Was darf die Forschung?

Großbritannien plant eine Gesetzesnovelle, die es Forschern erlaubt, menschliche Zellkerne in Tier-Eizellen zu transferieren.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

In Großbritannien schlägt zur Zeit eine Kontroverse zwischen der Katholischen Kirche und Stammzellforschern hohe Wellen. Laut dem Magazin New Scientist sprechen sich die Kirchenvertreter vehement gegen die geplante Novellierung des so genannten Human Fertilisation and Embryology Act aus und argumentieren, darin würde unter anderem die Erschaffung von Embryonen erlaubt, die halb Tier und halb Mensch sind – etwa durch die Befruchtung von menschlichen Eizellen mit Spermien von Tieren. Die Forscher halten wütend dagegen, dass das eine radikale Verdrehung der Wahrheit sei.

Tatsächlich sieht die Gesetzesnovelle vor zu erlauben, in entkernte tierische Eizellen Zellkerne aus menschlichen Körperzellen einzusetzen. Alle Zellen, die aus dieser befruchteten Eizelle entstehen, enthalten in ihren Kernen aber ausschließlich das Erbgut der menschlichen Zelle. Die Forscher wollen die sich teilenden Zellkonglomerate zum Blastozystenstadium entwickeln lassen – das sind wenige Tage alte Embryos – und ihnen Stammzellen für Forschungszwecke entnehmen. Die Alleskönner wollen sie dann zu spezialisierte Gewebe wie Nerven oder Herzmuskeln entwickeln lassen, um bisher unheilbare Gewebeschäden zum Beispiel bei der Parkinsonschen Krankheit, der Zuckerkrankheit oder Herzinfarkten therapierbar zu machen.

Bisher waren Wissenschaftler mit der Kerntransfer-Methode nur bei Tieren erfolgreich und verwendeten dabei Zellkerne und Eizellen der gleichen Spezies. Prominente Beispiele dafür sind das Schaf Dolly und die Kuh Uschi. Erst kürzlich gelang dem Wissenschaftler Andrew French vom US-Unternehmen Stemagen mit der gleichen Methode zum ersten Mal das Klonen von menschlichen Embryos.

Doch menschliche Eizellen sind in der Stammzellforschung Mangelware und ihre Gewinnung ethisch umstritten: Kritiker halten zum einen ihren Einsatz beim therapeutischen Klonen für verwerflich, zum anderen ist man sich bei der Frage uneins, ob man Frauen für ihre Spende bezahlen darf (Männer erhalten für die Samenspende Geld; doch die Gewinnung von Eizellen ist ungleich komplizierter und mit einem nicht ganz ungefährlichen Eingriff verbunden). Pro Monat reift nur eine Eizelle heran. Durch eine Hormonbehandlung bei der künstlichen Befruchtung kann die Zahl der Eizellen auf zehn bis zwölf erhöht werden, von denen die Frauen zum Beispiel in Kalifornien einige für Forschungszwecke spenden dürfen.

Weil aber die Erfolgsrate, also die Erschaffung von gesunden Embryonen, beim Kerntransfer sehr niedrig ist, brauchen Forscher bisher für jeden erfolgreichen Versuch zwischen 30 und mehrere hundert Eizellen. Deshalb erhoffen sich die britischen Forscher vom Einsatz der leicht zugänglichen tierischer Eizellen einen Ausweg aus dem Engpass und eine Beschleunigung der Erforschung von Krankheiten und der Therapieentwicklung.

Darüber hinaus erlaubt das Gesetz tatsächlich – wenngleich unter strengen Auflagen – über das Klonen der oben genannten geschaffenen cytoplasmatischen Hybride (kurz Cybrids) hinaus auch die Erschaffung folgender Zwischen-Spezies-Embryonen im Dienste der Erforschung von genetischen Krankheiten und Stammzelltherapien:

  • Hybrid-Embryos aus menschlichen Eizellen und tierischen Spermien oder umgekehrt
  • Transgene menschliche Embryos durch das Einfügen von Tier-DNA in eine oder mehrere Zellen eines menschlichen Embryos
  • Mensch-Tier-Chimären durch das Einfügen von Tierzellen in menschliche Embryonen

Folgende restriktiven Auflagen gelten dabei:

  • Jedes einzelne Experiment mit Zwischen-Spezies-Embryonen muss von der Human Fertilisation and Embryology Authority genehmigt werden. Die Genehmigung wird nur dann erteilt, wenn nachgewiesen ist, dass das Experiment für eine potentielle Therapie absolut notwendig ist
  • Alle Zwischen-Spezies-Embryonen müssen spätestens bei Erreichen des 14-Tage-Stadiums vernichtet werden und
  • Dürfen niemals einer Frau oder einem weiblichen Tier eingepflanzt werden

Die Gesetzesnovelle, die explizit den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung tragen soll, hat das Oberhaus des britischen Parlaments bereits mit großer Mehrheit passiert, die Entscheidung des Unterhauses steht noch aus. Dabei wollte die Regierung zuerst sowohl die Cybrids als auch alle anderen Zwischen-Spezies-Embryonen verbieten, gab dann aber dem überwältigenden Druck vieler Wissenschaftler und Forschungsfördergesellschaften statt. Eine Lockerung des Stammzellgesetzes zeichnet sich auch in Deutschland ab: immer mehr Politiker inklusive der Bundesbildungsministerin Annette Schavan diskutieren offen über die Verschiebung des Stichtages für die Gewinnung von embryonalen Stammzelllinien.

Die Frage, was die Forschung darf, ist in diesem Fall eine sehr schwere. In beiden Fällen lautet die grundsätzliche Frage: ab wann betrachtet man ein Embryo als eigenständiges, schützenswertes Lebewesen. Wenn man den Zeitpunkt der Befruchtung nimmt, ist es grundsätzlich falsch, ein Embryo zu töten – ob nun durch Abtreibung oder nach getaner Forschungsarbeit im Stadium eines Zellhäufchens. Darüber sind wir aber lange hinaus, wir haben beschlossen, das – in besonderen Notfällen! – Babys abgetrieben werden können. Und wir haben beschlossen, dass vor dem 1. Januar 2002 im Ausland durch das Töten von Embryos gewonnene Stammzellen zu Forschungszwecken importiert werden dürfen. Betrachtet man aber wie viele Stammzellforscher erst der Zeitpunkt der Einnistung in der Gebärmutter als Zeitpunkt der Lebensfähigkeit, dann sind Experimente bis zu diesem Stadium möglich.

Was wiegt schwerer, das Leben von jungen Embryonen, die nie die Chance hatten, sich zu einem Menschen zu entwickeln oder das Leben der Menschen, die mit Hilfe dieser Forschung gerettet werden können? Würde man der sogenannten Embryonen verbrauchenden Forschung zustimmen, wenn das eigene Kind mit einer fürchterlichen Stoffwechselkrankheit geboren wird oder ein Eltern- oder Geschwisterteil an einer tödlichen Krankheit leidet, um ihre Chancen auf ein Überleben zu erhöhen oder gar einer Heilen zu erhöhen? Diese Fragen müssen wir alle ganz ehrlich beantworten. Und wenn die Antwort „Ja“ lautet – wie unwohl einem dabei auch ist – dann kann man sich der Stammzellforschung nicht verschließen und dann ist eine Stichtagregelung eigentlich nur ein moralisches Feigenblatt.

Möglicherweise aber zeichnet sich am Horizont eine Lösung für das Dilemma ab. Japanische, US-Amerikanische und deutsche Forscher haben es kurz nacheinander geschafft, menschliche Hautzellen mit Hilfe von nur vier eingeschleusten Genen so umzuprogrammieren, dass sie sich ganz ähnlich wie embryonale Stammzellen verhalten. Aus diesen sogenannten iPS (induzierte pluripotente Stammzellen) gewannen die Forscher verschiedene Gewebe und heilten bei Mäusen die XX-Krankheit. Noch ist die Methode bei weitem nicht ausgereift: der Gentransfer nur mit Hilfe von unschädlich gemachten Viren möglich – und das führt bei den umprogrammierten Zellen noch häufig zu Krebs. Doch an der Umgehung des viralen Transports wird bereits gearbeitet, Stammzellforscher rechnen innerhalb eines Jahres mit einer Lösung. Erweisen sich die iPS eines Tages als gleichwertig zu den embryonalen Stammzellen, ließe sich das moralische Dilemma sehr elegant lösen. (wst)