Querschläger im Diskursraum

In langen, engagierten Diskussionen haben die Kollegen versucht, mich davon zu überzeugen, die Finger vom Themenkomplex "Iran und Twitter" zu lassen – dazu sei längst alles Relevante gesagt. Das glaube ich weniger denn je.

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Ich bin gewarnt, aber wenig einsichtig. In langen, engagierten Diskussionen haben die Kollegen versucht, mich davon zu überzeugen, die Finger vom Themenkomplex "Iran und Twitter" zu lassen – dazu sei längst alles Relevante gesagt, alle Positionen vertreten, mithin könne aus einem solchen Kommentar niemand mehr irgend etwas relevantes lernen. Das glaube ich weniger denn je.

Ich behaupte bis zum Beweis des Gegenteils, dass die Berichterstattung über die jüngsten Unruhen im Iran eine "Story" reproduziert hat, die im wesentlichen durch keinerlei Fakten gestützt war: Die Legende von der technisch versierten städtischen Jugend, die sich gegen ein verknöchertes und fanatisches theokratisches Regime auflehnt. Statt jedoch die Grenzen und auch die Möglichkeiten neuer Medien wie Twitter und Youtube, die sich in diesem Fall ganz deutlich abzeichnen, kritisch zu untersuchen, zieht die Netzgesellschaft offenbar kollektive Ignoranz vor.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Es mag sein, dass das über die Leitmedien verbreitete Bild von den Auseinandersetzungen tatsächlich wahr ist – darum soll es aber an dieser Stelle nicht gehen. Auch nicht um die auch in diesem Fall hochkochenden Verschwörungtheorien – etwa dass die Twits, Filme und Videos der grünen Revolution nicht aus Teheran sondern aus London und Washington kamen.

Ärgerlich, ja sogar außerordentlich bedenklich ist meiner Meinung nach, dass extrem viele von der emanzipatorischen Macht des Internet überzeugte Menschen die Unsicherheit der Quellenlage – und damit auch die darin liegenden Möglichkeiten der Manipulation – einfach stumpf ignorieren. Es reicht einfach nicht, Zuschauer oder Leser kurz und pflichtgemäß darüber zu informieren, dass die folgenden Videos von prügelnden Polizisten auf Motorrädern aus dem Internet stammen und daher weder ihre Herkunft noch ihr Wahrheitsgehalt überprüfbar wären – aber dann die Berichterstattung im wesentlichen um diese Bilder herum aufzubauen. Der Disclaimer wird innerhalb kürzester Zeit völlig wertlos: Was hängenbleibt ist nicht die Relativierung, sondern die gedruckten, gesendeten, gestreamten Bilder. Das muss wahr sein – ich hab's im Internet gesehen.

Die US-Amerikaner sind ja immer ein wenig leichter zu begeistern, als wir skeptischen Europäer. Dementsprechend feiern Internetgrößen wie Clay Shirky die Rolle von Twitter im Iran natürlich als "wirklich außergewöhnlich". Und Blogger Queen Arianne Huffington erklärt auf dem Youtube-Kanal "Reporters' Center" die Macht des "Bürgerjournalismus" eben genau am Beipiel Iran – und feiert das Ereignis als einen "media milestone"

Aber auch hier bei uns ist die Reaktion nur oberflächlich kritischer. Sascha Buchbinder etwa schreibt in Carta, dass Twitter seiner Meinung nach überschätzt worden ist – allerdings nicht als Nachrichtenquelle, sondern als politisches Instrument: "Wir haben die realen Möglichkeiten von Twitter und Co. furchtbar überschätzt. Die meisten Elogen auf die neue Macht des Internets am Beispiel Iran waren Projektionen, Wunschdenken, angestachelt durch die Möglichkeit, die das Netz uns als Außenstehenden ermöglichte... Die Welt wird nicht dank Internet automatisch besser werden... Das digitale Zeitalter eröffnet zwar neue Kanäle für Bürgerbewegungen, zugleich aber katapultiert es auch Repression und Propaganda in eine neue Sphäre." Und der Sozialwissenschaftler Benedikt Köhler, der sich unter anderem in seinem Blog intensiv mit dem Medium Twitter und den Auswirkungen sozialer Netze beschäftigt, merkt im Interview mit den VDI Nachrichten lediglich kritisch an, dass die "viralität" von Falschmeldungen in der Regel sehr viel größer sei, als die einer nachträglichen Richtigstellung.

Was aber nützt mir diese Erkenntnis, wenn sie fröhlich pfeifend ignoriert wird? Informationskrieg – man verzeihe mir an dieser Stelle die unbeholfene Übersetzung von "Information Warfare" – bedeutet nicht Krieg mit Hilfe von Informationstechnologie zu führen, sondern Krieg um die Informationen. Um so wichtiger ist also die Frage, ob ich meinen Informationsquellen vertrauen kann. Aus dem Handbook for Bloggers and Cyber-Dissidents kann man zwar eine Menge darüber lernen, wie man halbwegs gesichert im Netz publiziert – wie man ein kryptographisch gesichertes "Web of Trust" bilden kann, steht dort aber leider nicht.

Ich selbst kenne auch keine Lösung, sonst hätte ich sie an dieser Stelle schon längst verraten. Klar ist aber, dass man am Beispiel Iran lernen kann: Es ist nicht nur wichtig anonym publizieren zu können. Mindestens genauso wichtig ist die Frage, ob und wie man die publizierten Informationen auch verifizieren kann. So lange wir diese Frage ignorieren, bleiben die neuen sozialen Medien zahnlose Papiertiger. (wst)