Gibt es eine Welt nach dem Geld?

Die Bankenkrise erschüttert den Kapitalismus. Höchste Zeit, sich Gedanken über den Zustand der ihm zugrunde liegenden Informationstechnologie zu machen.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Niels Boeing

Es sind wilde Tage, die wir in der Bankenkrise gerade erleben: Plötzlich reden alle von „Kapitalismus“ und nicht mehr von „Marktwirtschaft“, und „Verstaatlichung“ gilt nicht länger als Unwort, das nur böse Kommunisten in den Mund nehmen. Wenig liest man aber darüber, welche Rolle das Geld eigentlich spielt – jene Technologie, ohne die nichts geht.

Friedrich August von Hayek, für die Linken einer der geistigen Brandstifter des Neoliberalismus, hat in der Auseinandersetzung mit dem Sowjet-Sozialismus bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass in der Wirtschaft ein Informationsproblem gelöst werden muss, an dem jede Form von zentraler staatlicher Planung scheitert. Paul Samuelson und William Nordhaus formulieren in ihrem Standardlehrbuch „Volkswirtschaftslehre“ das Problem in drei Fragen: - WAS soll produziert werden und in welchen Mengen? - WIE sollen die Güter produziert werden? - FÜR WEN sollen die Güter produziert werden? „Jede Gesellschaft, ob es sich um einen durch und durch kollektivistischen Staat, einen Stamm von Südsee-Insulanern oder eine kapitalistische Industrienation handelt, um eine Tao-Kommune oder auch um ein Bienenvolk“ müsse diese drei Fragen beantworten.

Das Medium, das heute die dafür nötigen Informationen vermittelt, ist das Geld. Die Informationen selbst haben die Form von Preisen. Das ist aber nicht alles: Geld ist gleichzeitig auch Wertaufbewahrungsmittel und Ausdruck eines Kreditverhältnisses (Geldschöpfung ist immer nur Kredit, ob durch eine Zentralbank oder eine Geschäftsbank). In einer Aktie kann man im Prinzip alle drei Funktionen erkennen: Der Aktionär hat sein Geld als Eigentumstitel in einen Wert verwandelt, das Unternehmen erhält Kapital anstelle eines klassischen Kredits, und gleichzeitig wird eine Information darüber vermittelt, ob die Produktion oder die Produktionsabsicht des Unternehmens sinnvoll ist.

Indem Geld über andere moderne Anlageformen in die Finanzmärkte gepumpt wird, vermittelt es jedoch zunehmend Informationen, die zur Beantwortung der drei Fragen wenig oder gar nichts beitragen. Es drückt eigentlich nur noch aus, wie hoch der Wetteinsatz eines Anlegers ist, und soll für ihn, wie es so schön heißt, arbeiten – sprich: mehr Geld erzeugen. 90 Prozent des Geldes, vielleicht auch mehr, zirkulieren in dieser weitgehend selbstreferenziellen Sphäre. Als „Wirtschafts-Spam“.

Die Rettungspläne, die zurzeit von Regierungen für die Banken geschmiedet werden, zielen nur darauf ab, den Status Quo ante wiederherzustellen. Quasi bessere Spamfilter in die Finanzmärkte einzubauen. Ich frage mich allerdings, ob nicht bessere Technologien denkbar sind, um das ökonomische Informationsproblem zu lösen.

Die Initiatoren vieler Regionalwährungen wollen das Informationsmedium Geld retten, indem sie die Funktion der Wertaufbewahrung schwächen: Ein Schein wird in regelmäßigen Zeitabständen um einen bestimmten Prozentsatz entwertet, so dass kein Anreiz besteht, ihn irgendwo zu horten. Um den vollen Nennwert wieder herzustellen, muss man eine Marke kaufen und auf den Schein kleben. Auch wenn die Verfechter dieses „umlaufgesicherten Geldes“ dessen Vorzüge in leuchtenden Farben ausmalen, überzeugt mich dieser Ansatz bisher nicht.

Radikaler sind die Vorstellungen, die die britischen Wissenschaftler Allin Cottrell und Paul Cockshott seit den Neunzigern vertreten (u.a. in dem Buch "Alternativen aus dem Rechner"). Sie wollen der verfemten Planwirtschaft mit Hilfe von Superrechnern und Ubiquitous Computing ein Comeback bescheren. Nachfrage und Produktionsmöglichkeiten sollen in Echtzeit ermittelt und miteinander abgeglichen werden. Für sie ist der real existierende Sozialismus daran gescheitert, dass die technischen Voraussetzungen dafür noch nicht vorhanden waren. Zugleich soll der Wert der Arbeit, die jemand leistet, exakt bestimmt und auf einem Arbeitskonto gutgeschrieben werden. Der Wert von Produkten wird ebenfalls in Arbeitszeit gemessen – es gibt keine Geldpreise mehr, sondern Arbeitsäquivalente, die getauscht werden (siehe dazu auch ein Vortragsmanuskript von Cockshott). Von Venezuelas Präsident Hugo Chavez ist zu hören, dass er sich für dieses Konzept brennend interessiert.

Meines Wissens ist es das einzige Gegenkonzept, das ganz ohne Geld auskommen will (fraglich ist aber, ob nicht die Arbeitskonten zu einer Art Währung mutieren würden). Für mich klingt es zuerst nach einem neuen Überwachungsparadies, gegen das sich die derzeitige Datensammelei lächerlich ausnimmt.

In Diskussionen über mögliche Utopien erstaunt mich aber immer wieder, dass die Überwindung von Geld für viele kapitalismuskritische Zeitgenossen die Vorbedingung ist, ein Konzept überhaupt als Utopie zu akzeptieren. So als ob alle „Star Trek“ für bare Münze nehmen: Im 24. Jahrhundert wird es kein Geld mehr geben. Da müssen wir hin, so viel scheint ausgemacht. Tja, nur wie?

Meine Phantasie reicht bisher nicht aus, um mir etwas anderes auch nur vorzustellen. Aber das mag daran liegen, dass mein Mindset von Kindesbeinen an kapitalistisch konditioniert worden ist.

Irgendwelche anderen Vorschläge? (wst)