Die solare Systemfrage

Subventionsgrab, Jobkiller, ohne Klimaschutzrelevanz – folgt man einem aktuellen Paper des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, könnte man glatt auf den Gedanken kommen: Wir brauchen dringend einen Ausstieg aus der Solarenergie.

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Von
  • Niels Boeing

Unsere drei großen Sonntagszeitungen sind ja bekanntlich eher auf der konservativen Seite des politischen Spektrums angesiedelt. Aber was die letzte FAS auf Seite 36 präsentierte, hat mich dann doch fast aus dem Sessel gehauen: „Sonnenenergie verbrennt Geld“ lautete die Schlagzeile, darunter: „Jeder Solararbeitsplatz kostet die Deutschen 205.000 Euro. Das ist er nicht wert.“ Uff!

Der Artikel basiert auf einem aktuellen Paper des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen, „Germany’s Solar Cell Promotion – Dark Clouds on the Horizon“. Darin werden im Wesentlichen folgende Kritikpunkte formuliert, die der FAS-Artikel als „mutig, aber nicht unplausibel“ bezeichnet:

  • Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist im Vergleich zum europäischen Emissions-Handels-System (ETS) bei der Reduzierung von Emissionen ineffizienter.
  • Photovoltaik ist im jetzigen Stadium nicht subventionswürdig, da die Technik noch nicht ausgereift genug ist. Die Subvention über das EEG wirkt sogar innovationshemmend.
  • Die Arbeitsplätze, die in der Solarenergie-Branche entstanden sind, gehen auf Kosten von Arbeitsplätzen in der herkömmlichen Energie-Branche.
  • 2006 wurde jeder der 35.000 Solar-Arbeitsplätze mit umgerechnet 205.000 Euro subventioniert.

Die Autoren des Papers wundern sich schließlich, dass angesichts dessen noch keine „heiße öffentliche und politische Debatte“ über die Solarenergie in Deutschland entbrannt ist. Und der FAS-Autor sekundiert: „Für eine umweltpolitische Maßnahme, die den Kohlendioxidausstoß in Deutschland nicht verringert und netto – wenn überhaupt – nur wenige Arbeitsplätze schafft, ist das viel sinnlos verbranntes Geld.“

Fehlt nur noch die Schlussfolgerung: Deutschland braucht dringend den Ausstieg aus der Solarenergie.

Man könnte das alles für einen Witz halten. Aber angesichts der jüngsten Debatte um die „Stromlücke“, die Deutschland 2020 ohne konventionelle Kraftwerksneubauten drohe, offenbaren solche – von bestimmten Medien bereitwillig aufgegriffenen – Argumentationen, dass wir in einen regelrechten Kulturkampf um den energetischen Entwicklungspfad der nächsten Jahrzehnte eingetreten sind. Zwei Weltbilder stehen hier so diametral gegeneinander wie einst bei Galilei und der katholischen Kirche.

Denn die Autoren des Papers kennen offensichtlich nur zwei Gebote: Kostenminimierung und Durchsetzung von Innovationen am Markt ausschließlich mit Hilfe von Adam Smiths „unsichtbarer Hand“. Dass die installierte Kapazität der Photovoltaik in Deutschland durch das EEG von 2000 (62 Megawatt) bis 2006 auf das fast 39-fache (2.405 Megawatt) gestiegen ist, verschweigen die Autoren zwar nicht. Aber es ist für sie nur eine gigantische Ressourcenverschwendung. Über die gestiegenen Preise konventionell erzeugten Stroms verlieren sie ebenso wenig ein Wort wie über die Tatsache, dass auch die Atomenergie indirekt subventioniert worden ist (u.a. über steuerfreie Rückstellungen). Entscheidend ist für sie die reine Lehre: Das ETS ist ein effizientes Marktinstrument (tatsächlich ist es in seiner derzeitigen Ausgestaltung eine Farce, die zur CO2-Emissionsreduzierung nicht beiträgt), das EEG hingegen böse Subvention, die dem (Nachtwächter-)Staat nicht zusteht.

Und was die "unausgereifte" Technologie angeht: Ein Wirkungsgrad von 20 Prozent bei herkömmlichen Solarzellen mag zwar für den Strombedarf von großen Industrieanlagen zu wenig sein. Aber zum einen macht hier das sprichwörtliche "Kleinvieh auch Mist", zum anderen ist die Forschung an neuen Solarzelltypen nicht stehen geblieben, so dass hier in den nächsten Jahren noch einiges zu erwarten ist.

Liest man das Paper, gewinnt man den Eindruck, die Politik habe das EEG aus reinem Aktionismus aufgelegt. Als hätten wir noch einige Jahrzehnte Zeit, bis sich eine nachhaltige Form der Stromerzeugung irgendwie am Markt ausmendeln kann. Als sei der Klimawandel aufgrund gestiegener Treibhausgas-Konzentrationen eine Hypothese, der wenn überhaupt erst in ferner Zukunft auf uns zurückschlägt. Bis dahin geht’s erst mal weiter mit dem bewährten fossil-nuklearen Mix.

Dem Widerstand gegen die Erneuerbaren Energien, der hier, aber auch in der Diagnose einer angeblichen Stromlücke durch die Deutsche Energieagentur deutlich wird (zur Kritik siehe Papiere von UBA und DUH), liegt allerdings nicht Borniertheit zugrunde – er hat System.

Der Ökonom Elmar Altvater hat in seinem Buch „Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen“ (2006) schön herausgearbeitet, dass der industrielle Kapitalismus von seinen fossilen Grundlagen nicht zu trennen ist (darin eingeschlossen auch fossile Treibstoffe, nicht nur fossile Stromproduktion): „Die Unabhängigkeit vom Strahlenfluss der Sonne erlaubt eine räumliche Zentralisierung von Produktion und Reproduktion, also ökonomische Konzentration und urbane Agglomeration.“ Und: „Es ist heute und möglicherweise in aller Zukunft unmöglich, das Tempo der kapitalistischen Akkumulation mit solarer Flussenergie zu halten.“

Wenn aber die Freiheit der Akkumulation gefährdet ist, hört der Spaß auf. Denn in gewisser Weise stellen Erneuerbare Energien dann die berüchtigte Systemfrage, die eigentlich aus der Mode gekommen war. Insofern können wir uns darauf einstellen, dass in naher Zukunft noch viel härtere Geschütze gegen den Ausbau Erneuerbarer Energien aufgefahren werden. Da könnte die Forderung nach einem Ausstieg aus der Solarenergie glatt noch auf dem Tisch von Angela Merkel landen.

Das Paper:
Manuel Frondel et al., „Germany’s Solar Cell Promotion – Dark Clouds on the Horizon“, Ruhr Economic Papers 40 (wst)