E-Mail von der Polizei

Japan auf dem Sicherheitstrip: Die ganze Nation hält Ausschau nach Verbrechern und Lustmolchen. Ein Mail-Dienst der Polizei alarmiert die Bewohner jetzt sogar bei Untaten in der Nachbarschaft.

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Von
  • Martin Kölling

Klack, klackklack, klack, klackklack. In meiner Nachbarschaft, der kleinen Tokioter Vorstadt Asaka, patroulliert die Bürgermiliz durch die Nacht. Die vier Senioren tragen reflektierende Westen, blinkende Leuchtstäbe und schlagen rhythmisch Holzstücke aneinander. Klack, klackklack, klack, klackklack. Die xylophone Lowtech-Ausrüstung soll wohl unbescholtenen Bürgern die Angst nehmen und Gesindel aufschrecken. Das Nachtwächtertum hat derzeit Hochkonjunktur in Japan. Denn in dem Land wächst die Angst vor Verbrechen, obwohl die Kriminalitätsrate seit ihrem Höhepunkt im Jahr 2002 sinkt.

Hinter den scheinbar widersprüchlichen Bewegung steht zum Teil der "nationale Aktionsplan zur Errichtung einer verbrechensresistenten Gesellschaft" von 2003. Darin erklärte die Regierung, dass sie die Gründung von Nachbarschaftsverbänden unterstützen will, "die ehrenamtliche Aktivitäten zur Verbrechensvorbeugung durchführen". Das Ziel: Japan wieder zum "sichersten Land der Welt" zu machen. Die öffentliche Sicherheit könne nicht allein von der Polizei aufrecht gehalten werden, erklärt der Report.

Brav folgen die Bürger. Land auf, Land ab schließen sich seither Eltern zu Wachorganisationen zusammen und befestigen stolz Schilder mit der Aufschrift "Patrol" an den Kindersitzen ihrer Fahrräder. Einen neuen Höhepunkt erreichte die Bewegung dieses Jahr mit dem Einsatz von Sittenwächtern in einer Bahnlinie der Millionenmetropole Yokohama. In Paaren pirschen Rentner seit vorigen Monat durch Waggons, um herumlümmelnden Jugendlichen Moral beizubringen, telefonierende Teenager zum Schweigen zu ermahnen und Behinderten, Senioren und Schwangeren zu einem Platz auf den gewöhnlich durch Gesunde belegten "Silbersitzen" für die Gebrechlichen zu verhelfen. Um Vorfälle wie in Deutschland zu vermeiden, wo berechtigte Ermahnungen im Nahverkehr in jüngster Zeit auch schon mal mit Gewalt beantwortet wurden, begleiten zusätzlich Wachmänner die Moralhüter.

Die Polizei bedient das Sicherheitsbedürfnis seit 2006 auch mit Hightech. So können die Bürger nicht nur per Handy-E-Mail Auffälliges melden, in Osaka werden sie von der Polizei auf Wunsch auch über Untaten an Alten und Kindern in Echtzeit in Kenntnis setzt. "Sicheres-Stadtviertel-Mail" heißt das Angebot.

Auf dem Werbeflyer der Polizei kommt ein stilisierter Vogel zum Handy einer jungen Mutter geflogen mit einem Gruß der Polizei im Schnabel. "Kinderbelästigung" liest die junge Frau, und auf ihrem Gesicht breitet sich panisches Erschrecken aus. Man sieht sie förmlich aus dem Haus rennen, um nach ihrem Kind und dem Kinderschreck Ausschau zu halten. Am 31. März schickte die Polizei neun Meldungen auf die Handys der Abonnenten des Dienstes, davon sieben Handtaschendiebstähle, eine Kinderbelästigung und eine Ermahnung, Taschen nicht im Auto liegen zu lassen. Die Verbrechenshinweise enthalten immer eine Ortsangabe, Täterbeschreibung und die Aufforderung, Ausschau nach den Tätern zu halten. Dankbar schreibt eine Bloggerin: "Ich wusste ja gar nicht, dass täglich so viele Vorfälle in meiner Nähe passieren, das ist ja zum Fürchten." Daran schließt sich die Bitte an, möglichst in Massen den Dienst zu abonnieren, um der Täter schneller habhaft zu werden.

Die Dauererregung verursacht bei mir zwiespältige Gefühle. Einerseits möchte ich schreien, denn der ewige Hinweis auf Verbrechen scheint mir das an Paranoia grenzende Bedrohungsgefühl in der Bevölkerung erst so richtig anzufachen. Andererseits beschleicht mich manchmal das Gefühl, dass die Aufmerksamkeit der Bürger vielleicht zur geringen Zahl der Verbrechen beiträgt. Die Schattenseite ist allerdings sozialer Druck und blockwartähnliche Gängelung. So fordert die Rentnerstreife vorbeifahrende Radler auf, gefälligst ihr Licht einzuschalten. "Oh, Entschuldigung", antworten die Ertappten, bevor das "Klack, klackklack" in die Nacht verschwindet. (wst)