Volkes Stimme für die Ablage P?

Von wegen die Republik habe Bildungsdefizite: Drei vom BMBF finanzierte Bürgerforen aus Schülern und Studenten haben in einem "Jugendgutachten Nanomedizin" beachtliche Empfehlungen für die Politik ausgearbeitet. Jetzt müssen sie nur noch gelesen werden.

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Von
  • Niels Boeing

Es ist seit der Antike ein billiges Lamento, die nächste Generation sei bequem und uninteressiert. Derzeit sagt man ihr nach, unpolitische, konsumgeile Digitalflüchtlinge zu sein, die lieber an der Wii oder der Playstation daddeln oder dem Egotrip im Web 2.0 zu frönen, als sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Wie unsinnig dieses Lamento ist, zeigt eindrucksvoll das „Jugendgutachten Nanomedizin“, das drei vom Bundesforschungsministerium finanzierte Bürgerforen aus Schülern und Studenten in Bayern erstellt haben.

In den drei Foren haben die Teilnehmer sich jeweils über einige Wochen hinweg mit Chancen und Risiken der Nanomedizin auseinandergesetzt. Die soll, versprechen ihre Protagonisten, eines Tages eine personalisierte Präzisionsmedizin bringen, Plagen wie Krebs ein für alle Mal den Garaus machen. Um eine möglichst objektive Bestandsaufnahme zu gewährleisten, wurden Experten aus Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft dazu geholt, um ihre Sicht der Dinge darzulegen (ich selbst wurde als über Nanotechnik schreibender Journalist bei zwei Foren vorgeladen).

Wer erwartet hatte, hier handele es sich um eine billige Nummer zur Akzeptanzbeschaffung für die Nanotechnik im Allgemeinen und die Nanomedizin im Besonderen, wird durch die Empfehlungen des Gutachtens eines Besseren belehrt. Es ist bemerkenswert, wie die rund 50 Teilnehmer den Finger auf wunde Punkte der derzeitigen Nanotech-Entwicklung gelegt haben. Hier ist eine Auswahl aus den Empfehlungen:

Zugangsgerechtigkeit: „Nanomedizinische Produkte und Erkenntnisse müssen der gesamten Gesellschaft zugänglich gemacht werden. Der Staat soll dafür sorgen, dass sich das bereits bestehende Problem der Zwei-Klassen-Medizin nicht noch weiter verschärft.“

Nicht-therapeutische „Verbesserung“ des Menschen: „Enhancement“: „Enhancement kann zum gesellschaftlichen Zwang für den Einzelnen werden. Dieser Entwicklung sollte vorgebeugt werden.“

Forschung und Patentierung: „Nanoforschung sollte nicht nur einseitig der Behandlung moderner westlicher Krankheiten dienen. ... Wir wünschen uns freien Zugang zur Grundlagenforschung. Deren Ergebnisse dürfen nicht patentiert werden, vor allem biologische Vorgänge nicht.“

Verbraucherschutz: „Der Begriff ‚nano’ muss normiert und geschützt werden. Der Verbraucher darf nicht getäuscht werden. ... Wir wünschen uns eine Kennzeichnung von Produkten, die Nanopartikel enthalten, um gesundheitliche Risiken zu vermeiden...“

Umgang mit Risiken: „Wir fordern, die Mittel für Risikoforschung deutlich zu erhöhen und insbesondere toxikologische Langzeitstudien zu finanzieren.“

Regulierung: „Wir plädieren für gesetzliche Regelungen u.a. auch für Lebensmittel, Futtermittel für Tiere sowie Bedarfsgegenstände. Die Regularien sollten ständig überprüft und angepasst werden.“

Da ist sie doch schon, die „Bildungsrepublik Deutschland“, die Angela Merkel gerade ausgerufen hat. Die Frage ist nun, ob die Stimme der nächsten Generation auf den verschlungenen Pfaden der Ministerialbürokratie auch bei der Bundeskanzlerin ankommt. Die Reaktion des BMBF-Gesandten Peter Lange bei der Übergabe des Gutachtens vergangenen Freitag verheißt allerdings nichts Gutes. Er ging eigentlich mit keinem Wort auf die Forderungen direkt ein, sondern äußerte sich wolkig, diese enthielten nichts, was spezifisch für die Nanomedizin wäre. Subtext: Hübsche Fleißarbeit, Kinder, aber nichts für den schwierigen Politikbetrieb in Berlin.

War das an sich keine Überraschung, ist es umso erstaunlicher, dass sich – nach Aussage der Organisatoren – auch die etablierten Medien bislang nicht für das Forum interessiert haben. Nun gut, der Spiegel ist ja gerade erst dabei, die seit 2003 geführte Debatte um die Risiken von Nanomaterialien zu entdecken. Aber andere, die sonst jedes Husten etwa in der Stammzell-Debatte begleiten, zeigten auch kein Interesse. Dabei ist es ja nicht so, dass bereits so viele Bürgerforen stattgefunden hätten, dass sie uns zu den Ohren rauskämen. Es gab hierzulande bislang – genau eins, organisiert vom Bundesinstitut für Risikobewertung (dazu noch eine Bürgerdialog-Veranstaltung im Rahmens des Nanocare-Projekts). Volkes Stimme in der Technikfolgenabschätzung ist offenbar zu langweilig.

Wahrscheinlich wird der Umgang mit Nanotechnik erst ein großes Thema, wenn Michael Crichtons Nano-Thriller „Beute“ ins Kino kommt. Bis dahin werden wohl alle Stellungnahmen von Bürgern in der Ablage P von Politikern und Medienschaffenden landen.

Das Gutachten als PDF (wst)