"Sensationell", "PC-Schreck": Der Atari ST wird 30 Jahre alt

Vor 30 Jahren brachte Atari mit dem 520 ST einen Computer auf den Markt, der zwar wie ein Heim-Computer aussah, aber dem PC und dem Mac Konkurrenz machte. Mit ihm wurde die Maus poulär, als Windows noch ein Witz und Apple elitär war.

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Von
  • Axel Kossel
Inhaltsverzeichnis

Im Frühjahr 1985 berichtete c't von der Hannover Messe: "Sensationell: Der neue ATARI ST" stand in c't 6/85, der Ausgabe für Mai und Juni. Die Sensation bestand vor 30 Jahren aus einem 16/32-Bit-Prozessor Motorola 68000 mit 512 KByte RAM, einer grafische Auflösung zwischen 640 × 400 (monochrom, 70 Hz Bildwiederholfrequenz) und 320 × 200 mit 16 Farben, einem DMA-Port zum Anschluss etwa einer externen Festplatte und nicht zuletzt die per Maus bedienbare grafische Oberfläche GEM. Das Ganze war in ein funktionelles Plastikgehäuse in freundlichem Steingrau verpackt. Trotz der integrierten Tastatur hob sich der Atari ST weit von den damals üblichen 8-Bit-Heimcomputern ab. Er konkurrierte mit dem IBM XT und Kompatiblen, die damals noch ganz Windows-frei unter MSDOS liefen, sowie dem Macintosh mit seiner grafischen Oberfläche plus Maus.

Der Atari ST in c't (6/85 und 9/85) (7 Bilder)

"Sensationell" titelt c't selten, ...

Doch das Komplettsystem des Atari 520 ST sollte mit monochromem 12-Zoll-Monitor, Maus und externem 3,5-Zoll-Disketten-Laufwerk nur 3000 DM kosten. Das waren gut 1000 DM weniger als für einen ähnlich ausgestatteten XT-Nachbau und betrug ungefähr ein Drittel dessen, was man für einen Apple Macintosh mit weniger Speicher und kleinerem Monitor bezahlen musste – ein Traum für Studenten.

Ich war damals ein solcher Student. Und mir fiel sofort auf, dass "sensationell" nicht zum üblichen Vokabular von c't-Überschriften gehörte. Ich las den Artikel und begann zu träumen. Allerdings dauerte die Traumphase etwas länger als gedacht. Denn der Atari ST kam nicht, wie auf der Hannover Messe angekündigt, im Mai auf den Markt. Auf den ausführlichen Test in c't musste ich bis Mitte August warten. Denn erst im Juli konnte Atari der Redaktion einen funktionstüchtigen ST zur Verfügung stellen; die ersten beiden Testgeräte hatten nicht funktioniert. Es zeigte sich, dass eine zu große Aussparung in einer Isolationspappe zwischen Platine und Abschirmblech zum Kurzschluss führen konnte. Offenbar stimmte es, dass Atari den ST in nur wenigen Monaten entwickelt hatte.

Spitzname Jackintosh: Jack Tramiels Atari ST galt als Alternative für PC und Mac.

Es war der Computerpionier Jack Tramiel, der zur Eile trieb. Der Commodore-Gründer hatte 1982 mit dem C64 bereits den erfolgreichsten 8-Bit-Heimcomputer auf den Markt gebracht. 1984 musste er die Firma jedoch verlassen, nachdem er mit seinen Geldgebern in Streit geraten war. Sie verhinderten die Berufung eines seiner Söhne in die Geschäftsführung. Tramiel kauft die Computersparte von Atari, setzte seinen Sohn als Geschäftsführer ein und holte zum Schlag gegen Commodore aus. Die konterten mit dem Amiga, aber das ist ein anderer Geburtstag.

Trotz der Startschwierigkeiten des Atari ST fiel der c't-Test des "PC-Schrecks" positiv aus. Es gab allerdings auch deutliche Zeichen für den Sparwillen Tramiels, der seine Computer für die Massen erschwinglich machen wollte. So enthielt der ST zwar für damalige Verhältnisse üppige 512 KByte RAM, aber kein eigenes Video-RAM. Doch die Atari-Ingenieure hatten sich Mühe gegeben, den Nachteil auszugleichen: CPU und Video-Controller reizten beim abwechselnden Zugriff auf den Speicher die Möglichkeiten der RAM-Bausteine voll aus.

Der Testbericht ließ mich also weiter träumen und als man im Herbst 1985 den Atari 520 ST in Deutschland endlich kaufen konnte, löste er meinen Commodore C64 ab, den ich kaum zwei Jahre besessen hatte. Beim Kauf des C64 hatte ich noch gedacht, er sei genug Computer fürs ganze Leben. Der Atari ST hielt allerdings noch viel kürzer: Er starb wenige Monate alt beim Versuch, ihn nach c't-Anleitung auf 1024 KByte RAM aufzurüsten. Denn Atari hatte schnell ein Modell mit 1 MByte Hauptspeicher nachgeschoben und als Early Adopter wollte ich dem nicht nachstehen. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Atari 520 ST+ zu kaufen, der mich vier Jahre lang begleitete, bis ich ins PC-Lager wechselte.

Als ich ein Jahr später selbst bei c't anfing, verschwieg ich mein Löt-Malheur wohlweislich. Der Atari begleitete mich in Form des Mega ST durch die ersten Berufsjahre. Denn obwohl ihm c't im ersten Test die eingeschränkte Erweiterbarkeit als Nachteil angekreidet hatte, nahm dieses Thema später gemeinsam mit Programmierung, Tests von Peripherie und Praxistipps breiten Raum in der Berichterstattung ein. Erweiterungen wurden einerseits durch die DMA-Schnittstelle möglich, aber auch durch die Tatsache, dass wichtige Chips wie die CPU und das ROM mit dem Betriebssystem gesockelt waren. So konnte man Zubehör direkt am Herzen anbauen und notwendige Treiber ins Betriebssystem TOS integrieren. Eines der erfolgreichsten Projekte war der Adapter für handelsübliche Festplatten. Denn die in externen Platten, die Atari und andere Hersteller anboten, benötigten spezielle Controller und waren recht teuer. Beliebt war auch die Prozessoraustauschkarte PAK/68, die den 68000er durch eine 68020-CPU samt numerischem Coprozessor ersetzte.

Der große Erfolg des Atari ST hatte sich schon vor der Markteinführung abgezeichnet. Dazu trug das Konzept bei, den Computer im Set mit Monitor, Maus und Diskettenlaufwerk abzugeben. So konnten die Käufer sofort loslegen und hatten mit den unempfindlichen 3,5-Zoll-Disketten ein modernes Speichermedium. Serielle und parallele Standardschnittstellen ermöglichten den Anschluss gängiger Modems und Drucker. Atari brachte zahlreiche Modellvarianten heraus. Wenig erfolgreich war das Billigmodell, das sein TOS von Diskette bootete. Wer sich keinen Monitor leisten wollte, konnte die STM-Modelle am Fernseher betreiben, die STFs hatten das Diskettenlaufwerk eingebaut. Besonders beliebt wurden die Mega STs, die mit externer Tastatur auch äußerlich mehr an PCs als an Heim-Computer erinnerten.

Für Musiker machte die MIDI-Schnittstelle den Atari ST interessant, der dann auch den Weg in Studios fand. Dafür sorgte später auch die große Menge an Software, die es für den Atari gab. Er profitierte dabei davon, dass sein Betriebssystem TOS eine erweiterte Version des damals bekannten CP/M-68K. Bald gab es auch Software, die den Atari im Büro nutzbar machte. Einige Schwachpunkte wie die fehlende Netzwerkschnittstelle machten Drittanbieter mit Geräten für den DMA-Port wett. Später kamen sogar externe Grafikmodule für pixelintensive Anwendungen wie CAD auf den Markt. Auch PC-Emulatoren wie den SuperCharger gab es, die eine eigene CPU mitbrachten und am DMA-Port angeschlossen wurden. Rund um den Atari ST entstand ein großer Zubehör- und Softwaremarkt; einige Jahre füllte die Atari-Messe in Düsseldorf mehrere Hallen.

Doch 1989 begann Ataris Stern zu sinken. Nicht dass Apples Macintosh plötzlich ganz billig wurde, es war eher der einfacher zu erweiternde PC, der triumphierte, und auch der Amiga machte Atari zunehmend zu schaffen. Der 1040 STE mit verbesserter Grafik und wechselbaren RAM-Modulen sowie der TT und der Falcon mit 68030-CPU konnten den Niedergang nicht aufhalten: Anfang 1994 wurde die Produktion eingestellt.

Ich kann mich noch an die Faszination erinnern, die ich 1985 ob des Grafikbildschirms und der Mausbedienung verspürte. Heute würde ich den kleinen Atari-Monitor trotz seines ruhigen 70-Hz-Bildes wohl kaum noch eine Stunde lang ertragen. Trotzdem erinnere ich mich gern an die vielen schönen Stunden mit Ballerburg und Co.: Happy Birthday, Atari ST. (ad)