Da gehts lang

Drexler'sche Utopisten und Nanorealisten können wohl doch miteinander reden – und haben eine bemerkenswerte "Roadmap für produktive Nanosysteme" entworfen. Die will die Nanoforschung auf zwei strategische Ziele fokussieren: Energie und Medizin.

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Von
  • Niels Boeing

Still ist es geworden um die große Wundertüte namens „Nanotechnik“. Das Gerede von der nächsten Industriellen Revolution ist abgeklungen, und bei manchen Beobachtern hat sich angesichts der nicht ganz so spektakulären realen Nanoprodukte – die vornehmlich Nanomaterialien und -beschichtungen umfassen – ein gewisser Sarkasmus breit gemacht. Da kommt die letzten Freitag veröffentlichte „Roadmap für produktive Nanosysteme“ gerade richtig. Es ist eines der interessantesten Dokumente zum Stand und den möglichen Zielen der Nanotechnik seit langem.

Wer die Initiatoren der innerhalb der vergangenen zwei Jahre erarbeiteten Roadmap betrachtet, könnte freilich meinen, hier sei nur alter Wein in neue Schläuche gegossen worden. Denn mit dem Foresight Nanotech Institute und der Firma Zyvex sind zwei von ihnen alte Vertreter der Vision Eric Drexlers von den allmächtigen Nanomaschinen, die eines Tages alles für uns Atom für Atom produzieren sollen.

Tatsächlich aber ist die Roadmap aus drei Gründen Wert, ernst genommen zu werden.

Erstens: Der unfruchtbare Grabenkrieg zwischen Drexler’schen Utopisten und den Nanorealisten – für die vor allem der 2005 verstorbene Richard Smalley stand – scheint sich dem Ende zu nähern. Die Liste der an der Roadmap Beteiligten umfasst auch hochkarätige US-Forscher wie Paul Alivisatos oder Richard Lieber, die bislang nicht im Verdacht standen, Nanoroboter zu propagieren.

Zwar finden sich noch Spuren der Terminologie Drexlers, der auch einer der Autoren der Roadmap ist, in dem knapp 200 Seiten starken Papier. Aber beide Seiten sind offensichtlich über ihren Schatten gesprungen und haben sich auf gemeinsame Begriffe geeinigt. Drexler hatte lange Zeit moniert, die derzeitige Nanoforschung beschäftige sich gar nicht mit „richtiger Nanotechnik“, so wie er sie vor 15 Jahren in seinem Buch Nanosystems entworfen hatte. Davon ist nun nichts mehr zu spüren. Die andere Seite hat sich dafür auf Drexlers Vision eingelassen, dass das große Potenzial der Nanotechnik in atomar präzisen Strukturen und „produktiven Systemen“ besteht und nicht nur in Nanomaterialien oder molekularer Elektronik.

Zweitens: Die Roadmap formuliert zwei konkrete strategische Ziele auf, die für die weitere Forschung Priorität haben. Das Erste besteht darin, „atomar präzise Technologien zu entwickeln, die eine saubere Energieversorgung und eine kosteneffiziente Energie-Infrastruktur ermöglichen.“ Die zweite Strategie gilt der Nanomedizin. Hier will man „atomar präzise Technologien entwickeln, die zu nanostrukturierer Medizintechnik und multifunktionalen therapeutischen Systemen führt, die die menschliche Gesundheit verbessern.“ Es geht, kurz gesagt, darum, mit Hilfe der Nanotechnik „die menschliche Existenz zu verbessern“.

Damit ist nun endlich mal ein Fokus formuliert, der nicht von Billionen-Dollar-Märkten schwadroniert, sondern sich zwei großen Problemen der Gegenwart widmet. Es ist schon bemerkenswert, dass die drastische Verbesserung der Computertechnik – die bislang in keiner Liste der Nanovisionen fehlte – kein strategisches Ziel ist. Und das in der IT-Nation USA! (Übrigens sind Energie und Medizin auch die zwei Anwendungsfelder, die in Bürgerforen zur Nanotechnik regelmäßig als bedeutend eingestuft werden).

Hieran schließt sich direkt der dritte Grund an: In den USA findet derzeit eine massive Neuausrichtung der künftigen technischen Prioritäten statt. Während hierzulande die Hartleibigkeit der Bush-Regierung in der internationalen Klimapolitik immer noch als „Beweis“ für die Rückständigkeit der USA in Sachen Umwelt gilt, hat der Run auf die „Cleantech“, wie die Umwelt- und Energietechnik dort genannt wird, längst begonnen. Mehr noch: Auch in Investorenkreisen werden Cleantech und Nanotech zunehmend als zwei Seiten derselben Medaille gehandelt. Wer die amerikanische Mentalität kennt, kann sich ausrechnen, dass hier demnächst ziemlich große Brötchen gebacken werden.

Es ist auch erfreulich, dass die Autoren der Roadmap keine amerikanische Nabelschau betreiben. Zwar betonen sie die Bedeutung einer solchen fokussierten Agenda für die USA – sie wollen ja auch Forschungsgelder von ihrer Regierung. Aber zugleich betonen sie, dass die Nano-Roadmap eigentlich ein internationales Projekt ist, das im nächsten Schritt größer aufgezogen werden müsse.

Zwei Punkte fehlen in der großen Synopse allerdings: Wie müsste eine begleitende Risikoforschung organisiert werden? Und was ist mit den geistigen Eigentumsrechten an den „produktiven Nanosystemen“ der Zukunft? Auch wenn beide Themen wohl nicht Gegenstand der Arbeit an der Roadmap waren: Die Antworten lassen sich nicht von den beiden strategischen Zielen trennen.

Zwar steht man beim Foresight Nanotech Institute der Idee einer Open-Source-Nanotechnik durchaus aufgeschlossen gegenüber. Aber die Gefahr einer Nano Divide ist da. Die südafrikanischen Nanoforscher Thembela Hillie und Mbhuti Hlophe haben kürzlich in Nature Nanotechnology zurecht darauf hingewiesen, dass die schönen Nanotech-Entwicklungsversprechen zwei Voraussetzungen haben: nämlich „Wissen zu teilen“ und „lokale technische Kapazitäten aufzubauen“. Nimmt man etwa die gerade erst bekannt gewordenen neuen Patentansprüche des J. Craig Venter Institute – u. a. auf die Herstellung synthetischer Genome an sich – als Hinweis auf einen künftigen Nanotech-Wettbewerb, ist da nichts Gutes zu erwarten.

Wenn die Roadmap nicht nur eine strategische Initiative für die nächsten Fleischtöpfe der Globalisierung sein soll, muss die Nanotech-Gemeinde in ihrer Roadmap auch Antworten geben, wie sie die Risiken minimieren und einen möglichst breiten Zugang zu den produktiven Nanosystemen ermöglichen will. (wst)