Horrorvisionen für das Netz

Der renommierte Online-Experte Jonathan Zittrain hat ein Buch geschrieben, in dem er vor einer Internet-Zukunft warnt, in der geschlossene Systeme vieles von dem zerstören, was das Netz heute ausmacht.

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Das iPhone zerstört das Netz. Das ist eine der provokanten Thesen, die der Oxford-Internet-Professor Jonathan Zittrain in seinem neuen Buch aufstellt. Bevor man nun als Apple-Fan der Marke mit dem Apfellogo reflexhaft beispringt und diese Prämisse als völligen Humbug abtut (schließlich sorgt das Smartphone mit seinem vernünftigen Browser z.B. dafür, dass man endlich unterwegs "im echten Netz" surfen kann), sollte man dem Cyberlaw-Experten besser zuhören.

In dem 350 Seiten starken Werk "The Future of the Internet – And How to Stop it" nimmt Zittrain das iPhone nur als ein Beispiel von vielen, bei denen Gerätehersteller und Softwaredienste das Netz leidlich egoistisch dazu verwenden, vor allem eigene wirtschaftliche Interessen zu verfolgen und nichts mehr an die Gemeinschaft zurück zu geben, wie man dies einst als guter Netzbürger tat. Stattdessen beherrschen immer mehr abgeschottete Plattformen das Bild, die das Internet nur noch als Transportmedium nutzen. Beim iPhone heißt das beispielsweise, dass nur Apple den Verkauf von Programmen kontrollieren wird und die Bedingungen nach Belieben diktieren kann. Hinzu kommt, dass Nutzer nicht selbst an dem Gerät schrauben dürfen – außer, sie verlieren gerne ihre Garantie. Aber nicht nur Apple bekommt in dem Buch sein Fett ab, auch Microsoft oder Sony werden kritisiert. Schließlich fahren beide bei ihren Spielekonsolen ähnliche Ansätze.

Zittrain sieht in der sich langsam zurückziehenden Offenheit eine verpasste Chance, die es zu beweinen gilt. Dabei wurde das Netz durch die Freiheit seiner Protokolle doch erst zu dem, was es heute ist. Hätte Web-Erfinder Berners-Lee sich entschieden, für HTTP und Co. Geld zu verlangen, niemand würde es womöglich heute kennen.

Das Problem der Geschlossenheit wird laut Zittrain noch weiter zunehmen. So genannte Appliances wie iPhone und Konsorten seien für den Kunden auch deshalb so attraktiv, weil sie ein scheinbar gut und einfach zu bedienendes Paket darstellten. Die Eingeschränktheit wird zum Verkaufsargument, schließlich muss man sich so das "wilde Web" nicht in Reinkultur ins Haus holen, in dem es inzwischen vor Viren, Würmern und anderem Böswilligem nur so wimmelt. Der Wissenschaftler fürchtet, dass diese Probleme nur noch zu einer stärkeren Veränderung führen – zu einem Netz, das eines Tages nur noch der Schatten seiner selbst ist. "Die Zukunft ist kein fruchtbarer PC, der an einem freien Internet hängt, sondern ein eingeschränktes Gerät, das an ein Netz der Kontrolle angeschlossen wurde." Ergänzt man dies noch um den Streit um die Netzneutralität, ergibt sich ein düsteres Bild, sagt Zittrain. Und Web 2.0-Dienste, die immer mehr Anwendungen an zentrale Dienstleister übertragen, seien auch nicht besser.

Die Lösung, die der Internet-Professor dann präsentiert, ist die wohl natürlichste: Er fordert die Nutzer dazu auf, in einem demokratischen Prozess aktiv zu werden. Schließlich zwingt niemand sie dazu, verkrüppelte Geräte zu erwerben oder sich mit einem Provider abzufinden, der Dienste blockiert, die ihm nicht passen. Zittrains Forderung nach dem Aufbau eigener Strukturen unter Einbeziehung gut funktionierender Social-Media-Werkzeuge wie Wikis oder Blogs mag zum Teil abgedroschen klingen – aber sie kann durchaus funktionieren. Der Mensch ist schließlich ein kreatives Wesen. Mehr Möglichkeiten des freien Ausdrucks als heute gab es noch nie. (wst)