Krebswirkstoff für einen Dollar

Lungenkrebs ist eine der häufigsten und tödlichsten Krebsarten der Welt. Hoffnung kommt jetzt ausgerechnet aus Kuba, dessen größter Exportartikel Zigarren sind.

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  • Katja Ridderbusch

Lungenkrebs ist eine der häufigsten und tödlichsten Krebsarten der Welt. Hoffnung kommt jetzt ausgerechnet aus Kuba, dessen größter Exportartikel Zigarren sind.

Im Zentrum für molekulare Immunologie (CIM) in Havanna haben Wissenschaftler den therapeutischen Impfstoff Cimavax entwickelt. Nach der Lockerung des Handelsembargos greifen jetzt auch die USA danach; hier soll nach erfolgreichen klinischen Studien in Kuba das Roswell Park Cancer Institute in Buffalo, New York, innerhalb der nächsten zwölf Monate ergänzende Tests beginnen. TR sprach mit dem leitenden Roswell-Forscher Kelvin Lee über den Wirkstoff.

Kelvin Lee ist Forschungsdirektor für Immunologie am Roswell Park Cancer Institute und Professor für Mikrobiologie an der State University of New York in Buffalo. Seit der Lockerung des Embargos nahm er an mehreren Handelsmissionen nach Kuba teil. Er bereitet die Tests für Cimavax in den USA vor und arbeitet eng mit den Kollegen in Kuba zusammen.

Technology Review: Herr Lee, was ist das Besondere an Cimavax?

Kelvin Lee: Anders als die meisten Immuntherapien gegen Krebs attackiert es den Tumor nicht direkt. Vielmehr stimuliert er das Immunsystem so, dass es ein Protein erkennt, das das Zellwachstum regelt, den Epidermalen Wachstumsfaktor (EGF). Bei manchen Krebsarten wie Lungen-, Brust-, Darm-, Prostata- und Bauchspeicheldrüsenkrebs produziert der Körper zu viel davon. Cimavax bildet Antikörper dagegen, die das Protein binden und damit den Tumor aushungern.

TR: Verringert Cimavax damit auch das Risiko von Rückfällen?

Lee: Davon gehe ich aus. Zum Beispiel bei Patienten, die Lungenkrebs im Frühstadium hatten, operiert wurden und als geheilt gelten. Die Wahrscheinlichkeit ist erhöht, dass sie später erneut an Krebs erkranken. Cimavax hat aber auch Potenzial bei der Prävention. So könnte eine Impfung für Menschen sinnvoll sein, die ein erhöhtes Risiko haben, an Lungenkrebs zu erkranken – weil sie starke Raucher sind oder waren, oder weil sie eine genetische Veranlagung in sich tragen. Das sind Millionen Menschen in den USA und viele Hundert Millionen weltweit.

TR: Ist Cimavax also ein Meilenstein in der Krebsforschung?

Lee: Cimavax hat das Potenzial, eine Schlüsselrolle in der öffentlichen Gesundheitsversorgung zu spielen. Klinische Studien in Kuba an mehreren Tausend Patienten mit Lungenkrebs im dritten und vierten Stadium haben die Wirksamkeit bestätigt: Das Wachstum der Tumore wurde gestoppt; 20 Prozent der Probanden waren nach fünf Jahren noch am Leben, und das ist bei Krebs in diesem Stadium schon sehr ungewöhnlich. Außerdem hat Cimavax geringere Nebenwirkungen als zugelassene Immuntherapien gegen Lungenkrebs. Schließlich ist Cimavax viel billiger als andere Therapien; wir gehen von einem Dollar pro Dosis aus. Etablierte immunonkologische Therapien kosten bis zu 10000 Dollar im Monat.

TR: Warum ist gerade Kuba auf die Idee gekommen?

Lee: Zum einen: Kuba räumt der öffentlichen Gesundheitsversorgung generell einen großen Stellenwert ein. Zum anderen: Kuba ist ein armes Land, das es sich nicht leisten kann, Krebsmedikamente zu entwickeln, die 10000 Dollar im Monat kosten. Das hat dazu geführt, dass die Forschung in Kuba sehr innovative Wege geht.

TR: Hat Kuba noch andere Wirkstoffe in der Pipeline?

Lee: Absolut. Es gibt zum Beispiel einen weiteren Krebsimpfstoff, der sich gerade in der Testphase befindet. Er attackiert ein Fettmolekül, das sich nur auf der Oberfläche von Krebszellen nachweisen lässt. Er regt also das Abwehrsystem an und nimmt gleichzeitig diejenigen Zellen im Umfeld des Tumors ins Visier, die eine Reaktion des Immunsystems gegen Krebs unterdrücken. Ich arbeite seit 30 Jahren als Immunologe und habe selten Impfstoffe gesehen, die so clever konzipiert sind. (bsc)