Kultur der Fehlinformation? Fehler im System!

Die Münchner Transrapidstrecke wäre 84 Prozent teurer geworden als geplant. So eine Kostenexplosion ist nichts Ungewöhnliches: Seit mindestens 70 Jahren hat der Kapitalismus hier nichts dazu gelernt.

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Von
  • Niels Boeing

Als vergangene Woche die Bombe platzte, die Münchner Transrapidstrecke würde 84 Prozent teurer als zunächst geplant – oder sollte man sagen: behauptet –, war wohl keiner ernsthaft überrascht, oder? Es ist ja schon ein running gag geworden: Kostenvoranschläge für Infrastruktur- und andere Bauprojekte sind bestenfalls eine Absichtserklärung.

Der dänische Planungswissenschaftler Bent Flyvberg, der mit seinen Mitarbeitern vor einigen Jahren eine erste systematische Analyse dieses Phänomens am 258 Projekten vornahm, kam 2003 zu folgendem Ergebnis:

  • Bei 90 Prozent der untersuchten Infrastrukturprojekte im Transportsektor liefen die Kosten aus dem Ruder.
  • Die Kostenexplosion hat in den vergangenen 70 Jahren nicht abgenommen. "Es ist nichts dazu gelernt worden", schrieben Flyvberg und Kollegen.
  • Für Bahnstrecken liegt die durchschnittliche Kostenzunahme bei 45 Prozent, bei Tunneln und Brücken ("fixed links") bei 34 Prozent und im Straßenbau immerhin noch bei 20 Prozent.
  • Kostenexplosionen finden weltweit statt: "Es scheint ein globales Phänomen zu sein."

Eine wirklich befriedigende Erklärung hat allerdings auch Flyvberg nicht zur Hand. Ein Punkt scheint zu sein, dass bei Ausschreibungen bewusst zu niedrig kalkuliert wird. Nach dem Motto: erst mal den Fuß in der Tür, oder besser in der Schatztruhe, haben, danach kriegen wir sie schon richtig auf. Dass dafür bewusst gelogen wird, wollte Flyvberg in der Januar-Ausgabe von Technology Review nicht sagen. Er nennt es eine "Kultur der Fehlinformation".

Selbst in dieser abgeschwächten Formulierung ist es doch erstaunlich, dass der Kapitalismus, der sonst so lernfähig ist, sich hier offenbar nicht weiterentwickelt. Zyniker würden sagen, dass hier eben die nackte Gier des Kapitalismus regiert.

Vielleicht scheitert das System einfach nur an der zunehmenden Komplexität, die es hervorbringt. Was früher eine Firma erledigen konnte, übernimmt heute gerne ein Wust von so genannten Dienstleistern, möglichst noch als modisches Netzwerk. Da muss umso mehr kommuniziert und gerechnet werden, zeitaufwändige Prozeduren, und das bedeutet nach Flyvbergs Daten: Je länger ein Projekt vom Planungsstart an dauert, desto sicherer werden die Kosten nicht eingehalten werden können. Bei Projekten von der Größenordnung des Ärmelkanal-Tunnels kann man für jeden Extratag, der aus den Reibungsverlusten des Informationskapitalismus resultiert, eine Million Euro Mehrkosten veranschlagen. Wahnsinn.

Auch die Randbedingungen aus bereits vorhandener Siedlungsstruktur und Ökologie – bzw. auch Geologie – werden komplexer, so dass es nicht mehr damit getan ist, einfach wie damals im Wilden Westen Schienen durch die Prärie zu legen. Die Verlängerung der Berliner U-Bahnlinie U7 zum Beispiel wurde auf dem Teilstück zwischen Rohrdamm und Spandau viel teurer, weil der knapp fünf Kilometer lange Tunnel in fünf verschiedenen Verfahren gebaut werden musste. Am Ende kostete allein dieses Sechstel der Linie stolze 680 Millionen D-Mark, und das war in den siebziger Jahren – nach damaliger Kaufkraft etwa 630 Millionen Euro. Diese längste U-Bahnlinie Berlins, die im Wesentlichen erst nach 1959 entstand, hat mich immer fasziniert, weil es mir heute unvorstellbar vorkommt, dass eine Großstadt noch zu solch einer Infrastrukturleistung fähig wäre (OK, damals hat der Bund viel Geld in West-Berlin gesteckt, aber auch andere Städte haben in den Sechzigern und Siebzigern ganze U-Bahnnetze gegraben).

Dann sind da noch schwankende Rohstoffpreise, wie jetzt beim Transrapid-Debakel hervorgehoben wurde. Kupfer ist fünfmal, Aluminium und Stahl sind immerhin doppelt so teuer wie 2002. Das zumindest kann sich auch wieder ändern.

Aber im Prinzip zehrt der Kapitalismus seinen Zuwachs an technischer und finanzieller Leistungsfähigkeit beständig wieder auf – Infrastrukturprojekte werden weder billiger, noch sind sie heute effizienter zu verwirklichen. Draufzahlen muss am Ende der Steuerzahler, wenn die öffentliche Hand als Retter einspringt. Ist das der Fortschritt, der uns immer versprochen wird? (wst)