Nanotechnik am Wendepunkt

Der Abschlussbericht der NanoKommission und eine Studie der Verbraucherzentralen zeigen, wie die Nanotechnik eine Erfolgsgeschichte werden kann - oder ein Debakel, wenn aus den Ergebnissen keine Konsequenzen gezogen werden.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Niels Boeing

Viel ist bislang über die Nanotechnik geschrieben, gestritten und gemutmaßt worden. Eröffnet sie Milliardenmärkte? Oder ist sie nur ein weiterer Hype? Wie soll man mit den potenziellen Risiken umgehen? Und was denkt die Öffentlichkeit darüber?

Heute erscheinen nun zwei Berichte, die eine wichtige Positionsbestimmung zur schönen, neuen Nanowelt liefern: der Abschlussbericht der NanoKommission, die 2006 von der Bundesregierung im Rahmen der High-Tech-Strategie eingesetzt wurde, und die Studie der Verbraucherzentralen „Nanotechnologie: Was Verbraucher wirklich wissen wollen“.

Zwei Jahre hat die Nanokommission unter Leitung von Staatssekretär a.D. Wolf-Michael Catenhusen mit allen wichtigen deutschen Stakeholdern an der Bestandsaufnahme gearbeitet. Angesichts zum Teil schwieriger Diskussionen, wie aus der Kulisse zu hören ist, kann sich das Ergebnis sehen lassen.

Zum einen wird zum ersten Mal in einem Dokument der öffentlichen Debatte das „grüne“ Potenzial von Nanomaterialien hervorgehoben (wenn auch nicht sehr systematisch). Besonders erfreulich ist dabei der Verweis auf die Millenniumsziele der Vereinten Nationen: Statt der inzwischen abgedroschenen Innovationsrhetorik der vergangenen Jahre geht es nun um die Frage, was Nanotechnologien zur Lösung drängender Probleme beitragen könnten. In Anlehnung an Kennedys berühmtes Diktum könnte man sagen: „Es geht nicht darum, was wir für die Nanotechnik tun können, sondern was die Nanotechnik für uns tun kann.“

Zum anderen widmet sich der Bericht dem Problem, wie ein sicherer und verantwortungsvoller Umgang mit Nanotechnologien gelingen könnte. Statt weiterer Allgemeinplätze, die Stakeholder-Dialoge häufig hervorbringen, gibt die NanoKommission einige sehr sinnvolle Empfehlungen ab:

- Die öffentlichen Mittel für die Risikoforschung sollen „deutlich“ erhöht werden. Derzeit geben Bund und Länder dafür rund 6 Millionen Euro im Jahr dafür aus, 3,6 % ihres gesamten Fördervolumens. Das ist lächerlich wenig, wenn man bedenkt, dass die Erkenntnisse zur Toxizität von Nanomaterialien nicht annähernd mit dem Tempo mithalten, in dem derzeit neue Nanoprodukte auf den Markt kommen (3 bis 4 pro Woche).

- Ausgehend von einem vorläufigen Konzept, dass Nanomaterialien in die drei Gefährdungsklassen geringer, mittlerer oder hoher Besorgnis einteilt, soll ein System zur Risikobewertung ausgearbeitet werden.

- Das vorläufige Konzept sollen nicht nur die Hersteller, sondern auch die Anwender umsetzen.

- 2010 soll ein Monitoring durchgeführt werden, ob eine Selbstverpflichtung von Forschung und Industrie für einen sicheren Umgang mit Nanomaterialien ausreicht.

- Und ganz wichtig: Die NanoKommission empfiehlt „die Schaffung einer unabhängigen Marktübersicht für Verbraucherinnen und Verbraucher über verfügbare Nanoprodukte.“

Gerade diese Empfehlung passt zu den Ergebnissen der Studie, die im Auftrag der Verbraucherzentralen in 100 Tiefeninterviews mit Bürgern gemacht worden sind, die mit dem Begriff „Nanotechnologie“ etwas verbinden können. In den Interviews tauchte nicht nur der Wunsch nach mehr und besser strukturierten Informationen über Nanotechnologien auf. Manche forderten auch eine „zentrale Internetseite“ hierfür – eine Empfehlung, die das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag bereits 2003 abgegeben hatte!

Wer glaubt, die Deutschen seien ein Land von Technikmuffeln, wird in der Studie eines besseren belehrt. Die Autoren waren selbst überrascht, wie gut viele der Interviewten doch über verschiedene Nanotechnologien informiert und dass deren „Hintergrundeinstellung generell ‚Pro-Innovation’“ ist. Gleichzeitig sei ihre Zustimmung „allerdings an Bedingungen geknüpft – verantwortungsvoller Umgang mit Risiken und transparente, verständliche Informationen“. Industrie und Forschung sollten diese gesunde Skepsis ernst nehmen: Denn, auch das ist überraschend, das Vertrauen, das die Interviewten ihnen entgegenbringen, ist größer als das in Umweltorganisationen!

Zwei Schlussfolgerungen der Autoren aber sollten auch die hellhörig machen, die Risikodiskursen immer noch nichts abgewinnen können. „Der Gentechnik-Vergleich ist bereits in den Köpfen der Verbraucher manifestiert“, schreiben die Autoren, und: „Die Zahlen [zur Risikoerwartung in der Bevölkerung] deuten bereits an, dass mit zunehmend kritischen oder ambivalenten Einstellungen gerechnet werden muss.“

Zusammengenommen ist die Entwicklung der Nanotechnik für mich mit beiden Berichten in der Bundesrepublik an einem Wendepunkt angekommen. Wenn die gut begründeten Vorbehalte ernst genommen, die Kommissionsmpfehlungen, Verbraucherwünsche und Risikoforschungsstrategien jetzt angepackt werden, könnte aus der Nanotechnik in den kommenden zehn Jahren tatsächlich eine Technik für die Zukunft werden. Wird dagegen auf Zeit gespielt und die Umsetzung wichtiger Konzepte verschleppt, ist es recht wahrscheinlich, dass die Nanotechnik einen ähnlichen Absturz erlebt wie die grüne Gentechnik.

Die Akteure aus Politik und Nanotech-Szene haben es nun in der Hand. An „dummen“ Verbrauchern wird die Nanotechnik nicht scheitern – diese Ausrede gilt ab heute nicht mehr. (wst)