Lasst tausend Algen blühen

Die Bundesregierung unterstützt ein deutsch-indisches Experiment zur Ozeandüngung, obwohl es unter ein Moratorium fällt. Egal: Der Klimaschutz soll ja irgendwann zu einem guten Geschäft werden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 7 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Niels Boeing

Der Kampf gegen den Klimawandel treibt bisweilen seltsame Blüten. Zum Beispiel die Algenblüte: Seit längerem propagieren Wissenschaftler die Düngung der Meere mit eisenhaltigen Partikeln, um das Wachstum verschiedener Algenarten (zusammenfassend auch Phytoplankton genannt) zu stimulieren. Das soll dann die verstärkte Aufnahme des Treibhausgases CO2 aus der Atmosphäre in den Ozean bewirken. Wenn die Algen absterben, sinken sie als Biomasse, die CO2 gebunden hat, auf den Meeresboden.

Eine klassische End-of-pipe-Lösung also: Wir haben zuviel CO2 in die Atmosphäre gepustet? Dann holen wir es wieder heraus und deponieren es.

Vergangene Woche ist das Forschungsschiff „Polarstern“, das vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) betrieben wird, mit einem internationalen Forscherteam in antarktische Gewässer aufgebrochen, um diese Technik in einem großangelegten Experiment namens „LOHAFEX“ zu testen. Auf einer Fläche von 300 Quadratkilometern sollen 20 Tonnen Eisensulfat ins Meer ausgebracht werden. Federführend sind dabei Indien und Deutschland.

Da muss irgendjemand nicht genau aufgepasst haben. Denn, wie der stets aufmerksame Jim Thomas von der kanadischen ETC Group nachgelesen hat, die Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention hatten sich erst letzten Sommer in Bonn darauf geeinigt, solche Experimente vorerst auszusetzen. Das Bundesumweltministerium schrieb dazu:

„Die Delegierten einigten sich darüber hinaus darauf, Aktivitäten zur künstlichen Düngung von Meeresgebieten mit dem Ziel der CO2-Bindung zu unterlassen. Der Grund: Wissenschaftler befürchten starke negative Auswirkungen auf die Meeresumwelt. Zudem ist bislang völlig unklar, ob solche Aktivitäten tatsächlich die unterstellten positiven Auswirkungen auf das Klima haben.“

Einzige Ausnahme im Konferenzdokument sind „kleinräumige wissenschaftliche Forschungsstudien in Küstengewässern“ (laut Paragraph 4 des COP9-Beschlusses IX/16). Das alles anderes als kleinräumige LOHAFEX-Experiment wird hingegen auf hoher See durchgeführt.

Wie die Märkische Allgemeine gestern berichtete, hat Bundesumweltminister Sigmar Gabriel seiner Kollegin, Bundesforschungsministerin Annette Schavan, deren Haus das Projekt genehmigt hat, bereits einen bösen Brief geschrieben. Sie solle „sicherstellen, dass das AWI-Projekt unverzüglich gestoppt wird“. Laut Nature News war das BMU aber vorab informiert worden und hatte keine Einwände erhoben. Einmal mehr zeigt sich, wie weit bei dieser Bundesregierung in Sachen Klimaschutz Reden und Handeln auseinanderklaffen.

Das sollte nicht erstaunen: Das Wissenschaftsmagazin Science wies bereits im November auf die handfesten wirtschaftlichen Interessen hin, die bei der Meeresdüngung längst im Spiel sind. Drei private US-Firmen, Planktos, Climos und GreenSea Ventures positionieren sich bereits als künftiger Anbieter einer solchen „CO2-Entsorgung“. Die so eingesparten Tonnen sollen, vermutet Science-Autor Eli Kintisch, im CO2-Handel als Ausgleichsmaßnahme angeboten werden. Auch China forscht an dieser Technik, und Indien und Deutschland versuchen offenbar gemeinsam, hier ebenfalls Fuß zu fassen.

Die Vorbehalte gegen diese Form des Geo-Engineerings sind bislang aber nicht entkräftet: Marine Nahrungsketten könnten gestört sowie als Nebeneffekt die weitaus wirksameren Treibhausgase Methan und Stickoxid freigesetzt werden. Deshalb auch das Moratorium.

Hinzu kommt, dass selbst eine weiträumige Meeresdüngung nur ein Tropfen auf den heißen Stein wäre. Würde der gesamte Südliche Ozean mit einer Fläche von 50 Millionen Quadratkilometern (etwas weniger als Afrika und Nordamerika zusammengenommen) gedüngt, ließe sich 1 Gigatonne CO2 aus der Atmosphäre entfernen, heißt es in der Beschreibung des LOHAFEX-Projekts der leitenden Forscher Victor Smetacek und Syed Wajih Naqvi. Um den den derartigen CO2-Gehalt der Atmosphäre bei 380 ppm zu stabilisieren, müssten jedoch 190 Gigatonnen entfernt werden!

Aber wenn es um neue Geschäfte im künftigen „grünen Kapitalismus“ geht, werden all diese Einwände sehr wahrscheinlich vergeblich sein. Wir werden uns noch wundern, was uns im Namen des Klimaschutzes eines Tages alles verkauft wird. (wst)