Ausspähungen erfolgten offenbar über die Selektoren, die nun seit Wochen heftig diskutiert werden. Dabei handelt es sich um verschiedenste Suchbegriffe, die der BND von der NSA erhielt und in eigene Systeme einspeiste, ohne sie vorher zu überprüfen. Kurz sagte, über Selektoren habe er in seiner Zeit nichts erfahren.

Der Zeuge sagte aus, zum Jahreswechsel 2007/2008 habe es immer wieder Gespräche über den US-amerikanischen Wunsch gegeben, die Kooperation zu verstärken. "Und ich wusste, dass es immer wieder Warnungen des BND gab, dass die Amerikaner eigene Interessen verfolgen." Konkrete Kenntnisse habe er aber nicht gehabt. (mho)