Gesucht: Production Commons

Sozialer Reichtum #2: Die Begeisterung für die neue Kultur des "Sharing" blendet die materielle Produktion aus. Wir brauchen auch ein Gegenstück zu Creative Commons im Patentsystem.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Niels Boeing

Vor zwei Monaten hatte ich in diesem Blog einige kritische Überlegungen zum Thema des Hamburger Trendtages, "Sozialer Reichtum", angestellt. Bei all der Begeisterung über die neue Kultur des "Sharing" in Zeiten Web 2.0 störte mich, dass eigentlich nur von digitaler Produktion die Rede ist, die aber heute eine im wahrsten Sinne des Wortes gut geölte materielle Produktion voraussetzt. Ein paar Leser hatten mich an anderer Stelle gefragt, was denn nun jenseits der Kritik mein Vorschlag sei. Denn der war am Ende sehr knapp geraten.

Die Frage ist völlig berechtigt. Nölen ist schließlich billig. Deshalb will ich hier meinen Vorschlag etwas weiter skizzieren.

Die Begeisterung fürs "Sharing" (andere sollen es Piraterie nennen) ist an sich richtig. Dank frei zugänglicher und verwendbarer Software ist die kulturell-digitale Produktion in den vergangenen 15 Jahren explodiert. Ihre Erzeugnisse können von allen geteilt werden und zumindest kulturell sozialen Reichtum hervorbringen. Dafür sorgen Software-Lizenzen wie die GNU GPL und die Creative-Commons-Lizenzen für digitale Erzeugnisse sowie Science Commons und andere Open-Access-Modelle für wissenschaftliche Erkenntnisse. Sie alle verhindern, dass für Herstellung und Gebrauch dieser Erzeugnisse gezahlt werden muss und daran auch Leute ohne dicken Geldbeutel teilhaben können.

1973 schrieb Ernst Friedrich Schumacher in seinem klugen Buch Small is Beautiful: "Es ist einer der verhängnisvollsten Irrtümer unserer Zeit zu glauben, das 'Problem der Produktion' sei gelöst." Für die digitale Produktion mittels Freier Software ist das Problem im Prinzip gelöst. Aber eben nur für sie.

Der Rechner als Maschine, als zugrunde liegendes Produktionsmittel, auf dem die Software läuft, fällt schon aus der schönen Welt des neuen sozialen Reichtums heraus. Die Anschaffung von Maschinen und die Produktion von Gegenständen – also Atomen statt Bits – ist Lichtjahre von einer Kultur des "Sharing" entfernt. Sie erfordert Investitionen, und wer sich die nicht leisten kann, wird nicht Produzent. Er oder sie bleibt Konsument, und die nötigen Penunzen müssen anderweitig verdient werden. Zum Beispiel mit Dienstleistungen.

Ich erwähne die nur, weil der Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft einmal als glorreiche neue Entwicklungsstufe galt. Am radikalsten hat sich in Europa Großbritannien de-industrialisiert, was sich in der jetzigen Wirtschaftskrise als keine gute Idee herausstellt.

Wenn wir den Gedanken der "Nachhaltigkeit" ernst nehmen, führt an einer verteilten, lokaleren Produktion meines Erachtens kein Weg vorbei. In den drei Dimensionen von Nachhaltigkeit: wirtschaftlich – entsteht Arbeit (nicht gleichzusetzen mit Arbeitsplätzen); ökologisch – wird der problematische Transport von Gütern reduziert; sozial – wachsen die Möglichkeit zur Teilhabe (denn was sonst soll mit dem Begriff "sozialer Reichtum" gemeint sein?).

Damit lokaler und verteilt produziert werden kann, müssen dann auch Produktionsmöglichkeiten geteilt werden. Genau hier setzt die noch kleine und etwas diffuse Bewegung des Open Hardware Design, der Fab Labs und der Bergmann'schen Hightech-Eigenproduktion an. Produktionsmöglichkeiten heißt auch: Knowhow und die Berechtigung, es zu nutzen.

Diese Berechtigung kostet aber, dafür sorgt das System der Patente. Ihr offizielles Motiv: Innovatoren sollen als erste die Früchte ihrer Arbeit bekommen, der Rest später. Es ist allerdings kein Geheimnis, dass Patente vor allem eine strategische Waffe im Wettbewerb sind. Je härter der Wettbewerb, desto häufiger wird die Waffe eingesetzt. Mit der Folge, dass das Patentsystem unter seiner eigenen Last zu ächzen beginnt, wie Francis Gurry, Generaldirektor der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), kürzlich einräumte: "Wir haben 3,5 Millionen nicht erledigte Anträge."

Möglich, dass es irgendwann zusammenbricht, wie das Europäische Patentamt in einer Studie vor zwei Jahren nicht ausschließen wollte. Solange sollten wir nicht warten: Was jetzt gebraucht wird, ist eine eine Art "Production Commons". Sowie GNU- und Creative-Commons-Lizenzen das klassische Urheberrecht unterlaufen (das Urheberrecht selbst schaffen sie nicht ab), könnten Production-Commons-Lizenzen die klassischen Patente links liegen lassen. Sämtliche Freien Konstruktionen wären vor einer Vereinnahmung durch das Patentregime geschützt – und würden immer mehr Menschen Zugang zu materiellen Produktionsmitteln verschaffen.

Ich stelle mir vor, großindustrielle Produkte wie Autos, Rechner oder Handys würden zunehmend von Produktionskooperativen in Kleinserien hergestellt, die an lokale Bedürfnisse angepasst sind und mehr, selbstbestimmtere Arbeit schaffen. Die Produktion würde in die Städte zurückkehren, aus denen sie weitgehend verschwunden ist. Das wäre für mich ein unverzichtbarer Bestandteil von "sozialem Reichtum".

Natürlich gibt es zwei Gegenfragen: Wäre eine solche Produktion nicht ineffizient? Und wollen die Leute das überhaupt, sind sie nicht froh, mit der Produktion nichts am Hut zu haben? Effizienz, also Massenproduktion und globale Arbeitsteilung, führt oft genug zu sozialer Armut. Effizienz kann nicht das eine schlagende Argument sein. Und zum Wollen: Wenn wir die Explosion der digitalen Produktion anschauen, sollten wir uns darüber nicht den Kopf zerbrechen. Vor 30 Jahren meinten Experten, die Leute könnten doch unmöglich alle etwas mit Computern anfangen wollen. Sie wollten doch.

Wenn das Momentum des "Web 2.0" auf die materielle Produktion überspringt, kann tatsächlich eine neue gesellschaftliche Bewegung daraus werden, die "sozialen Reichtum" produziert. Vorher nicht.

Einen Überblick zur Krise des Patentsystems gibt es in der Print-Ausgabe 08/2009 von Technologie Review. Das Heft kann hier online portokostenfrei bestellt werden. (wst)