Immer unaufhörlicher

Aus immer mehr Medienkanälen fließt die Gegenwart auf uns zu. Anfang und Ende verlieren an Bedeutung - die digitale Welt wird zur Umweltbedingung.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Ich saß mit einem Freund in einem Cafe, das sich in dem riesigen Showroom eines Autohändlers befindet. Wir wollten von einem ruhigen Punkt aus einen Blick auf die nächsten zwölf Monate werfen. Auf großen Flachbildschirmen neben den eigens in die Halle verpflanzten Olivenbäumen lief eine Endlosnachrichtensendung. Ein Mann stand vor einem Internet-Terminal wie vor einem Trinkbrunnen.

“Sämtliche Medien, allen voran das Netz, sind inzwischen auf ein Ziel ausgerichtet”, sagte mein Freund: “Ständigkeit”. Online gibt es keinen Ladenschluß mehr, keine Sperrstunde, kein Programmende. Der zunehmend digitale Medienfluß verwandelt sich in eine Umweltbedingung – etwas, das überall und immer da ist. Früher öffnete sich einmal pro Abend mit der Tagesschau das Nachrichtenfenster in die Welt. Heute fließen die Ströme an Meldungen, Unterhaltung, Information unausgesetzt.

Ich machte meinen Freund darauf aufmerksam, dass Transport und Verkehr in diesem großen Autohaus nur in Form von Datenverkehr stattfand. In der Halle und draußen auf der Parkplatzweite stand eine bewegungslose Menge Autos. Es roch nach frischem Reifengummi in dem Cafe.

Das erste Medium, das 24 Stunden um die Uhr sendete, war das Radio. In den neunziger Jahren hatten die TV-Sender ihre verbliebenen Nachtlücken im Programm geschlossen. Sonderbare Dinge wie “Testbild” oder “Sendeschluß” kennen junge Medienkonsumenten nicht mehr. Die Zeit der Modem-Wählverbindungen ins Internet geht zu Ende. Die Welt mag lückenlos sein, nun wird sie permanent. Zunehmend verlegt die Permanenz sich jetzt auf Programmstrukturen und Inhalte. Es gibt nicht mehr nur abends um Acht eine Tagesschau, sondern Nachrichten und Angebote aller Art, rund um die Uhr. Zum Inbegriff der Permanenz ist das Netz geworden. Ständig geht es vor sich, aktualisiert sich, vibriert vor Mitteilsamkeit.

Wir sahen das neue Jahr draußen vor der Glasfront am Bürgersteig entlanggehen. Es war noch sehr scheu, schlicht gekleidet, kein Luxus, und es trug einen Laptop und eine Aktentasche - und eine Tageszeitung. Die kleinen elektronischen Geräte, die mein Freund und ich dabeihatten, gaben ab und zu lakonische Geräusche von sich. Zeitmarken, Benachrichtigungen. Wir fanden keinen ruhigen Punkt, alles floss.

Der Einzug der Permanenz in die Medien entläßt uns wieder hinaus in die unteilbare Größe unserer Lebenszeit. “Und mehr Selbstverantwortung”, sagte mein Freund. “Die ganze Technik hilft uns aber auch, souveränder zu werden”, sagte ich. Mit den neuen Möglichkeiten zeitversetzter Kommunikation triumphiert der individuelle Rhythmus über den institutionellen. Die permanente Belieferung kann aber auch zu einer paradoxen Umkehr von Informiertheit führen. Jemand, der eine Uhr hat, weiß immer wie spät es ist - jemand mit vielen Uhren ist sich nicht mehr sicher.

Die Wahlmöglichkeiten nehmen zu, zugleich schwinden verläßliche Zeitanker. Feste Arbeitszeiten werden durchlässig. Früher gab es einen Zustand, dann kam eine Veränderung, dann ein neuer Zustand. Jetzt ist Veränderung der Zustand. Früher hat der Große den Kleinen gefressen, dann fraß der Schnelle den Langsamen. Nun wir das Manchmal vom Immer verschluckt. Mit einer kleinen Geste grüßten wir das neue Jahr. (wst)