Zwangszölibat für den Grippeschutz

Japan rüstet im Kampf gegen Pandemien auf: Ein Großkonzern ruft die Familienmitglieder von Auslandsentsandten zurück. Die Begründung ist eine mögliche Grippewelle Ende dieses Jahres.

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Von
  • Martin Kölling

Japan ist im wahrsten Sinne des Wortes im Grippefieber. Diese Woche kam heraus, dass der weltgrößte Konsumelektronikkonzern Panasonic vorigen Dezember seinen ins Ausland entsandten japanischen Managern in mehr als der halben Welt befohlen hat, bis September 2009 eventuell mitgereiste Ehepartner und Kinder Heim nach Japan zu schicken.

Adieu zu sagen gilt es in Asien (außer Singapur), China, den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Osteuropa, dem Nahen Osten und Südamerika. Dies sei Teil der Vorbereitungen auf eine Pandemie einer neuen Grippe, die vielleicht im kommenden Winter ausbrechen könnte, begründete eine Konzernsprecherin die drastische Vorsichtsmaßnahme. Die ausgesuchten Regionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Vogelgrippefälle und/oder eine schlecht ausgebaute medizinische Versorgung aufweisen, die womöglich unter dem Ansturm von Grippekranken zusammenbrechen würde. Man wolle nicht warten bis es losgeht und dann eine Panik auslösen.

Ich bewundere den Mut Panasonics, vielen seiner Expats ein Zwangszölibat aufzuerlegen. Gleichzeitig zeigt mir der Fall, dass Japan als ganzes die Möglichkeit einer Grippeepidemie mit Millionen von Toten weltweit wirklich ernst nimmt. Löblich, denn die Weltbank sagt in ihrem düstersten Szenario immerhin weltweit 71 Millionen Grippetote und einen Schaden von drei Billionen US-Dollar voraus. In Japan könnten 40 Prozent der Arbeitskräfte erkranken, schätzt die Regierung.

Seit der Verabschiedung eines nationalen Grippenotstandsplans im Jahr 2005 üben die Behörden daher auf allen Ebenen fleißig den Ernstfall. Am 13. Januar war mal wieder Japans Regierung dran. Unter dem Vorsitz von Ministerpräsident Taro Aso simulierte das "nationale Hauptquartier für Gegenmaßnahmen gegen eine pandemische Grippe" die Anfänge der Virenabwehrschlacht. Anschließend rief Aso seinem Volk in Erinnerung, dass alle von der Regierung propagierten Gegenmaßnahmen dazu dienten, "den Kollaps des sozio-ökonomischen Systems zu verhindern".

Die Medien rufen die Menschen auf, ihrerseits durch vorbeugende Maßnahmen zur patriotischen Schlacht gegen die auf die Küsten zubrandenden Viren beizutragen. Seit Jahren wird den Japanern eingehämmert, doch bitte außerhalb der eigenen vier Wände eine papierene Gesichtsmaske zu tragen. Nach einem Ausflug an vermeintlich frischer Luft möge man sich zudem die Hände gründlich nach Medizinerart waschen und den Rachen ausgurgeln. Und bitte, bitte immer die Nies- und Hustensitten beachten: Möglichst mit einem Meter Abstand zu anderen Menschen niesen oder Nase schnauben, beides bitte immer in ein Tuch, und danach Hände wäschen nicht vergessen.

Auch die Industrie verstärkt den Grippeschutz. Die Baufirma Obayashi hat beispielsweise ein Eingangskontrollsystem für Firmen oder Behörden entwickelt, das mit Hilfe einer Kamera erkennen kann, ob Angestellte oder Besucher erstens Fieber haben und zweitens einen Mundschutz tragen. Und drittens überprüft das System auch, ob sie sich die Hände waschen.

Übertriebene Sorge? Ich glaube nicht. Ohne Schutzmaßnahmen droht sich eine Grippewelle in Japan schneller auszudehnen als in anderen Ländern. Denn Japans Wirtschaftsleben ist in wenigen extrem dicht besiedelten Megametropolen konzentriert. Allein im Großraum Tokio leben 36 Millionen Menschen auf einer Fläche, die kleiner als Schleswig-Holstein ist. Dieses hochkonzentrierte System steht und fällt mit dem öffentlichen Nahverkehr, der morgens sechs bis sieben Millionen Pendler nach Tokio hineinschaufelt und abends wieder heraus. Dementsprechend vollgestopft sind zur Rush-Hour die Bahnen. Auf einigen Linien quetschen sich in den Morgenstunden sieben Menschen auf einen Quadratmeter. Da haben Viren leichtes Spiel. Viele Menschen nehmen das Vermummungsgebot gerne an. Ich übrigens auch. (wst)